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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

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Bildung des Arztes.
zu einem Urtheile bestimmen, nicht deutlich bey sich entwik-
kelt: er schiebt dann seine Lieblingsneigung überall ein. Der
Eine sieht überall Vollblütigkeit, der Andere Verstopfungen
im Unterleibe, der Dritte Unreinigkeiten des Darmkanals,
der Vierte Asthenie; und befragt man sie um den Grund
dieser Urtheile, so beruft sich ein Jeder von ihnen auf den
praktischen Tact oder das praktische Gefühl. Dies ist also mei-
stens ein leeres Wort, durch welches der Arzt sich und An-
dere täuscht, weil er die Bestimmungsgründe seines Urtheils
sich nicht deutlich gedacht hat.

Osterhausen, über das praktische Gefühl (in Röschlaubs
Magazin 1. Bd. S. 224. f. f.).
§ 520.

Etwas ganz anderes ist die durch Uebung erworbene
Behendigkeit und Fertigkeit des Urtheils, vermöge deren
man das richtige Resultat findet, ohne gerade die einzelnen
Theile der Syllogismen und Soriten einzeln durchzuden-
ken. Dies ist der wahre Dämon des geübten denkenden
Praktikers, und sein Vorzug vor dem weniger geübten Arz-
te: er übersieht das Ganze, wie ein geübter Rechner sein
Exempel, und findet das Resultat aus einer bloßen Uebersicht
der Theile. Doch sey man immer auf seiner Hut, sich hier
nicht zu täuschen, und ein Urtheil ohne gehörige Motiven
anzunehmen. Besonders muß der anfangende Praktiker sich
dieser Methode gänzlich enthalten.

§. 521.

Zu dieser Ausbildung seiner Geisteskräfte gelangt der
Arzt nur durch ächtes Studium der Philosophie, diese macht
daher für ihn sowohl, als für jeden Gelehrten, die Vorbe-
reitungswissenschaft aus; und als solche werden wir sie noch
unten betrachten.




Zweyte

Bildung des Arztes.
zu einem Urtheile beſtimmen, nicht deutlich bey ſich entwik-
kelt: er ſchiebt dann ſeine Lieblingsneigung uͤberall ein. Der
Eine ſieht uͤberall Vollbluͤtigkeit, der Andere Verſtopfungen
im Unterleibe, der Dritte Unreinigkeiten des Darmkanals,
der Vierte Aſthenie; und befragt man ſie um den Grund
dieſer Urtheile, ſo beruft ſich ein Jeder von ihnen auf den
praktiſchen Tact oder das praktiſche Gefuͤhl. Dies iſt alſo mei-
ſtens ein leeres Wort, durch welches der Arzt ſich und An-
dere taͤuſcht, weil er die Beſtimmungsgruͤnde ſeines Urtheils
ſich nicht deutlich gedacht hat.

Oſterhauſen, uͤber das praktiſche Gefuͤhl (in Roͤſchlaubs
Magazin 1. Bd. S. 224. f. f.).
§ 520.

Etwas ganz anderes iſt die durch Uebung erworbene
Behendigkeit und Fertigkeit des Urtheils, vermoͤge deren
man das richtige Reſultat findet, ohne gerade die einzelnen
Theile der Syllogismen und Soriten einzeln durchzuden-
ken. Dies iſt der wahre Daͤmon des geuͤbten denkenden
Praktikers, und ſein Vorzug vor dem weniger geuͤbten Arz-
te: er uͤberſieht das Ganze, wie ein geuͤbter Rechner ſein
Exempel, und findet das Reſultat aus einer bloßen Ueberſicht
der Theile. Doch ſey man immer auf ſeiner Hut, ſich hier
nicht zu taͤuſchen, und ein Urtheil ohne gehoͤrige Motiven
anzunehmen. Beſonders muß der anfangende Praktiker ſich
dieſer Methode gaͤnzlich enthalten.

§. 521.

Zu dieſer Ausbildung ſeiner Geiſteskraͤfte gelangt der
Arzt nur durch aͤchtes Studium der Philoſophie, dieſe macht
daher fuͤr ihn ſowohl, als fuͤr jeden Gelehrten, die Vorbe-
reitungswiſſenſchaft aus; und als ſolche werden wir ſie noch
unten betrachten.




Zweyte
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[159/0177] Bildung des Arztes. zu einem Urtheile beſtimmen, nicht deutlich bey ſich entwik- kelt: er ſchiebt dann ſeine Lieblingsneigung uͤberall ein. Der Eine ſieht uͤberall Vollbluͤtigkeit, der Andere Verſtopfungen im Unterleibe, der Dritte Unreinigkeiten des Darmkanals, der Vierte Aſthenie; und befragt man ſie um den Grund dieſer Urtheile, ſo beruft ſich ein Jeder von ihnen auf den praktiſchen Tact oder das praktiſche Gefuͤhl. Dies iſt alſo mei- ſtens ein leeres Wort, durch welches der Arzt ſich und An- dere taͤuſcht, weil er die Beſtimmungsgruͤnde ſeines Urtheils ſich nicht deutlich gedacht hat. Oſterhauſen, uͤber das praktiſche Gefuͤhl (in Roͤſchlaubs Magazin 1. Bd. S. 224. f. f.). § 520. Etwas ganz anderes iſt die durch Uebung erworbene Behendigkeit und Fertigkeit des Urtheils, vermoͤge deren man das richtige Reſultat findet, ohne gerade die einzelnen Theile der Syllogismen und Soriten einzeln durchzuden- ken. Dies iſt der wahre Daͤmon des geuͤbten denkenden Praktikers, und ſein Vorzug vor dem weniger geuͤbten Arz- te: er uͤberſieht das Ganze, wie ein geuͤbter Rechner ſein Exempel, und findet das Reſultat aus einer bloßen Ueberſicht der Theile. Doch ſey man immer auf ſeiner Hut, ſich hier nicht zu taͤuſchen, und ein Urtheil ohne gehoͤrige Motiven anzunehmen. Beſonders muß der anfangende Praktiker ſich dieſer Methode gaͤnzlich enthalten. §. 521. Zu dieſer Ausbildung ſeiner Geiſteskraͤfte gelangt der Arzt nur durch aͤchtes Studium der Philoſophie, dieſe macht daher fuͤr ihn ſowohl, als fuͤr jeden Gelehrten, die Vorbe- reitungswiſſenſchaft aus; und als ſolche werden wir ſie noch unten betrachten. Zweyte

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Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/177>, abgerufen am 21.11.2024.