det, (§. cit.) wieder ausgewickelt werde; und daß man sich die Sache nach ihren individuellen Um- ständen, und so viel möglich en detail erzehlen lasse.
§. 6. Vierter Versuch bey widersprechenden Aussagen.
Ohngeachtet durch die angeführten Mittel schon recht sehr viele widersprechende Aussagen können gehoben werden, so daß man auf solche Art durch den Zweiffel zur Gewißheit durchdringet; so werden doch Fälle übrig bleiben, wo dadurch der vorhan- dene Widerspruch noch nicht gehoben wird; ja wo man nicht einmahl vermuthen kan, daß er auf sol- che Art könne gehoben werden: wenn nehmlich die Worte der Aussagen so bestimmt, so genau ge- fast sind, daß es ist, als wenn man bey der Sache selbst gegenwärtig gewesen wäre. Hier scheinet es nunmehro unvermeidlich zu seyn, daß nicht einer von beyden vorsetzlich die Unwahrheit sagen sollte: allein es ist noch vorher ein anderer Casus möglich: nehmlich daß die Aussager die Sache aus ver- schiedenen Sehepuncten angesehen haben, und darum einander widersprechen. Z. E. Man be- findet sich an einem angelauffenen Wasser, und fragt deswegen die Leute in der Nähe, ob man durch- fahren könne: die meisten sagen: nein! einer et- wa, oder der andere: ja! der es bejahet, kan noch darzu Exempel anführen, daß welche bey eben so hohem Wasser durchgefahren wären. Warum widersprechen diese einander? nehmlich der letztere hat etwa einmahl einen hochgebauten Wagen
durch-
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v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
det, (§. cit.) wieder ausgewickelt werde; und daß man ſich die Sache nach ihren individuellen Um- ſtaͤnden, und ſo viel moͤglich en detail erzehlen laſſe.
§. 6. Vierter Verſuch bey widerſprechenden Ausſagen.
Ohngeachtet durch die angefuͤhrten Mittel ſchon recht ſehr viele widerſprechende Ausſagen koͤnnen gehoben werden, ſo daß man auf ſolche Art durch den Zweiffel zur Gewißheit durchdringet; ſo werden doch Faͤlle uͤbrig bleiben, wo dadurch der vorhan- dene Widerſpruch noch nicht gehoben wird; ja wo man nicht einmahl vermuthen kan, daß er auf ſol- che Art koͤnne gehoben werden: wenn nehmlich die Worte der Ausſagen ſo beſtimmt, ſo genau ge- faſt ſind, daß es iſt, als wenn man bey der Sache ſelbſt gegenwaͤrtig geweſen waͤre. Hier ſcheinet es nunmehro unvermeidlich zu ſeyn, daß nicht einer von beyden vorſetzlich die Unwahrheit ſagen ſollte: allein es iſt noch vorher ein anderer Caſus moͤglich: nehmlich daß die Ausſager die Sache aus ver- ſchiedenen Sehepuncten angeſehen haben, und darum einander widerſprechen. Z. E. Man be- findet ſich an einem angelauffenen Waſſer, und fragt deswegen die Leute in der Naͤhe, ob man durch- fahren koͤnne: die meiſten ſagen: nein! einer et- wa, oder der andere: ja! der es bejahet, kan noch darzu Exempel anfuͤhren, daß welche bey eben ſo hohem Waſſer durchgefahren waͤren. Warum widerſprechen dieſe einander? nehmlich der letztere hat etwa einmahl einen hochgebauten Wagen
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v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
det, (§. cit.) wieder ausgewickelt werde; und daß
man ſich die Sache nach ihren individuellen Um-
ſtaͤnden, und ſo viel moͤglich en detail erzehlen
laſſe.
§. 6.
Vierter Verſuch bey widerſprechenden
Ausſagen.
Ohngeachtet durch die angefuͤhrten Mittel ſchon
recht ſehr viele widerſprechende Ausſagen koͤnnen
gehoben werden, ſo daß man auf ſolche Art durch
den Zweiffel zur Gewißheit durchdringet; ſo werden
doch Faͤlle uͤbrig bleiben, wo dadurch der vorhan-
dene Widerſpruch noch nicht gehoben wird; ja wo
man nicht einmahl vermuthen kan, daß er auf ſol-
che Art koͤnne gehoben werden: wenn nehmlich die
Worte der Ausſagen ſo beſtimmt, ſo genau ge-
faſt ſind, daß es iſt, als wenn man bey der Sache
ſelbſt gegenwaͤrtig geweſen waͤre. Hier ſcheinet es
nunmehro unvermeidlich zu ſeyn, daß nicht einer
von beyden vorſetzlich die Unwahrheit ſagen ſollte:
allein es iſt noch vorher ein anderer Caſus moͤglich:
nehmlich daß die Ausſager die Sache aus ver-
ſchiedenen Sehepuncten angeſehen haben, und
darum einander widerſprechen. Z. E. Man be-
findet ſich an einem angelauffenen Waſſer, und
fragt deswegen die Leute in der Naͤhe, ob man durch-
fahren koͤnne: die meiſten ſagen: nein! einer et-
wa, oder der andere: ja! der es bejahet, kan
noch darzu Exempel anfuͤhren, daß welche bey eben
ſo hohem Waſſer durchgefahren waͤren. Warum
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/361>, abgerufen am 13.11.2024.
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