Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite
Kritik der Heilkunst.
§ 113.

Nun sind aber Krankheiten lediglich Erscheinungen in
der Sinnenwelt (§ 29), und wir können sie dem zufolge
erkennen (§. 37.) und heilen (§. 39). Es gab daher seit
Hippokrates eine Heilkunst.

§ 114.

Da jedoch in jedem Zeitalter die Theorie, oder die An-
sicht der krankhaften Erscheinungen und ihrer Heilung ver-
schieden war, (§. 88.) und man sich entweder in der Be-
stimmung des ganzen Heilplans einzelner Krankheiten, oder
in den nähern Modificationen desselben davon leiten ließ, so
war die Heilkunst zwar im Allgemeinen sich immer gleich, in
einzelnen Theilen aber abweichend *).

*) Jacobi de fanaticismo medico. Erford. 713. 4.
§ 115.

Jeder Beobachter sah nemlich dieselben Erscheinungen
der Natur, und er mußte im Ganzen genommen, mit allen
übrigen eine und dieselbe Erfahrung machen, eine und die-
selbe Heilmethode festsetzen. Aber seine Art, dieselben an-
zusehen und zu erklären, war verschieden: so oft er also sei-
ne Handlungsweise nach dieser Vorstellungsart hestimmte,
so mußte er in den meisten Fällen mit den übrigen Aerz-
ten übereinstimmen, weil seine Theorie immer etwas
Wahres enthielt, aber in mehrern Punkten mußte er von
ihnen abweichen. Es gab daher nach Verschiedenheit der
Principien, von welchen die Aerzte ausgehen, folgende Be-
handlungsarten der Heilkunst, welche die verschiedenen Sec-
ten abgeben.


§ 116.
C 4
Kritik der Heilkunſt.
§ 113.

Nun ſind aber Krankheiten lediglich Erſcheinungen in
der Sinnenwelt (§ 29), und wir koͤnnen ſie dem zufolge
erkennen (§. 37.) und heilen (§. 39). Es gab daher ſeit
Hippokrates eine Heilkunſt.

§ 114.

Da jedoch in jedem Zeitalter die Theorie, oder die An-
ſicht der krankhaften Erſcheinungen und ihrer Heilung ver-
ſchieden war, (§. 88.) und man ſich entweder in der Be-
ſtimmung des ganzen Heilplans einzelner Krankheiten, oder
in den naͤhern Modificationen deſſelben davon leiten ließ, ſo
war die Heilkunſt zwar im Allgemeinen ſich immer gleich, in
einzelnen Theilen aber abweichend *).

*) Jacobi de fanaticismo medico. Erford. 713. 4.
§ 115.

Jeder Beobachter ſah nemlich dieſelben Erſcheinungen
der Natur, und er mußte im Ganzen genommen, mit allen
uͤbrigen eine und dieſelbe Erfahrung machen, eine und die-
ſelbe Heilmethode feſtſetzen. Aber ſeine Art, dieſelben an-
zuſehen und zu erklaͤren, war verſchieden: ſo oft er alſo ſei-
ne Handlungsweiſe nach dieſer Vorſtellungsart heſtimmte,
ſo mußte er in den meiſten Faͤllen mit den uͤbrigen Aerz-
ten uͤbereinſtimmen, weil ſeine Theorie immer etwas
Wahres enthielt, aber in mehrern Punkten mußte er von
ihnen abweichen. Es gab daher nach Verſchiedenheit der
Principien, von welchen die Aerzte ausgehen, folgende Be-
handlungsarten der Heilkunſt, welche die verſchiedenen Sec-
ten abgeben.


§ 116.
C 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <pb facs="#f0057" n="39"/>
            <fw place="top" type="header">Kritik der Heilkun&#x017F;t.</fw><lb/>
            <div n="5">
              <head>§ 113.</head><lb/>
              <p>Nun &#x017F;ind aber Krankheiten lediglich Er&#x017F;cheinungen in<lb/>
der Sinnenwelt (§ 29), und wir ko&#x0364;nnen &#x017F;ie dem zufolge<lb/>
erkennen (§. 37.) und heilen (§. 39). Es gab daher &#x017F;eit<lb/>
Hippokrates eine Heilkun&#x017F;t.</p>
            </div><lb/>
            <div n="5">
              <head>§ 114.</head><lb/>
              <p>Da jedoch in jedem Zeitalter die Theorie, oder die An-<lb/>
&#x017F;icht der krankhaften Er&#x017F;cheinungen und ihrer Heilung ver-<lb/>
&#x017F;chieden war, (§. 88.) und man &#x017F;ich entweder in der Be-<lb/>
&#x017F;timmung des ganzen Heilplans einzelner Krankheiten, oder<lb/>
in den na&#x0364;hern Modificationen de&#x017F;&#x017F;elben davon leiten ließ, &#x017F;o<lb/>
war die Heilkun&#x017F;t zwar im Allgemeinen &#x017F;ich immer gleich, in<lb/>
einzelnen Theilen aber abweichend *).</p><lb/>
              <note place="end" n="*)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Jacobi</hi> de fanaticismo medico. Erford.</hi> 713. 4.</note>
            </div><lb/>
            <div n="5">
              <head>§ 115.</head><lb/>
              <p>Jeder Beobachter &#x017F;ah nemlich die&#x017F;elben Er&#x017F;cheinungen<lb/>
der Natur, und er mußte im Ganzen genommen, mit allen<lb/>
u&#x0364;brigen eine und die&#x017F;elbe Erfahrung machen, eine und die-<lb/>
&#x017F;elbe Heilmethode fe&#x017F;t&#x017F;etzen. Aber &#x017F;eine Art, die&#x017F;elben an-<lb/>
zu&#x017F;ehen und zu erkla&#x0364;ren, war ver&#x017F;chieden: &#x017F;o oft er al&#x017F;o &#x017F;ei-<lb/>
ne Handlungswei&#x017F;e nach die&#x017F;er Vor&#x017F;tellungsart he&#x017F;timmte,<lb/>
&#x017F;o mußte er in den mei&#x017F;ten Fa&#x0364;llen mit den u&#x0364;brigen Aerz-<lb/>
ten u&#x0364;berein&#x017F;timmen, weil &#x017F;eine Theorie immer etwas<lb/>
Wahres enthielt, aber in mehrern Punkten mußte er von<lb/>
ihnen abweichen. Es gab daher nach Ver&#x017F;chiedenheit der<lb/>
Principien, von welchen die Aerzte ausgehen, folgende Be-<lb/>
handlungsarten der Heilkun&#x017F;t, welche die ver&#x017F;chiedenen Sec-<lb/>
ten abgeben.</p>
            </div><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">C 4</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">§ 116.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0057] Kritik der Heilkunſt. § 113. Nun ſind aber Krankheiten lediglich Erſcheinungen in der Sinnenwelt (§ 29), und wir koͤnnen ſie dem zufolge erkennen (§. 37.) und heilen (§. 39). Es gab daher ſeit Hippokrates eine Heilkunſt. § 114. Da jedoch in jedem Zeitalter die Theorie, oder die An- ſicht der krankhaften Erſcheinungen und ihrer Heilung ver- ſchieden war, (§. 88.) und man ſich entweder in der Be- ſtimmung des ganzen Heilplans einzelner Krankheiten, oder in den naͤhern Modificationen deſſelben davon leiten ließ, ſo war die Heilkunſt zwar im Allgemeinen ſich immer gleich, in einzelnen Theilen aber abweichend *). *⁾ Jacobi de fanaticismo medico. Erford. 713. 4. § 115. Jeder Beobachter ſah nemlich dieſelben Erſcheinungen der Natur, und er mußte im Ganzen genommen, mit allen uͤbrigen eine und dieſelbe Erfahrung machen, eine und die- ſelbe Heilmethode feſtſetzen. Aber ſeine Art, dieſelben an- zuſehen und zu erklaͤren, war verſchieden: ſo oft er alſo ſei- ne Handlungsweiſe nach dieſer Vorſtellungsart heſtimmte, ſo mußte er in den meiſten Faͤllen mit den uͤbrigen Aerz- ten uͤbereinſtimmen, weil ſeine Theorie immer etwas Wahres enthielt, aber in mehrern Punkten mußte er von ihnen abweichen. Es gab daher nach Verſchiedenheit der Principien, von welchen die Aerzte ausgehen, folgende Be- handlungsarten der Heilkunſt, welche die verſchiedenen Sec- ten abgeben. § 116. C 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/57
Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/57>, abgerufen am 21.11.2024.