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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Siebentes Capitel,
widersprochen wird. Zur Noth könten wir uns
auch mit dem Worte Zuschauer behelffen. Denn
obgleich derselbe das Gesehene bey sich behalten
kan, und öffters solches auch würcklich thut, so ist
er doch in diesem Falle, in Ansehung der Aus-
breitung der Geschichte, vor ein non ens und vor
einen todten Mann zu halten. Wir werden uns
also zwar auch dieses Wortes bedienen, wo es ohne
Zweydeutigkeit geschehen kan: aber es ist doch zu-
förderst nöthig gewesen, die Hauptperson bey ei-
ner Erzehlung mit ihrem eigenen und besondern
Nahmen zu bezeichnen.

§. 4.
Dem Urheber folgen die Nachsager.

Derjenige, der sich eine Sache vom Zu-
schauer erzehlen lässet, muß nunmehro auch seinen
Nahmen bekommen. Wenn er es nicht bey sich
behält, sondern weiter erzehlt, so heisset es von
ihm, er sage es nach, davon man das Sub-
stantiuum,
der Nachsager, süglich bilden kan;
dessen wir uns forthin bedienen wollen. Jm la-
teinischen hat uns das Wort suffragator zur Zeit
am besten gefallen; aber keines weges die Be-
nennung, testis auritus. Denn eine Geschichte,
wenn sie durch tausend Leute ihren Mund gehet,
und also bey nahe eben so offte nachgesagt wird,
so braucht sie noch immer keinen Zeugen, und
mithin auch keinen Ohrenzeugen, so lange ihr
nicht widersprochen wird. Aber allemahl muß
jemand vorhanden seyn, der die Geschichte, die
jemand erst erkennen soll, aussaget; und dieser

ist

Siebentes Capitel,
widerſprochen wird. Zur Noth koͤnten wir uns
auch mit dem Worte Zuſchauer behelffen. Denn
obgleich derſelbe das Geſehene bey ſich behalten
kan, und oͤffters ſolches auch wuͤrcklich thut, ſo iſt
er doch in dieſem Falle, in Anſehung der Aus-
breitung der Geſchichte, vor ein non ens und vor
einen todten Mann zu halten. Wir werden uns
alſo zwar auch dieſes Wortes bedienen, wo es ohne
Zweydeutigkeit geſchehen kan: aber es iſt doch zu-
foͤrderſt noͤthig geweſen, die Hauptperſon bey ei-
ner Erzehlung mit ihrem eigenen und beſondern
Nahmen zu bezeichnen.

§. 4.
Dem Urheber folgen die Nachſager.

Derjenige, der ſich eine Sache vom Zu-
ſchauer erzehlen laͤſſet, muß nunmehro auch ſeinen
Nahmen bekommen. Wenn er es nicht bey ſich
behaͤlt, ſondern weiter erzehlt, ſo heiſſet es von
ihm, er ſage es nach, davon man das Sub-
ſtantiuum,
der Nachſager, ſuͤglich bilden kan;
deſſen wir uns forthin bedienen wollen. Jm la-
teiniſchen hat uns das Wort ſuffragator zur Zeit
am beſten gefallen; aber keines weges die Be-
nennung, teſtis auritus. Denn eine Geſchichte,
wenn ſie durch tauſend Leute ihren Mund gehet,
und alſo bey nahe eben ſo offte nachgeſagt wird,
ſo braucht ſie noch immer keinen Zeugen, und
mithin auch keinen Ohrenzeugen, ſo lange ihr
nicht widerſprochen wird. Aber allemahl muß
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jemand erſt erkennen ſoll, ausſaget; und dieſer

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[158/0194] Siebentes Capitel, widerſprochen wird. Zur Noth koͤnten wir uns auch mit dem Worte Zuſchauer behelffen. Denn obgleich derſelbe das Geſehene bey ſich behalten kan, und oͤffters ſolches auch wuͤrcklich thut, ſo iſt er doch in dieſem Falle, in Anſehung der Aus- breitung der Geſchichte, vor ein non ens und vor einen todten Mann zu halten. Wir werden uns alſo zwar auch dieſes Wortes bedienen, wo es ohne Zweydeutigkeit geſchehen kan: aber es iſt doch zu- foͤrderſt noͤthig geweſen, die Hauptperſon bey ei- ner Erzehlung mit ihrem eigenen und beſondern Nahmen zu bezeichnen. §. 4. Dem Urheber folgen die Nachſager. Derjenige, der ſich eine Sache vom Zu- ſchauer erzehlen laͤſſet, muß nunmehro auch ſeinen Nahmen bekommen. Wenn er es nicht bey ſich behaͤlt, ſondern weiter erzehlt, ſo heiſſet es von ihm, er ſage es nach, davon man das Sub- ſtantiuum, der Nachſager, ſuͤglich bilden kan; deſſen wir uns forthin bedienen wollen. Jm la- teiniſchen hat uns das Wort ſuffragator zur Zeit am beſten gefallen; aber keines weges die Be- nennung, teſtis auritus. Denn eine Geſchichte, wenn ſie durch tauſend Leute ihren Mund gehet, und alſo bey nahe eben ſo offte nachgeſagt wird, ſo braucht ſie noch immer keinen Zeugen, und mithin auch keinen Ohrenzeugen, ſo lange ihr nicht widerſprochen wird. Aber allemahl muß jemand vorhanden ſeyn, der die Geſchichte, die jemand erſt erkennen ſoll, ausſaget; und dieſer iſt

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/194>, abgerufen am 13.11.2024.