Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Capitel,
einschlagen können, wie schon Claudianus sich
ausdrückt?

O nimium dilecte Deo, cui militat aether:
Wobey aber doch der Menschen Anschlag das
Hauptwerck bleibt. Hierbey dencken die Menschen
nun so verschieden, daß es kaum möglich zu seyn schei-
net, etwas ordentliches und regelmäßiges davon
sagen zu können: Doch wollen wir uns bemühen,
Regeln ausfündig zu machen, nach welchen die
Menschen, wo nicht allemahl die Ursachen selbst
finden, doch wenigstens sich in ihren widersprechen-
den Urtheilen, einander bedeuten und leichter
vereinigen können. Wir müssen aber zuförderst
zwey Fälle unterscheiden. Der erste ist, wo wir
die vorhergegangenen zur Sache gehörenden Um-
stände erfragen, oder gar wissen können; denn
da kommt es hernach nur darauf an, wornach
wir fragen, oder worauf wir sehen sollen? Der
zweyte Fall ist: Wo wir die vorhergegangenen
Umstände nicht wissen, und auch nicht erfragen
können, so daß wir sie lediglich aus den gegen-
wärtigen muthmassen, errathen,
und schlüs-
sen
müssen. Der letzte Fall ist der schwehrste; und
man wird davon fast gar nichts tüchtiges lehren kön-
nen, wenn wir nicht vorher den erstern in mehrers
Licht gesetzet haben.

§. 37.
Von der Erfindung der Ursachen, wenn uns das
Vorhergegangene bekannt ist.

Wenn wir das Vorhergegangene wissen, (oh-
ne doch zur Zeit seinen Einfluß in das gegenwärtige

Geschäffte

Achtes Capitel,
einſchlagen koͤnnen, wie ſchon Claudianus ſich
ausdruͤckt?

O nimium dilecte Deo, cui militat aether:
Wobey aber doch der Menſchen Anſchlag das
Hauptwerck bleibt. Hierbey dencken die Menſchen
nun ſo verſchieden, daß es kaum moͤglich zu ſeyn ſchei-
net, etwas ordentliches und regelmaͤßiges davon
ſagen zu koͤnnen: Doch wollen wir uns bemuͤhen,
Regeln ausfuͤndig zu machen, nach welchen die
Menſchen, wo nicht allemahl die Urſachen ſelbſt
finden, doch wenigſtens ſich in ihren widerſprechen-
den Urtheilen, einander bedeuten und leichter
vereinigen koͤnnen. Wir muͤſſen aber zufoͤrderſt
zwey Faͤlle unterſcheiden. Der erſte iſt, wo wir
die vorhergegangenen zur Sache gehoͤrenden Um-
ſtaͤnde erfragen, oder gar wiſſen koͤnnen; denn
da kommt es hernach nur darauf an, wornach
wir fragen, oder worauf wir ſehen ſollen? Der
zweyte Fall iſt: Wo wir die vorhergegangenen
Umſtaͤnde nicht wiſſen, und auch nicht erfragen
koͤnnen, ſo daß wir ſie lediglich aus den gegen-
waͤrtigen muthmaſſen, errathen,
und ſchluͤſ-
ſen
muͤſſen. Der letzte Fall iſt der ſchwehrſte; und
man wird davon faſt gar nichts tuͤchtiges lehren koͤn-
nen, wenn wir nicht vorher den erſtern in mehrers
Licht geſetzet haben.

§. 37.
Von der Erfindung der Urſachen, wenn uns das
Vorhergegangene bekannt iſt.

Wenn wir das Vorhergegangene wiſſen, (oh-
ne doch zur Zeit ſeinen Einfluß in das gegenwaͤrtige

Geſchaͤffte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0288" n="252"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Capitel,</hi></fw><lb/>
ein&#x017F;chlagen ko&#x0364;nnen, wie &#x017F;chon <hi rendition="#fr">Claudianus</hi> &#x017F;ich<lb/>
ausdru&#x0364;ckt?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">O nimium dilecte Deo, cui militat aether:</hi><lb/>
Wobey aber doch der Men&#x017F;chen An&#x017F;chlag das<lb/>
Hauptwerck bleibt. Hierbey dencken die Men&#x017F;chen<lb/>
nun &#x017F;o ver&#x017F;chieden, daß es kaum mo&#x0364;glich zu &#x017F;eyn &#x017F;chei-<lb/>
net, etwas ordentliches und regelma&#x0364;ßiges davon<lb/>
&#x017F;agen zu ko&#x0364;nnen: Doch wollen wir uns bemu&#x0364;hen,<lb/>
Regeln ausfu&#x0364;ndig zu machen, nach welchen die<lb/>
Men&#x017F;chen, wo nicht allemahl die Ur&#x017F;achen &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
finden, doch wenig&#x017F;tens &#x017F;ich in ihren wider&#x017F;prechen-<lb/>
den Urtheilen, einander <hi rendition="#fr">bedeuten</hi> und leichter<lb/>
vereinigen ko&#x0364;nnen. Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en aber zufo&#x0364;rder&#x017F;t<lb/>
zwey Fa&#x0364;lle unter&#x017F;cheiden. Der <hi rendition="#fr">er&#x017F;te</hi> i&#x017F;t, wo wir<lb/>
die vorhergegangenen zur Sache geho&#x0364;renden Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde <hi rendition="#fr">erfragen,</hi> oder gar <hi rendition="#fr">wi&#x017F;&#x017F;en</hi> ko&#x0364;nnen; denn<lb/>
da kommt es hernach nur darauf an, wornach<lb/>
wir <hi rendition="#fr">fragen,</hi> oder worauf wir <hi rendition="#fr">&#x017F;ehen</hi> &#x017F;ollen? Der<lb/><hi rendition="#fr">zweyte</hi> Fall i&#x017F;t: Wo wir die vorhergegangenen<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde nicht wi&#x017F;&#x017F;en, und auch nicht erfragen<lb/>
ko&#x0364;nnen, &#x017F;o daß wir &#x017F;ie lediglich aus den <hi rendition="#fr">gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtigen muthma&#x017F;&#x017F;en, errathen,</hi> und <hi rendition="#fr">&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en</hi> mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Der letzte Fall i&#x017F;t der &#x017F;chwehr&#x017F;te; und<lb/>
man wird davon fa&#x017F;t gar nichts tu&#x0364;chtiges lehren ko&#x0364;n-<lb/>
nen, wenn wir nicht vorher den er&#x017F;tern in mehrers<lb/>
Licht ge&#x017F;etzet haben.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 37.<lb/>
Von der Erfindung der Ur&#x017F;achen, wenn uns das<lb/>
Vorhergegangene bekannt i&#x017F;t.</head><lb/>
          <p>Wenn wir das Vorhergegangene wi&#x017F;&#x017F;en, (oh-<lb/>
ne doch zur Zeit &#x017F;einen Einfluß in das gegenwa&#x0364;rtige<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0288] Achtes Capitel, einſchlagen koͤnnen, wie ſchon Claudianus ſich ausdruͤckt? O nimium dilecte Deo, cui militat aether: Wobey aber doch der Menſchen Anſchlag das Hauptwerck bleibt. Hierbey dencken die Menſchen nun ſo verſchieden, daß es kaum moͤglich zu ſeyn ſchei- net, etwas ordentliches und regelmaͤßiges davon ſagen zu koͤnnen: Doch wollen wir uns bemuͤhen, Regeln ausfuͤndig zu machen, nach welchen die Menſchen, wo nicht allemahl die Urſachen ſelbſt finden, doch wenigſtens ſich in ihren widerſprechen- den Urtheilen, einander bedeuten und leichter vereinigen koͤnnen. Wir muͤſſen aber zufoͤrderſt zwey Faͤlle unterſcheiden. Der erſte iſt, wo wir die vorhergegangenen zur Sache gehoͤrenden Um- ſtaͤnde erfragen, oder gar wiſſen koͤnnen; denn da kommt es hernach nur darauf an, wornach wir fragen, oder worauf wir ſehen ſollen? Der zweyte Fall iſt: Wo wir die vorhergegangenen Umſtaͤnde nicht wiſſen, und auch nicht erfragen koͤnnen, ſo daß wir ſie lediglich aus den gegen- waͤrtigen muthmaſſen, errathen, und ſchluͤſ- ſen muͤſſen. Der letzte Fall iſt der ſchwehrſte; und man wird davon faſt gar nichts tuͤchtiges lehren koͤn- nen, wenn wir nicht vorher den erſtern in mehrers Licht geſetzet haben. §. 37. Von der Erfindung der Urſachen, wenn uns das Vorhergegangene bekannt iſt. Wenn wir das Vorhergegangene wiſſen, (oh- ne doch zur Zeit ſeinen Einfluß in das gegenwaͤrtige Geſchaͤffte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/288
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/288>, abgerufen am 30.12.2024.