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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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edee oder edeen, woneben auch schon das contrahirte edein
und damit der Diphthong ei eintritt, der dazu bestimmt war,
sich in dieser Form mehr und mehr geltend zu machen. Die
zweite Stufe zeigt uns im Altattischen die 1. Sing, edee, 3. Sing.
edein und edei. Auf der dritten Stufe stehen die späteren
attischen Formen. Hier ist der verhängnissvolle Diphthong
schon in die 1. Sing. eingedrungen: edein. Ebenso in den
Pluralen: edeimen, edeite. In der 3. Pluralis aber wird das
altberechtigte e in edesan noch festgehalten. Erst im Ueber-
gang zur koine taucht edeisan auf, das also gewissermassen
ein viertes Stadium bezeichnet. Von demselben Fortwuchem
eines vocalischen Elements haben wir ein sicheres Beispiel im
Dativ Pl. der Adjectiva auf u. Von edus sollte der Dativ Pl.
regelrecht *edusi lauten. Diese Form ist aber schon aus
unseren frühesten Texten verschwunden und statt dessen das
e von edesi aus den übrigen Casusformen edeos, edees u. s. w.
eingedrungen. Ueber diesen Fall, sowie über ähnliche Fälle
herrscht jetzt wohl allgemeine Uebereinstimmung.

Uebertragungen von einem System zum andern entspre-
chen im grossen und ganzen dem, was die alten Grammatiker
Metaplasmus nennen. Metaplasmen aber werden überhaupt
nur dann glaublich sein, wenn ein Band der Bedeutung zwi-
schen den Formen stattfindet, wie es z. B. in agonois als
Dat. Pl. von agon geschieht. Es muss doch immer ein tertium
sein, in welchem a und b zusammen treffen, oder, anders auf-
gefasst, eine causa movens, durch welche eine Form a zu der
Gruppe b hinüber gezogen wird. Das gemeinsame liegt hier
auf den ersten Blick ausschliesslich in der Gleichheit des Casus.
Es kommt aber in solchen Fällen immer darauf an, auch die
Lautverhältnisse genau zu untersuchen und der Frage näher
zu treten, warum in dem bestimmten Falle die Sprache einem
solchen Metaplasmus sich hingab. Es wäre hart, anzunehmen,
dass die attische Form des Dat. Pl. agosi, die jenem agonois
mit seiner zweiten Hälfte so unähnlich ist, dennoch in diese

ᾔδεε oder ᾔδεεν, woneben auch schon das contrahirte ᾔδειν
und damit der Diphthong ει eintritt, der dazu bestimmt war,
sich in dieser Form mehr und mehr geltend zu machen. Die
zweite Stufe zeigt uns im Altattischen die 1. Sing, ᾔδεη, 3. Sing.
ᾔδειν und ᾔδει. Auf der dritten Stufe stehen die späteren
attischen Formen. Hier ist der verhängnissvolle Diphthong
schon in die 1. Sing. eingedrungen: ᾔδειν. Ebenso in den
Pluralen: ᾔδειμεν, ᾔδειτε. In der 3. Pluralis aber wird das
altberechtigte ε in ᾔδεσαν noch festgehalten. Erst im Ueber-
gang zur κοινή taucht ᾔδεισαν auf, das also gewissermassen
ein viertes Stadium bezeichnet. Von demselben Fortwuchem
eines vocalischen Elements haben wir ein sicheres Beispiel im
Dativ Pl. der Adjectiva auf υ. Von ἡδύς sollte der Dativ Pl.
regelrecht *ἡδύσι lauten. Diese Form ist aber schon aus
unseren frühesten Texten verschwunden und statt dessen das
ε von ἡδέσι aus den übrigen Casusformen ἡδέος, ἡδέες u. s. w.
eingedrungen. Ueber diesen Fall, sowie über ähnliche Fälle
herrscht jetzt wohl allgemeine Uebereinstimmung.

Uebertragungen von einem System zum andern entspre-
chen im grossen und ganzen dem, was die alten Grammatiker
Metaplasmus nennen. Metaplasmen aber werden überhaupt
nur dann glaublich sein, wenn ein Band der Bedeutung zwi-
schen den Formen stattfindet, wie es z. B. in ἀγώνοις als
Dat. Pl. von ἀγών geschieht. Es muss doch immer ein tertium
sein, in welchem a und b zusammen treffen, oder, anders auf-
gefasst, eine causa movens, durch welche eine Form a zu der
Gruppe b hinüber gezogen wird. Das gemeinsame liegt hier
auf den ersten Blick ausschliesslich in der Gleichheit des Casus.
Es kommt aber in solchen Fällen immer darauf an, auch die
Lautverhältnisse genau zu untersuchen und der Frage näher
zu treten, warum in dem bestimmten Falle die Sprache einem
solchen Metaplasmus sich hingab. Es wäre hart, anzunehmen,
dass die attische Form des Dat. Pl. ἄγωσι, die jenem ἀγώνοις
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[69/0077] ᾔδεε oder ᾔδεεν, woneben auch schon das contrahirte ᾔδειν und damit der Diphthong ει eintritt, der dazu bestimmt war, sich in dieser Form mehr und mehr geltend zu machen. Die zweite Stufe zeigt uns im Altattischen die 1. Sing, ᾔδεη, 3. Sing. ᾔδειν und ᾔδει. Auf der dritten Stufe stehen die späteren attischen Formen. Hier ist der verhängnissvolle Diphthong schon in die 1. Sing. eingedrungen: ᾔδειν. Ebenso in den Pluralen: ᾔδειμεν, ᾔδειτε. In der 3. Pluralis aber wird das altberechtigte ε in ᾔδεσαν noch festgehalten. Erst im Ueber- gang zur κοινή taucht ᾔδεισαν auf, das also gewissermassen ein viertes Stadium bezeichnet. Von demselben Fortwuchem eines vocalischen Elements haben wir ein sicheres Beispiel im Dativ Pl. der Adjectiva auf υ. Von ἡδύς sollte der Dativ Pl. regelrecht *ἡδύσι lauten. Diese Form ist aber schon aus unseren frühesten Texten verschwunden und statt dessen das ε von ἡδέσι aus den übrigen Casusformen ἡδέος, ἡδέες u. s. w. eingedrungen. Ueber diesen Fall, sowie über ähnliche Fälle herrscht jetzt wohl allgemeine Uebereinstimmung. Uebertragungen von einem System zum andern entspre- chen im grossen und ganzen dem, was die alten Grammatiker Metaplasmus nennen. Metaplasmen aber werden überhaupt nur dann glaublich sein, wenn ein Band der Bedeutung zwi- schen den Formen stattfindet, wie es z. B. in ἀγώνοις als Dat. Pl. von ἀγών geschieht. Es muss doch immer ein tertium sein, in welchem a und b zusammen treffen, oder, anders auf- gefasst, eine causa movens, durch welche eine Form a zu der Gruppe b hinüber gezogen wird. Das gemeinsame liegt hier auf den ersten Blick ausschliesslich in der Gleichheit des Casus. Es kommt aber in solchen Fällen immer darauf an, auch die Lautverhältnisse genau zu untersuchen und der Frage näher zu treten, warum in dem bestimmten Falle die Sprache einem solchen Metaplasmus sich hingab. Es wäre hart, anzunehmen, dass die attische Form des Dat. Pl. ἄγωσι, die jenem ἀγώνοις mit seiner zweiten Hälfte so unähnlich ist, dennoch in diese

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/77>, abgerufen am 26.04.2024.