Die Nothwendigkeit der Kunst, Krankheiten zu heilen, beruht auf der unausbleiblichen Erscheinung der Krankheiten; können nämlich diese, vermöge der ganzen Einrichtung der menschlichen Natur, niemals ganz vermieden werden: so bedarf der Mensch jener Kunst. Es fließen daher die Unter- suchungen über beyde Gegenstände hier zusammen.
§ 24.
Unter Leben verstehen wir die Reihe von Erscheinun- gen an einem von seiner Entstehung an, aus mannichfalti- gen, vermöge ihrer Zusammensetzung harmonirenden Thei- len bestehenden, und seinen Zweck in sich selbst findenden (also organischen) Körper, welche, da sie von den Erschei- nungen der übrigen Natur abweichen, auch auf eigenthüm- lichen, ihnen zu Grunde liegenden Kräften beruhen müssen, die wir den Grund des Lebens, Lebensprincip, Lebens- kräfte nennen. Wir haben von dem Leben keinen andern, als durch die Erfahrung gegebenen Begriff; es ist also für uns kein innerer Zustand, sondern eine Erscheinung.
§ 25.
Menschliches Leben ist die Reihe von Erscheinungen, welche dem Menschen, seinen sämmtlichen Anlagen gemäß, zukommen, und zwar 1) als einem Körper überhaupt, 2) als einem organischen, d. h. durch sich selbst bestimmten, 3) als einem thierischen, d. h. des Eindrucks der Außen- welt fähigen, und sich dem zufolge nach Willkühr bestimmen- den, und 4) als geistigem, d. h. der innern Anschauung
fähigen
Erſter Theil.
Erſtes Kapitel. Beduͤrfniß einer Heilkunſt.
§ 23.
Die Nothwendigkeit der Kunſt, Krankheiten zu heilen, beruht auf der unausbleiblichen Erſcheinung der Krankheiten; koͤnnen naͤmlich dieſe, vermoͤge der ganzen Einrichtung der menſchlichen Natur, niemals ganz vermieden werden: ſo bedarf der Menſch jener Kunſt. Es fließen daher die Unter- ſuchungen uͤber beyde Gegenſtaͤnde hier zuſammen.
§ 24.
Unter Leben verſtehen wir die Reihe von Erſcheinun- gen an einem von ſeiner Entſtehung an, aus mannichfalti- gen, vermoͤge ihrer Zuſammenſetzung harmonirenden Thei- len beſtehenden, und ſeinen Zweck in ſich ſelbſt findenden (alſo organiſchen) Koͤrper, welche, da ſie von den Erſchei- nungen der uͤbrigen Natur abweichen, auch auf eigenthuͤm- lichen, ihnen zu Grunde liegenden Kraͤften beruhen muͤſſen, die wir den Grund des Lebens, Lebensprincip, Lebens- kraͤfte nennen. Wir haben von dem Leben keinen andern, als durch die Erfahrung gegebenen Begriff; es iſt alſo fuͤr uns kein innerer Zuſtand, ſondern eine Erſcheinung.
§ 25.
Menſchliches Leben iſt die Reihe von Erſcheinungen, welche dem Menſchen, ſeinen ſaͤmmtlichen Anlagen gemaͤß, zukommen, und zwar 1) als einem Koͤrper uͤberhaupt, 2) als einem organiſchen, d. h. durch ſich ſelbſt beſtimmten, 3) als einem thieriſchen, d. h. des Eindrucks der Außen- welt faͤhigen, und ſich dem zufolge nach Willkuͤhr beſtimmen- den, und 4) als geiſtigem, d. h. der innern Anſchauung
faͤhigen
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Erſter Theil.
Erſtes Kapitel.
Beduͤrfniß einer Heilkunſt.
§ 23.
Die Nothwendigkeit der Kunſt, Krankheiten zu heilen,
beruht auf der unausbleiblichen Erſcheinung der Krankheiten;
koͤnnen naͤmlich dieſe, vermoͤge der ganzen Einrichtung der
menſchlichen Natur, niemals ganz vermieden werden: ſo
bedarf der Menſch jener Kunſt. Es fließen daher die Unter-
ſuchungen uͤber beyde Gegenſtaͤnde hier zuſammen.
§ 24.
Unter Leben verſtehen wir die Reihe von Erſcheinun-
gen an einem von ſeiner Entſtehung an, aus mannichfalti-
gen, vermoͤge ihrer Zuſammenſetzung harmonirenden Thei-
len beſtehenden, und ſeinen Zweck in ſich ſelbſt findenden
(alſo organiſchen) Koͤrper, welche, da ſie von den Erſchei-
nungen der uͤbrigen Natur abweichen, auch auf eigenthuͤm-
lichen, ihnen zu Grunde liegenden Kraͤften beruhen muͤſſen,
die wir den Grund des Lebens, Lebensprincip, Lebens-
kraͤfte nennen. Wir haben von dem Leben keinen andern,
als durch die Erfahrung gegebenen Begriff; es iſt alſo fuͤr
uns kein innerer Zuſtand, ſondern eine Erſcheinung.
§ 25.
Menſchliches Leben iſt die Reihe von Erſcheinungen,
welche dem Menſchen, ſeinen ſaͤmmtlichen Anlagen gemaͤß,
zukommen, und zwar 1) als einem Koͤrper uͤberhaupt, 2)
als einem organiſchen, d. h. durch ſich ſelbſt beſtimmten,
3) als einem thieriſchen, d. h. des Eindrucks der Außen-
welt faͤhigen, und ſich dem zufolge nach Willkuͤhr beſtimmen-
den, und 4) als geiſtigem, d. h. der innern Anſchauung
faͤhigen
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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/28>, abgerufen am 16.07.2024.
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