Auch dem begabten Redner würde bange sein, wenn er beim Betreten dieses Platzes sich sagen müßte, daß er durch seine Worte der heutigen Feier Bedeutung und Inhalt zu geben berufen sei. Aber nicht das Reden und Redenhören ist die Hauptsache, sondern unser Zusammensein, und die Weihe des Festes liegt darin, daß wir uns in voller Zahl hier bei einander sehen, daß wir den Staub des Alltagslebens von den Füßen geschüttelt haben, daß wir, der Sorgen und Mühen ledig, mit freiem Geiste in gehobener Stimmung, von denselben Gefühlen dankbarer Freude tief und lebendig durch¬ drungen, in diesen ehrwürdigen Räumen zusammen sind, um die Wiederkehr des vaterländischen Festtags zu begrüßen, und ich erkenne meine schöne Aufgabe darin, daß ich nicht Neues zu ersinnen und Fernliegendes heranzuziehen habe, sondern Ihre Empfindungen auszusprechen und der Träger des Grußes zu sein, welchen wir dem geliebten Könige zu Seinem Geburts¬ tage darbringen.
Wohl ist scheinbar nichts geringfügiger, nichts äußerlicher und flüchtiger als ein Gruß. Nichts wird im täglichen Leben weniger geachtet, gedankenloser hingesprochen, gleichgültiger überhört -- und doch, davon sind wir heute Alle überzeugt,
XIV. Der Gruß.
Auch dem begabten Redner würde bange ſein, wenn er beim Betreten dieſes Platzes ſich ſagen müßte, daß er durch ſeine Worte der heutigen Feier Bedeutung und Inhalt zu geben berufen ſei. Aber nicht das Reden und Redenhören iſt die Hauptſache, ſondern unſer Zuſammenſein, und die Weihe des Feſtes liegt darin, daß wir uns in voller Zahl hier bei einander ſehen, daß wir den Staub des Alltagslebens von den Füßen geſchüttelt haben, daß wir, der Sorgen und Mühen ledig, mit freiem Geiſte in gehobener Stimmung, von denſelben Gefühlen dankbarer Freude tief und lebendig durch¬ drungen, in dieſen ehrwürdigen Räumen zuſammen ſind, um die Wiederkehr des vaterländiſchen Feſttags zu begrüßen, und ich erkenne meine ſchöne Aufgabe darin, daß ich nicht Neues zu erſinnen und Fernliegendes heranzuziehen habe, ſondern Ihre Empfindungen auszuſprechen und der Träger des Grußes zu ſein, welchen wir dem geliebten Könige zu Seinem Geburts¬ tage darbringen.
Wohl iſt ſcheinbar nichts geringfügiger, nichts äußerlicher und flüchtiger als ein Gruß. Nichts wird im täglichen Leben weniger geachtet, gedankenloſer hingeſprochen, gleichgültiger überhört — und doch, davon ſind wir heute Alle überzeugt,
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[0253]
XIV.
Der Gruß.
Auch dem begabten Redner würde bange ſein, wenn er
beim Betreten dieſes Platzes ſich ſagen müßte, daß er durch
ſeine Worte der heutigen Feier Bedeutung und Inhalt zu
geben berufen ſei. Aber nicht das Reden und Redenhören
iſt die Hauptſache, ſondern unſer Zuſammenſein, und die
Weihe des Feſtes liegt darin, daß wir uns in voller Zahl
hier bei einander ſehen, daß wir den Staub des Alltagslebens
von den Füßen geſchüttelt haben, daß wir, der Sorgen und
Mühen ledig, mit freiem Geiſte in gehobener Stimmung, von
denſelben Gefühlen dankbarer Freude tief und lebendig durch¬
drungen, in dieſen ehrwürdigen Räumen zuſammen ſind, um
die Wiederkehr des vaterländiſchen Feſttags zu begrüßen, und
ich erkenne meine ſchöne Aufgabe darin, daß ich nicht Neues
zu erſinnen und Fernliegendes heranzuziehen habe, ſondern
Ihre Empfindungen auszuſprechen und der Träger des Grußes
zu ſein, welchen wir dem geliebten Könige zu Seinem Geburts¬
tage darbringen.
Wohl iſt ſcheinbar nichts geringfügiger, nichts äußerlicher
und flüchtiger als ein Gruß. Nichts wird im täglichen Leben
weniger geachtet, gedankenloſer hingeſprochen, gleichgültiger
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/253>, abgerufen am 21.11.2024.
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