Dritte Lebensperiode. Wie nämlich in der ersten die Geschlechter sich mehr glichen, die weiblichen Geschlechts- theile ohne eigentliche Funktion waren, und der Uterus selbst, diesem angemessen, eine andere Gestalt und verdichtete weni- ger blutreiche Wände zeigte, so tritt ein ähnlicher Zustand nun auch im höhern Alter, in der dritten Lebensperiode des weiblichen Körpers ein. Der Uterus wird fester, ja beynahe knorpelartig, und die Vaginalportion ist bey Frauen, welche mehrere Male geboren haben, wulstig; der Muttermund un- eben, und es erinnert so die allgemeine Gestalt des Frucht- hälters wieder einigermaßen an die noch nicht entwickelte Form desselben im Kinde. Die Ovarien welken und fallen zusammen, ja sogar die äußern Geschlechtstheile erschlaffen und verlieren die ihnen vorher eigenthümliche Gestalt. Die äußern Schamlippen weichen aus einander, die innern Scham- lippen und die Klitoris werden wieder (wie beym unreifen Mädchen) sichtbar; die Brüste verlieren ihre Elasticität, fal- len zusammen, und sind, eben so wie der Uterus jetzt zur Ausscheidung der Menstruation unfähig wird, zu einer er- höhten absondernden Gefäßthätigkeit nicht mehr geeignet. -- Auf gleiche Weise indeß wie die erhöhte Thätigkeit der Ge- schlechtsorgane in der Periode der Zeugungsfähigkeit nicht sowohl Ursache als vielmehr Folge allgemeiner Körperverän- derungen war, so ist auch dieses Hinwelken im Alter nicht als Ursache, sondern als Folge von Umänderungen anzuse- hen, welche im allgemeinen Körperbefinden Statt gehabt ha- ben und sich auf Sinken reproduktiver Thätigkeit beziehen.
§. 76.
Diese Verminderung der Assimilation und allgemeinen bildenden Thätigkeit, welche dem Organismus überhaupt bey vorrückender Lebenszeit nothwendig ist, und als Folge des Gegensatzes zwischen Individuum und Gesammtheit der Na- tur erscheint, äußert sich der Regel nach durch wirkliche Stoffabnahme; der Körper fällt zusammen, die reichlichen Ablagerungen von Fett und Zellgewebe verschwinden, die
§. 75.
Dritte Lebensperiode. Wie naͤmlich in der erſten die Geſchlechter ſich mehr glichen, die weiblichen Geſchlechts- theile ohne eigentliche Funktion waren, und der Uterus ſelbſt, dieſem angemeſſen, eine andere Geſtalt und verdichtete weni- ger blutreiche Waͤnde zeigte, ſo tritt ein aͤhnlicher Zuſtand nun auch im hoͤhern Alter, in der dritten Lebensperiode des weiblichen Koͤrpers ein. Der Uterus wird feſter, ja beynahe knorpelartig, und die Vaginalportion iſt bey Frauen, welche mehrere Male geboren haben, wulſtig; der Muttermund un- eben, und es erinnert ſo die allgemeine Geſtalt des Frucht- haͤlters wieder einigermaßen an die noch nicht entwickelte Form deſſelben im Kinde. Die Ovarien welken und fallen zuſammen, ja ſogar die aͤußern Geſchlechtstheile erſchlaffen und verlieren die ihnen vorher eigenthuͤmliche Geſtalt. Die aͤußern Schamlippen weichen aus einander, die innern Scham- lippen und die Klitoris werden wieder (wie beym unreifen Maͤdchen) ſichtbar; die Bruͤſte verlieren ihre Elaſticitaͤt, fal- len zuſammen, und ſind, eben ſo wie der Uterus jetzt zur Ausſcheidung der Menſtruation unfaͤhig wird, zu einer er- hoͤhten abſondernden Gefaͤßthaͤtigkeit nicht mehr geeignet. — Auf gleiche Weiſe indeß wie die erhoͤhte Thaͤtigkeit der Ge- ſchlechtsorgane in der Periode der Zeugungsfaͤhigkeit nicht ſowohl Urſache als vielmehr Folge allgemeiner Koͤrperveraͤn- derungen war, ſo iſt auch dieſes Hinwelken im Alter nicht als Urſache, ſondern als Folge von Umaͤnderungen anzuſe- hen, welche im allgemeinen Koͤrperbefinden Statt gehabt ha- ben und ſich auf Sinken reproduktiver Thaͤtigkeit beziehen.
§. 76.
Dieſe Verminderung der Aſſimilation und allgemeinen bildenden Thaͤtigkeit, welche dem Organismus uͤberhaupt bey vorruͤckender Lebenszeit nothwendig iſt, und als Folge des Gegenſatzes zwiſchen Individuum und Geſammtheit der Na- tur erſcheint, aͤußert ſich der Regel nach durch wirkliche Stoffabnahme; der Koͤrper faͤllt zuſammen, die reichlichen Ablagerungen von Fett und Zellgewebe verſchwinden, die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0074"n="54"/><divn="5"><head>§. 75.</head><lb/><p><hirendition="#g">Dritte Lebensperiode</hi>. Wie naͤmlich in der erſten<lb/>
die Geſchlechter ſich mehr glichen, die weiblichen Geſchlechts-<lb/>
theile ohne eigentliche Funktion waren, und der Uterus ſelbſt,<lb/>
dieſem angemeſſen, eine andere Geſtalt und verdichtete weni-<lb/>
ger blutreiche Waͤnde zeigte, ſo tritt ein aͤhnlicher Zuſtand<lb/>
nun auch im hoͤhern Alter, in der dritten Lebensperiode des<lb/>
weiblichen Koͤrpers ein. Der Uterus wird feſter, ja beynahe<lb/>
knorpelartig, und die Vaginalportion iſt bey Frauen, welche<lb/>
mehrere Male geboren haben, wulſtig; der Muttermund un-<lb/>
eben, und es erinnert ſo die allgemeine Geſtalt des Frucht-<lb/>
haͤlters wieder einigermaßen an die noch nicht entwickelte<lb/>
Form deſſelben im Kinde. Die Ovarien welken und fallen<lb/>
zuſammen, ja ſogar die aͤußern Geſchlechtstheile erſchlaffen<lb/>
und verlieren die ihnen vorher eigenthuͤmliche Geſtalt. Die<lb/>
aͤußern Schamlippen weichen aus einander, die innern Scham-<lb/>
lippen und die Klitoris werden wieder (wie beym unreifen<lb/>
Maͤdchen) ſichtbar; die Bruͤſte verlieren ihre Elaſticitaͤt, fal-<lb/>
len zuſammen, und ſind, eben ſo wie der Uterus jetzt zur<lb/>
Ausſcheidung der Menſtruation unfaͤhig wird, zu einer er-<lb/>
hoͤhten abſondernden Gefaͤßthaͤtigkeit nicht mehr geeignet. —<lb/>
Auf gleiche Weiſe indeß wie die erhoͤhte Thaͤtigkeit der Ge-<lb/>ſchlechtsorgane in der Periode der Zeugungsfaͤhigkeit nicht<lb/>ſowohl Urſache als vielmehr Folge allgemeiner Koͤrperveraͤn-<lb/>
derungen war, ſo iſt auch dieſes Hinwelken im Alter nicht<lb/>
als Urſache, ſondern als Folge von Umaͤnderungen anzuſe-<lb/>
hen, welche im allgemeinen Koͤrperbefinden Statt gehabt ha-<lb/>
ben und ſich auf Sinken reproduktiver Thaͤtigkeit beziehen.</p></div><lb/><divn="5"><head>§. 76.</head><lb/><p>Dieſe Verminderung der Aſſimilation und allgemeinen<lb/>
bildenden Thaͤtigkeit, welche dem Organismus uͤberhaupt bey<lb/>
vorruͤckender Lebenszeit nothwendig iſt, und als Folge des<lb/>
Gegenſatzes zwiſchen Individuum und Geſammtheit der Na-<lb/>
tur erſcheint, aͤußert ſich der Regel nach durch wirkliche<lb/>
Stoffabnahme; der Koͤrper faͤllt zuſammen, die reichlichen<lb/>
Ablagerungen von Fett und Zellgewebe verſchwinden, die<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[54/0074]
§. 75.
Dritte Lebensperiode. Wie naͤmlich in der erſten
die Geſchlechter ſich mehr glichen, die weiblichen Geſchlechts-
theile ohne eigentliche Funktion waren, und der Uterus ſelbſt,
dieſem angemeſſen, eine andere Geſtalt und verdichtete weni-
ger blutreiche Waͤnde zeigte, ſo tritt ein aͤhnlicher Zuſtand
nun auch im hoͤhern Alter, in der dritten Lebensperiode des
weiblichen Koͤrpers ein. Der Uterus wird feſter, ja beynahe
knorpelartig, und die Vaginalportion iſt bey Frauen, welche
mehrere Male geboren haben, wulſtig; der Muttermund un-
eben, und es erinnert ſo die allgemeine Geſtalt des Frucht-
haͤlters wieder einigermaßen an die noch nicht entwickelte
Form deſſelben im Kinde. Die Ovarien welken und fallen
zuſammen, ja ſogar die aͤußern Geſchlechtstheile erſchlaffen
und verlieren die ihnen vorher eigenthuͤmliche Geſtalt. Die
aͤußern Schamlippen weichen aus einander, die innern Scham-
lippen und die Klitoris werden wieder (wie beym unreifen
Maͤdchen) ſichtbar; die Bruͤſte verlieren ihre Elaſticitaͤt, fal-
len zuſammen, und ſind, eben ſo wie der Uterus jetzt zur
Ausſcheidung der Menſtruation unfaͤhig wird, zu einer er-
hoͤhten abſondernden Gefaͤßthaͤtigkeit nicht mehr geeignet. —
Auf gleiche Weiſe indeß wie die erhoͤhte Thaͤtigkeit der Ge-
ſchlechtsorgane in der Periode der Zeugungsfaͤhigkeit nicht
ſowohl Urſache als vielmehr Folge allgemeiner Koͤrperveraͤn-
derungen war, ſo iſt auch dieſes Hinwelken im Alter nicht
als Urſache, ſondern als Folge von Umaͤnderungen anzuſe-
hen, welche im allgemeinen Koͤrperbefinden Statt gehabt ha-
ben und ſich auf Sinken reproduktiver Thaͤtigkeit beziehen.
§. 76.
Dieſe Verminderung der Aſſimilation und allgemeinen
bildenden Thaͤtigkeit, welche dem Organismus uͤberhaupt bey
vorruͤckender Lebenszeit nothwendig iſt, und als Folge des
Gegenſatzes zwiſchen Individuum und Geſammtheit der Na-
tur erſcheint, aͤußert ſich der Regel nach durch wirkliche
Stoffabnahme; der Koͤrper faͤllt zuſammen, die reichlichen
Ablagerungen von Fett und Zellgewebe verſchwinden, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/74>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.