Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Rechte der Stände-Versammlung.
deren geschaffen sey. Jedes Mitglied der constituirenden Natio-
nalversammlung, 1200 an der Zahl, bezog täglich 18 Livres;
jeder Tag kostete also 21,600 Livres. Beim Ausbruche des Krie-
ges 1792 widmeten die Deputirten 1integral3 ihrer traitemens dem
Vaterlande (22. April). Das Wahlgesetz vom 5. Febr. 1817
schaffte alle Diäten und Reisegelder ab (a. 19. les deputes a
la chambre ne recoivent ni traitement, ni indemnite),
auch
die Portofreiheit hörte auf, die Wahlen wurden direct, aber ge-
riethen nun vollends in die Hand eines geschlossenen Standes der
Reichen, in dem man nicht ohne Ursache die Grundlage zu einer
Römischen Ritterschaft gesehen hat, wie denn schon die Rede da-
von war, die Geschworenen allein aus ihm zu nehmen.

189. Die Ständeversammlung hat bei jedem Regie-
rungswechsel die Versicherung des Königs, oder des mit
königlicher Gewalt bekleideten Regenten, daß die Verfas-
sung unverletzt aufrecht gehalten werden solle, zu empfan-
gen und urkundlich zu bewahren. Ob bei Eid oder König-
lichem Wort mag gleich gelten; verba enim principis
sunt et esse debent instar lapidis angularis, cui incon-
cussa veritas superaedificanda immota stare debet
1).

1) Worte eines getreuen Herzoglichen Rathes in Schleswig-Hol-
stein, Laurentius Lälius, auf dem Haderslebner Landtage von 1614.
Verhältniß der allgemeinen Ständeversammlung
zu Provinzial-Ständen
.

190. Vor Alters reisten Könige von Landschaft zu
Landschaft, die Meinung der Stände hier und dort ein-
holend, um zuletzt nachzusehen, ob sie sich unter einen
Hut bringen lasse. Sobald aber eine Versammlung der
Reichsstände vorhanden ist, läßt sie den Einspruch der Land-
schaften nicht aufkommen. Sie thut recht daran; aber
unrecht thäte sie nun gar keine Provinzial-Stände zuzu-

Rechte der Staͤnde-Verſammlung.
deren geſchaffen ſey. Jedes Mitglied der conſtituirenden Natio-
nalverſammlung, 1200 an der Zahl, bezog taͤglich 18 Livres;
jeder Tag koſtete alſo 21,600 Livres. Beim Ausbruche des Krie-
ges 1792 widmeten die Deputirten 1∫3 ihrer traitemens dem
Vaterlande (22. April). Das Wahlgeſetz vom 5. Febr. 1817
ſchaffte alle Diaͤten und Reiſegelder ab (a. 19. les députés à
la chambre ne reçoivent ni traitement, ni indemnité),
auch
die Portofreiheit hoͤrte auf, die Wahlen wurden direct, aber ge-
riethen nun vollends in die Hand eines geſchloſſenen Standes der
Reichen, in dem man nicht ohne Urſache die Grundlage zu einer
Roͤmiſchen Ritterſchaft geſehen hat, wie denn ſchon die Rede da-
von war, die Geſchworenen allein aus ihm zu nehmen.

189. Die Staͤndeverſammlung hat bei jedem Regie-
rungswechſel die Verſicherung des Koͤnigs, oder des mit
koͤniglicher Gewalt bekleideten Regenten, daß die Verfaſ-
ſung unverletzt aufrecht gehalten werden ſolle, zu empfan-
gen und urkundlich zu bewahren. Ob bei Eid oder Koͤnig-
lichem Wort mag gleich gelten; verba enim principis
sunt et esse debent instar lapidis angularis, cui incon-
cussa veritas superaedificanda immota stare debet
1).

1) Worte eines getreuen Herzoglichen Rathes in Schleswig-Hol-
ſtein, Laurentius Laͤlius, auf dem Haderslebner Landtage von 1614.
Verhältniß der allgemeinen Ständeverſammlung
zu Provinzial-Ständen
.

190. Vor Alters reisten Koͤnige von Landſchaft zu
Landſchaft, die Meinung der Staͤnde hier und dort ein-
holend, um zuletzt nachzuſehen, ob ſie ſich unter einen
Hut bringen laſſe. Sobald aber eine Verſammlung der
Reichsſtaͤnde vorhanden iſt, laͤßt ſie den Einſpruch der Land-
ſchaften nicht aufkommen. Sie thut recht daran; aber
unrecht thaͤte ſie nun gar keine Provinzial-Staͤnde zuzu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p>
                <pb facs="#f0167" n="155"/>
                <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Rechte der Sta&#x0364;nde-Ver&#x017F;ammlung</hi>.</fw><lb/> <hi rendition="#et">deren ge&#x017F;chaffen &#x017F;ey. Jedes Mitglied der con&#x017F;tituirenden Natio-<lb/>
nalver&#x017F;ammlung, 1200 an der Zahl, bezog ta&#x0364;glich 18 Livres;<lb/>
jeder Tag ko&#x017F;tete al&#x017F;o 21,600 Livres. Beim Ausbruche des Krie-<lb/>
ges 1792 widmeten die Deputirten 1&#x222B;3 ihrer <hi rendition="#aq">traitemens</hi> dem<lb/>
Vaterlande (22. April). Das Wahlge&#x017F;etz vom 5. Febr. 1817<lb/>
&#x017F;chaffte alle Dia&#x0364;ten und Rei&#x017F;egelder ab <hi rendition="#aq">(a. 19. les députés à<lb/>
la chambre ne reçoivent ni traitement, ni indemnité),</hi> auch<lb/>
die Portofreiheit ho&#x0364;rte auf, die Wahlen wurden direct, aber ge-<lb/>
riethen nun vollends in die Hand eines ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Standes der<lb/>
Reichen, in dem man nicht ohne Ur&#x017F;ache die Grundlage zu einer<lb/>
Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Ritter&#x017F;chaft ge&#x017F;ehen hat, wie denn &#x017F;chon die Rede da-<lb/>
von war, die Ge&#x017F;chworenen allein aus ihm zu nehmen.</hi> </p><lb/>
              <p>189. Die Sta&#x0364;ndever&#x017F;ammlung hat bei jedem Regie-<lb/>
rungswech&#x017F;el die Ver&#x017F;icherung des Ko&#x0364;nigs, oder des mit<lb/>
ko&#x0364;niglicher Gewalt bekleideten Regenten, daß die Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung unverletzt aufrecht gehalten werden &#x017F;olle, zu empfan-<lb/>
gen und urkundlich zu bewahren. Ob bei Eid oder Ko&#x0364;nig-<lb/>
lichem Wort mag gleich gelten; <hi rendition="#aq">verba enim principis<lb/>
sunt et esse debent instar lapidis angularis, cui incon-<lb/>
cussa veritas superaedificanda immota stare debet</hi> <hi rendition="#sup">1</hi>).</p><lb/>
              <note place="end" n="1)">Worte eines getreuen Herzoglichen Rathes in Schleswig-Hol-<lb/>
&#x017F;tein, Laurentius La&#x0364;lius, auf dem Haderslebner Landtage von 1614.</note>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#g">Verhältniß der allgemeinen Ständever&#x017F;ammlung<lb/>
zu Provinzial-Ständen</hi>.</head><lb/>
              <p>190. Vor Alters reisten Ko&#x0364;nige von Land&#x017F;chaft zu<lb/>
Land&#x017F;chaft, die Meinung der Sta&#x0364;nde hier und dort ein-<lb/>
holend, um zuletzt nachzu&#x017F;ehen, ob &#x017F;ie &#x017F;ich unter <hi rendition="#g">einen</hi><lb/>
Hut bringen la&#x017F;&#x017F;e. Sobald aber eine Ver&#x017F;ammlung der<lb/>
Reichs&#x017F;ta&#x0364;nde vorhanden i&#x017F;t, la&#x0364;ßt &#x017F;ie den Ein&#x017F;pruch der Land-<lb/>
&#x017F;chaften nicht aufkommen. Sie thut recht daran; aber<lb/>
unrecht tha&#x0364;te &#x017F;ie nun gar keine Provinzial-Sta&#x0364;nde zuzu-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0167] Rechte der Staͤnde-Verſammlung. deren geſchaffen ſey. Jedes Mitglied der conſtituirenden Natio- nalverſammlung, 1200 an der Zahl, bezog taͤglich 18 Livres; jeder Tag koſtete alſo 21,600 Livres. Beim Ausbruche des Krie- ges 1792 widmeten die Deputirten 1∫3 ihrer traitemens dem Vaterlande (22. April). Das Wahlgeſetz vom 5. Febr. 1817 ſchaffte alle Diaͤten und Reiſegelder ab (a. 19. les députés à la chambre ne reçoivent ni traitement, ni indemnité), auch die Portofreiheit hoͤrte auf, die Wahlen wurden direct, aber ge- riethen nun vollends in die Hand eines geſchloſſenen Standes der Reichen, in dem man nicht ohne Urſache die Grundlage zu einer Roͤmiſchen Ritterſchaft geſehen hat, wie denn ſchon die Rede da- von war, die Geſchworenen allein aus ihm zu nehmen. 189. Die Staͤndeverſammlung hat bei jedem Regie- rungswechſel die Verſicherung des Koͤnigs, oder des mit koͤniglicher Gewalt bekleideten Regenten, daß die Verfaſ- ſung unverletzt aufrecht gehalten werden ſolle, zu empfan- gen und urkundlich zu bewahren. Ob bei Eid oder Koͤnig- lichem Wort mag gleich gelten; verba enim principis sunt et esse debent instar lapidis angularis, cui incon- cussa veritas superaedificanda immota stare debet 1). ¹⁾ Worte eines getreuen Herzoglichen Rathes in Schleswig-Hol- ſtein, Laurentius Laͤlius, auf dem Haderslebner Landtage von 1614. Verhältniß der allgemeinen Ständeverſammlung zu Provinzial-Ständen. 190. Vor Alters reisten Koͤnige von Landſchaft zu Landſchaft, die Meinung der Staͤnde hier und dort ein- holend, um zuletzt nachzuſehen, ob ſie ſich unter einen Hut bringen laſſe. Sobald aber eine Verſammlung der Reichsſtaͤnde vorhanden iſt, laͤßt ſie den Einſpruch der Land- ſchaften nicht aufkommen. Sie thut recht daran; aber unrecht thaͤte ſie nun gar keine Provinzial-Staͤnde zuzu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/167
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/167>, abgerufen am 20.11.2024.