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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung etc.
oder Gegenwärtige nennen; denen also die Ab-
wesenden
entgegen zu setzen sind; das ist solche,
die die Geschichte nicht gesehen haben, oder nicht
dabey gegenwärtig gewesen sind.

§. 3.
Der Urheber ist die Hauptperson bey der
Ausbreitung.

Jn so ferne ein gegenwärtig Gewesener das
Vorgegangene erzehlet oder aussaget, so heisset er
Autor, Urheber, nehmlich der Erzehlung und
der Nachricht. Das Wort Augenzeuge ge-
fällt uns so wenig, als das lateinische testis ocu-
latus,
weil wir gerne den wahren Begriff des
Zeugens bekannter machen wollten, der mit die-
sen jetzo gegebenen beständig vermenget wird.
Denn so lange dieses nicht geschiehet, sind und
bleiben alle unsere Gedancken von der historischen
Erkentniß in der g[rö]sten Verwirrung. Autor,
welches Wort bey nahe das deutsche Bürger-
recht schon erhalten hat, gefället uns besser, und
also auch das deutsche Wort: Urheber. Wir
treten der Liebe zwar nicht gerne zu nahe, die
manche, ja recht viele, vor die eingeführten For-
meln testis oculatus und auritus haben: allein
die Beförderung der richtigen Erkentniß muß vor-
gehen: und die Verwirrung muß bey Anrich-
tung einer Kunst zuförderst entdeckt, und aus den
Wege geräumet werden. Nun braucht jede Er-
zehlung einen Urheber, aber nicht einen Zeugen,
folglich auch keinen Augenzeugen: sondern Zeu-
gen sind nur denn nöthig, wenn der Geschichte

wider-

v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
oder Gegenwaͤrtige nennen; denen alſo die Ab-
weſenden
entgegen zu ſetzen ſind; das iſt ſolche,
die die Geſchichte nicht geſehen haben, oder nicht
dabey gegenwaͤrtig geweſen ſind.

§. 3.
Der Urheber iſt die Hauptperſon bey der
Ausbreitung.

Jn ſo ferne ein gegenwaͤrtig Geweſener das
Vorgegangene erzehlet oder ausſaget, ſo heiſſet er
Autor, Urheber, nehmlich der Erzehlung und
der Nachricht. Das Wort Augenzeuge ge-
faͤllt uns ſo wenig, als das lateiniſche teſtis ocu-
latus,
weil wir gerne den wahren Begriff des
Zeugens bekannter machen wollten, der mit die-
ſen jetzo gegebenen beſtaͤndig vermenget wird.
Denn ſo lange dieſes nicht geſchiehet, ſind und
bleiben alle unſere Gedancken von der hiſtoriſchen
Erkentniß in der g[roͤ]ſten Verwirrung. Autor,
welches Wort bey nahe das deutſche Buͤrger-
recht ſchon erhalten hat, gefaͤllet uns beſſer, und
alſo auch das deutſche Wort: Urheber. Wir
treten der Liebe zwar nicht gerne zu nahe, die
manche, ja recht viele, vor die eingefuͤhrten For-
meln teſtis oculatus und auritus haben: allein
die Befoͤrderung der richtigen Erkentniß muß vor-
gehen: und die Verwirrung muß bey Anrich-
tung einer Kunſt zufoͤrderſt entdeckt, und aus den
Wege geraͤumet werden. Nun braucht jede Er-
zehlung einen Urheber, aber nicht einen Zeugen,
folglich auch keinen Augenzeugen: ſondern Zeu-
gen ſind nur denn noͤthig, wenn der Geſchichte

wider-
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[157/0193] v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. oder Gegenwaͤrtige nennen; denen alſo die Ab- weſenden entgegen zu ſetzen ſind; das iſt ſolche, die die Geſchichte nicht geſehen haben, oder nicht dabey gegenwaͤrtig geweſen ſind. §. 3. Der Urheber iſt die Hauptperſon bey der Ausbreitung. Jn ſo ferne ein gegenwaͤrtig Geweſener das Vorgegangene erzehlet oder ausſaget, ſo heiſſet er Autor, Urheber, nehmlich der Erzehlung und der Nachricht. Das Wort Augenzeuge ge- faͤllt uns ſo wenig, als das lateiniſche teſtis ocu- latus, weil wir gerne den wahren Begriff des Zeugens bekannter machen wollten, der mit die- ſen jetzo gegebenen beſtaͤndig vermenget wird. Denn ſo lange dieſes nicht geſchiehet, ſind und bleiben alle unſere Gedancken von der hiſtoriſchen Erkentniß in der groͤſten Verwirrung. Autor, welches Wort bey nahe das deutſche Buͤrger- recht ſchon erhalten hat, gefaͤllet uns beſſer, und alſo auch das deutſche Wort: Urheber. Wir treten der Liebe zwar nicht gerne zu nahe, die manche, ja recht viele, vor die eingefuͤhrten For- meln teſtis oculatus und auritus haben: allein die Befoͤrderung der richtigen Erkentniß muß vor- gehen: und die Verwirrung muß bey Anrich- tung einer Kunſt zufoͤrderſt entdeckt, und aus den Wege geraͤumet werden. Nun braucht jede Er- zehlung einen Urheber, aber nicht einen Zeugen, folglich auch keinen Augenzeugen: ſondern Zeu- gen ſind nur denn noͤthig, wenn der Geſchichte wider-

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/193>, abgerufen am 13.11.2024.