Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung.
Wie der Staat zu der Menschheit stehe
.

1. Dem Staate geht kein Naturzustand voran, der
von blinden Trieben und vernunftlosen Menschen handelt.
Der Naturstand des Menschen ist Vernunft zu besitzen,
ein Über und ein Unter sich zu unterscheiden.

2. Der Staat ist also keine Erfindung, weder der
Noth noch der Kunst, keine Actiengesellschaft, keine Ma-
schine, kein aus einem frei aufgegebenen Naturleben her-
vorspringendes Vertragswerk, kein nothwendiges Übel, kein
mit der Zeit heilbares Gebrechen der Menschheit, er ist
eine ursprüngliche Ordnung, ein nothwendiger Zustand, ein
Vermögen der Menschheit und eines von den die Gattung
zur Vollendung führenden Vermögen.

3. Der Staat ist uranfänglich. Die Urfamilie ist
Urstaat; jede Familie, unabhängig dargestellt, ist Staat.
"Der Mensch ist von Natur ein Staatswesen." (Aristoteles).

4. Was man in der Beschreibung ungebildeter Völker
Naturstand nennt, ist nur ein minus der Staatsthätigkeit,
das aus einem unentwickelten Bewußtseyn des Staates
stammt. Man kann mehr Volk als Staat seyn, aber man

1*
Einleitung.
Wie der Staat zu der Menſchheit ſtehe
.

1. Dem Staate geht kein Naturzuſtand voran, der
von blinden Trieben und vernunftloſen Menſchen handelt.
Der Naturſtand des Menſchen iſt Vernunft zu beſitzen,
ein Über und ein Unter ſich zu unterſcheiden.

2. Der Staat iſt alſo keine Erfindung, weder der
Noth noch der Kunſt, keine Actiengeſellſchaft, keine Ma-
ſchine, kein aus einem frei aufgegebenen Naturleben her-
vorſpringendes Vertragswerk, kein nothwendiges Übel, kein
mit der Zeit heilbares Gebrechen der Menſchheit, er iſt
eine urſpruͤngliche Ordnung, ein nothwendiger Zuſtand, ein
Vermoͤgen der Menſchheit und eines von den die Gattung
zur Vollendung fuͤhrenden Vermoͤgen.

3. Der Staat iſt uranfaͤnglich. Die Urfamilie iſt
Urſtaat; jede Familie, unabhaͤngig dargeſtellt, iſt Staat.
„Der Menſch iſt von Natur ein Staatsweſen.“ (Ariſtoteles).

4. Was man in der Beſchreibung ungebildeter Voͤlker
Naturſtand nennt, iſt nur ein minus der Staatsthaͤtigkeit,
das aus einem unentwickelten Bewußtſeyn des Staates
ſtammt. Man kann mehr Volk als Staat ſeyn, aber man

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0015" n="[3]"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g"><hi rendition="#b">Einleitung.</hi><lb/>
Wie der Staat zu der Men&#x017F;chheit &#x017F;tehe</hi>.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>1. Dem Staate geht kein Naturzu&#x017F;tand voran, der<lb/>
von blinden Trieben und vernunftlo&#x017F;en Men&#x017F;chen handelt.<lb/>
Der Natur&#x017F;tand des Men&#x017F;chen i&#x017F;t Vernunft zu be&#x017F;itzen,<lb/>
ein Über und ein Unter &#x017F;ich zu unter&#x017F;cheiden.</p><lb/>
          <p>2. Der Staat i&#x017F;t al&#x017F;o keine Erfindung, weder der<lb/>
Noth noch der Kun&#x017F;t, keine Actienge&#x017F;ell&#x017F;chaft, keine Ma-<lb/>
&#x017F;chine, kein aus einem frei aufgegebenen Naturleben her-<lb/>
vor&#x017F;pringendes Vertragswerk, kein nothwendiges Übel, kein<lb/>
mit der Zeit heilbares Gebrechen der Men&#x017F;chheit, er i&#x017F;t<lb/>
eine ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Ordnung, ein nothwendiger Zu&#x017F;tand, ein<lb/>
Vermo&#x0364;gen der Men&#x017F;chheit und eines von den die Gattung<lb/>
zur Vollendung fu&#x0364;hrenden Vermo&#x0364;gen.</p><lb/>
          <p>3. Der Staat i&#x017F;t uranfa&#x0364;nglich. Die Urfamilie i&#x017F;t<lb/>
Ur&#x017F;taat; jede Familie, unabha&#x0364;ngig darge&#x017F;tellt, i&#x017F;t Staat.<lb/>
&#x201E;Der Men&#x017F;ch i&#x017F;t von Natur ein Staatswe&#x017F;en.&#x201C; (Ari&#x017F;toteles).</p><lb/>
          <p>4. Was man in der Be&#x017F;chreibung ungebildeter Vo&#x0364;lker<lb/>
Natur&#x017F;tand nennt, i&#x017F;t nur ein <hi rendition="#aq">minus</hi> der Staatstha&#x0364;tigkeit,<lb/>
das aus einem unentwickelten Bewußt&#x017F;eyn des Staates<lb/>
&#x017F;tammt. Man kann mehr Volk als Staat &#x017F;eyn, aber man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0015] Einleitung. Wie der Staat zu der Menſchheit ſtehe. 1. Dem Staate geht kein Naturzuſtand voran, der von blinden Trieben und vernunftloſen Menſchen handelt. Der Naturſtand des Menſchen iſt Vernunft zu beſitzen, ein Über und ein Unter ſich zu unterſcheiden. 2. Der Staat iſt alſo keine Erfindung, weder der Noth noch der Kunſt, keine Actiengeſellſchaft, keine Ma- ſchine, kein aus einem frei aufgegebenen Naturleben her- vorſpringendes Vertragswerk, kein nothwendiges Übel, kein mit der Zeit heilbares Gebrechen der Menſchheit, er iſt eine urſpruͤngliche Ordnung, ein nothwendiger Zuſtand, ein Vermoͤgen der Menſchheit und eines von den die Gattung zur Vollendung fuͤhrenden Vermoͤgen. 3. Der Staat iſt uranfaͤnglich. Die Urfamilie iſt Urſtaat; jede Familie, unabhaͤngig dargeſtellt, iſt Staat. „Der Menſch iſt von Natur ein Staatsweſen.“ (Ariſtoteles). 4. Was man in der Beſchreibung ungebildeter Voͤlker Naturſtand nennt, iſt nur ein minus der Staatsthaͤtigkeit, das aus einem unentwickelten Bewußtſeyn des Staates ſtammt. Man kann mehr Volk als Staat ſeyn, aber man 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/15
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/15>, abgerufen am 20.11.2024.