Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung etc. in gantz andern Umständen befindet, und an derGeschichte, welche erzehlt wird, keinen sonderli- chen, oder wohl gar, gar keinen Antheil daran hat, kan vermöge der Erzehlung (wenn sie nicht ausdrücklich dazu eingerichtet wird,) nicht in den Affeckt gebracht werden, worinne sich der Erzeh- ler befindet. Z. E. wer abgebrannt ist, wird vie- le Jahre nachher nicht ohne Regung an das ihm begegnete Unglück dencken, und eben so wenig ohne Regung erzehlen, wenn er solches gleich mit den dürresten Worten thut. Der Zuhörer aber wird, wegen Verschiedenheit seines Zustandes, dadurch keines weges gerühret werden. Wie sehr hat sich Cicero nicht gefreuet, so offt er an seine Zurück- kunfft und Einhohlung nach Rom dachte. Man kan aus seinen Reden sehen, wie ihm zu Muthe gewesen ist, wenn er davon geredet oder erzehlt hat. Weil er nehmlich ein Redner war, so hat er selten trocken davon geredet, daher haben auch viele seiner Zuhörer dadurch können bewegt werden: doch wird vielen, ja ihnen allen gantz anders zu Muthe gewesen seyn, als dem Cicero: wie wir auch noch jetzo, wenn wir seine Oratio- nes post reditum lesen, gewiß die Grösse der Freude nicht spühren, die er dabey gehabt, ge- schweige, daß wir seine Freude spühren wür- den, woferne er nur gelegentlich davon redet, und wenn er trocken davon geredet hätte. §. 16. Von dem Verstande einer Nachricht. Was sich nun in Ansehung derer zutragen richt
v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. in gantz andern Umſtaͤnden befindet, und an derGeſchichte, welche erzehlt wird, keinen ſonderli- chen, oder wohl gar, gar keinen Antheil daran hat, kan vermoͤge der Erzehlung (wenn ſie nicht ausdruͤcklich dazu eingerichtet wird,) nicht in den Affeckt gebracht werden, worinne ſich der Erzeh- ler befindet. Z. E. wer abgebrannt iſt, wird vie- le Jahre nachher nicht ohne Regung an das ihm begegnete Ungluͤck dencken, und eben ſo wenig ohne Regung erzehlen, wenn er ſolches gleich mit den duͤrreſten Worten thut. Der Zuhoͤrer aber wird, wegen Verſchiedenheit ſeines Zuſtandes, dadurch keines weges geruͤhret werden. Wie ſehr hat ſich Cicero nicht gefreuet, ſo offt er an ſeine Zuruͤck- kunfft und Einhohlung nach Rom dachte. Man kan aus ſeinen Reden ſehen, wie ihm zu Muthe geweſen iſt, wenn er davon geredet oder erzehlt hat. Weil er nehmlich ein Redner war, ſo hat er ſelten trocken davon geredet, daher haben auch viele ſeiner Zuhoͤrer dadurch koͤnnen bewegt werden: doch wird vielen, ja ihnen allen gantz anders zu Muthe geweſen ſeyn, als dem Cicero: wie wir auch noch jetzo, wenn wir ſeine Oratio- nes poſt reditum leſen, gewiß die Groͤſſe der Freude nicht ſpuͤhren, die er dabey gehabt, ge- ſchweige, daß wir ſeine Freude ſpuͤhren wuͤr- den, woferne er nur gelegentlich davon redet, und wenn er trocken davon geredet haͤtte. §. 16. Von dem Verſtande einer Nachricht. Was ſich nun in Anſehung derer zutragen richt
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v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
in gantz andern Umſtaͤnden befindet, und an der
Geſchichte, welche erzehlt wird, keinen ſonderli-
chen, oder wohl gar, gar keinen Antheil daran
hat, kan vermoͤge der Erzehlung (wenn ſie nicht
ausdruͤcklich dazu eingerichtet wird,) nicht in den
Affeckt gebracht werden, worinne ſich der Erzeh-
ler befindet. Z. E. wer abgebrannt iſt, wird vie-
le Jahre nachher nicht ohne Regung an das ihm
begegnete Ungluͤck dencken, und eben ſo wenig
ohne Regung erzehlen, wenn er ſolches gleich mit den
duͤrreſten Worten thut. Der Zuhoͤrer aber wird,
wegen Verſchiedenheit ſeines Zuſtandes, dadurch
keines weges geruͤhret werden. Wie ſehr hat ſich
Cicero nicht gefreuet, ſo offt er an ſeine Zuruͤck-
kunfft und Einhohlung nach Rom dachte. Man
kan aus ſeinen Reden ſehen, wie ihm zu Muthe
geweſen iſt, wenn er davon geredet oder erzehlt
hat. Weil er nehmlich ein Redner war, ſo hat
er ſelten trocken davon geredet, daher haben
auch viele ſeiner Zuhoͤrer dadurch koͤnnen bewegt
werden: doch wird vielen, ja ihnen allen gantz
anders zu Muthe geweſen ſeyn, als dem Cicero:
wie wir auch noch jetzo, wenn wir ſeine Oratio-
nes poſt reditum leſen, gewiß die Groͤſſe der
Freude nicht ſpuͤhren, die er dabey gehabt, ge-
ſchweige, daß wir ſeine Freude ſpuͤhren wuͤr-
den, woferne er nur gelegentlich davon redet, und
wenn er trocken davon geredet haͤtte.
§. 16.
Von dem Verſtande einer Nachricht.
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