Die irrthümliche Meinung, daß es sich hierbei um eine neue Erscheinung handele, könnte die zutreffende Ansicht bergen, das beklagte Uebel habe in der neuesten Zeit zugenommen. Wenn uns die Statistik des Deutschen Reiches (ebenso die Statistik von England u. s. w.) belehrt, daß die Zahl der Eheschließungen nicht abgenommen hat, so braucht diese für die Gesammtheit der Bevölkerung festgestellte Thatsache nicht auszuschließen, daß in einer Minderzahl der Bevölkerung die behauptete Abnahme dennoch stattgefunden hat, nur daß sie sich in dem großen Durchschnitte der Gesammtheit verstecken und hier etwa durch die Vermehrung der Eheschließungen in den unteren Schichten ausgeglichen werden mag.
Jndessen, ob wir nun dieser Vermuthung Raum geben oder nicht, die wesentlichen Erwägungen bleiben ungefähr die- selben, und zu denen gehen wir jetzt über.
II.
Als im alten Rom die Bürgerkriege die Zahl der Bürger- schaft gelichtet hatten, wurde es die Sorge der ersten Caesaren, die Lücken der Bevölkerung zu ergänzen. August beschäftigte sich damit gleich im Anfange seiner Regierung, und das Er- gebniß langjähriger Bemühungen war die lex Julia et Papia Poppaea. Sie verhängte gesetzliche Nachtheile für den Cölibat, sie gewährte Belohnungen für die Ehe, sowie für die Er- zeugung und Aufziehung von Kindern; sie enthielt Vorschriften über das Erbrecht, die das Testament des unverheiratheten oder kinderlosen Mannes im Sinne einer Strafe beeinflußten, theils zu Gunsten der kinderreichen Leute, theils zu Gunsten des
Die irrthümliche Meinung, daß es sich hierbei um eine neue Erscheinung handele, könnte die zutreffende Ansicht bergen, das beklagte Uebel habe in der neuesten Zeit zugenommen. Wenn uns die Statistik des Deutschen Reiches (ebenso die Statistik von England u. s. w.) belehrt, daß die Zahl der Eheschließungen nicht abgenommen hat, so braucht diese für die Gesammtheit der Bevölkerung festgestellte Thatsache nicht auszuschließen, daß in einer Minderzahl der Bevölkerung die behauptete Abnahme dennoch stattgefunden hat, nur daß sie sich in dem großen Durchschnitte der Gesammtheit verstecken und hier etwa durch die Vermehrung der Eheschließungen in den unteren Schichten ausgeglichen werden mag.
Jndessen, ob wir nun dieser Vermuthung Raum geben oder nicht, die wesentlichen Erwägungen bleiben ungefähr die- selben, und zu denen gehen wir jetzt über.
II.
Als im alten Rom die Bürgerkriege die Zahl der Bürger- schaft gelichtet hatten, wurde es die Sorge der ersten Caesaren, die Lücken der Bevölkerung zu ergänzen. August beschäftigte sich damit gleich im Anfange seiner Regierung, und das Er- gebniß langjähriger Bemühungen war die lex Julia et Papia Poppaea. Sie verhängte gesetzliche Nachtheile für den Cölibat, sie gewährte Belohnungen für die Ehe, sowie für die Er- zeugung und Aufziehung von Kindern; sie enthielt Vorschriften über das Erbrecht, die das Testament des unverheiratheten oder kinderlosen Mannes im Sinne einer Strafe beeinflußten, theils zu Gunsten der kinderreichen Leute, theils zu Gunsten des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0077"n="61"/>
Die irrthümliche Meinung, daß es sich hierbei um eine neue<lb/>
Erscheinung handele, könnte die zutreffende Ansicht bergen, das<lb/>
beklagte Uebel habe in der neuesten Zeit zugenommen. Wenn<lb/>
uns die Statistik des Deutschen Reiches (ebenso die Statistik<lb/>
von England u. s. w.) belehrt, daß die Zahl der Eheschließungen<lb/>
nicht abgenommen hat, so braucht diese für die Gesammtheit<lb/>
der Bevölkerung festgestellte Thatsache nicht auszuschließen, daß<lb/>
in einer Minderzahl der Bevölkerung die behauptete Abnahme<lb/>
dennoch stattgefunden hat, nur daß sie sich in dem großen<lb/>
Durchschnitte der Gesammtheit verstecken und hier etwa durch<lb/>
die Vermehrung der Eheschließungen in den unteren Schichten<lb/>
ausgeglichen werden mag.</p><lb/><p>Jndessen, ob wir nun dieser Vermuthung Raum geben<lb/>
oder nicht, die wesentlichen Erwägungen bleiben ungefähr die-<lb/>
selben, und zu denen gehen wir jetzt über.</p><lb/></div><divn="3"><head><hirendition="#aq">II</hi>.</head><lb/><p>Als im alten Rom die Bürgerkriege die Zahl der Bürger-<lb/>
schaft gelichtet hatten, wurde es die Sorge der ersten Caesaren,<lb/>
die Lücken der Bevölkerung zu ergänzen. August beschäftigte<lb/>
sich damit gleich im Anfange seiner Regierung, und das Er-<lb/>
gebniß langjähriger Bemühungen war die <hirendition="#aq">lex Julia et Papia<lb/>
Poppaea</hi>. Sie verhängte gesetzliche Nachtheile für den Cölibat,<lb/>
sie gewährte Belohnungen für die Ehe, sowie für die Er-<lb/>
zeugung und Aufziehung von Kindern; sie enthielt Vorschriften<lb/>
über das Erbrecht, die das Testament des unverheiratheten oder<lb/>
kinderlosen Mannes im Sinne einer Strafe beeinflußten, theils<lb/>
zu Gunsten der kinderreichen Leute, theils zu Gunsten des<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[61/0077]
Die irrthümliche Meinung, daß es sich hierbei um eine neue
Erscheinung handele, könnte die zutreffende Ansicht bergen, das
beklagte Uebel habe in der neuesten Zeit zugenommen. Wenn
uns die Statistik des Deutschen Reiches (ebenso die Statistik
von England u. s. w.) belehrt, daß die Zahl der Eheschließungen
nicht abgenommen hat, so braucht diese für die Gesammtheit
der Bevölkerung festgestellte Thatsache nicht auszuschließen, daß
in einer Minderzahl der Bevölkerung die behauptete Abnahme
dennoch stattgefunden hat, nur daß sie sich in dem großen
Durchschnitte der Gesammtheit verstecken und hier etwa durch
die Vermehrung der Eheschließungen in den unteren Schichten
ausgeglichen werden mag.
Jndessen, ob wir nun dieser Vermuthung Raum geben
oder nicht, die wesentlichen Erwägungen bleiben ungefähr die-
selben, und zu denen gehen wir jetzt über.
II.
Als im alten Rom die Bürgerkriege die Zahl der Bürger-
schaft gelichtet hatten, wurde es die Sorge der ersten Caesaren,
die Lücken der Bevölkerung zu ergänzen. August beschäftigte
sich damit gleich im Anfange seiner Regierung, und das Er-
gebniß langjähriger Bemühungen war die lex Julia et Papia
Poppaea. Sie verhängte gesetzliche Nachtheile für den Cölibat,
sie gewährte Belohnungen für die Ehe, sowie für die Er-
zeugung und Aufziehung von Kindern; sie enthielt Vorschriften
über das Erbrecht, die das Testament des unverheiratheten oder
kinderlosen Mannes im Sinne einer Strafe beeinflußten, theils
zu Gunsten der kinderreichen Leute, theils zu Gunsten des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2021-02-18T15:54:56Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2021-02-18T15:54:56Z)
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: gekennzeichnet;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: keine Angabe;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: keine Angabe;
Kustoden: keine Angabe;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine Angabe;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/77>, abgerufen am 03.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.