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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.war und blieb er derjenige, welcher zuerst das Alterthum
nachdrücklich in den Vordergrund des Culturlebens herein-
schob. In der Divina Commedia behandelt er die antike
und die christliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch
in beständiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen
und Antitypen aus den Geschichten und Gestalten des alten
und des neuen Testamentes zusammengestellt hatte, so ver-
einigt er in der Regel ein christliches und ein heidnisches
Beispiel derselben Thatsache 1). Nun vergesse man nicht,
daß die christliche Phantasiewelt und Geschichte eine bekannte,
die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielversprechende
und aufregende war und daß sie in der allgemeinen Theil-
nahme nothwendig das Uebergewicht bekommen mußte, als
kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang.

Petrarca.Petrarca lebt in den Gedanken der Meisten jetzt als
großer italienischer Dichter; bei seinen Zeitgenossen dagegen
kam sein Ruhm in weit höherm Grade davon her, daß
er das Alterthum gleichsam in seiner Person repräsentirte,
alle Gattungen der lateinischen Poesie nachahmte und Briefe
schrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenstände
des Alterthums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit
ohne Handbücher aber sehr erklärlichen Werth hatten.

Boccaccio.Mit Boccaccio verhält es sich ganz ähnlich; er war
200 Jahre lang in ganz Europa berühmt ehe man diesseits
der Alpen viel von seinem Decamerone wußte, bloß um
seiner mythographischen, geographischen und biographischen
Sammelwerke in lateinischer Sprache willen. Eines der-
selben, "De genealogia Deorum" enthält im 14ten und

1) Purgatorio XVIII. enthält z. B. starke Belege: Maria eilt über
das Gebirge, Cäsar nach Spanien; Maria ist arm und Fabricius
uneigennützig. -- Bei diesem Anlaß ist aufmerksam zu machen auf
die chronologische Einflechtung der Sibyllen in die antike Profan-
geschichte, wie sie Uberti in seinem Dittamondo (I, Cap. 14. 15)
um 1360 versucht.

3. Abſchnitt.war und blieb er derjenige, welcher zuerſt das Alterthum
nachdrücklich in den Vordergrund des Culturlebens herein-
ſchob. In der Divina Commedia behandelt er die antike
und die chriſtliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch
in beſtändiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen
und Antitypen aus den Geſchichten und Geſtalten des alten
und des neuen Teſtamentes zuſammengeſtellt hatte, ſo ver-
einigt er in der Regel ein chriſtliches und ein heidniſches
Beiſpiel derſelben Thatſache 1). Nun vergeſſe man nicht,
daß die chriſtliche Phantaſiewelt und Geſchichte eine bekannte,
die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielverſprechende
und aufregende war und daß ſie in der allgemeinen Theil-
nahme nothwendig das Uebergewicht bekommen mußte, als
kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang.

Petrarca.Petrarca lebt in den Gedanken der Meiſten jetzt als
großer italieniſcher Dichter; bei ſeinen Zeitgenoſſen dagegen
kam ſein Ruhm in weit höherm Grade davon her, daß
er das Alterthum gleichſam in ſeiner Perſon repräſentirte,
alle Gattungen der lateiniſchen Poeſie nachahmte und Briefe
ſchrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenſtände
des Alterthums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit
ohne Handbücher aber ſehr erklärlichen Werth hatten.

Boccaccio.Mit Boccaccio verhält es ſich ganz ähnlich; er war
200 Jahre lang in ganz Europa berühmt ehe man dieſſeits
der Alpen viel von ſeinem Decamerone wußte, bloß um
ſeiner mythographiſchen, geographiſchen und biographiſchen
Sammelwerke in lateiniſcher Sprache willen. Eines der-
ſelben, „De genealogia Deorum“ enthält im 14ten und

1) Purgatorio XVIII. enthält z. B. ſtarke Belege: Maria eilt über
das Gebirge, Cäſar nach Spanien; Maria iſt arm und Fabricius
uneigennützig. — Bei dieſem Anlaß iſt aufmerkſam zu machen auf
die chronologiſche Einflechtung der Sibyllen in die antike Profan-
geſchichte, wie ſie Uberti in ſeinem Dittamondo (I, Cap. 14. 15)
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[200/0210] war und blieb er derjenige, welcher zuerſt das Alterthum nachdrücklich in den Vordergrund des Culturlebens herein- ſchob. In der Divina Commedia behandelt er die antike und die chriſtliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch in beſtändiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen und Antitypen aus den Geſchichten und Geſtalten des alten und des neuen Teſtamentes zuſammengeſtellt hatte, ſo ver- einigt er in der Regel ein chriſtliches und ein heidniſches Beiſpiel derſelben Thatſache 1). Nun vergeſſe man nicht, daß die chriſtliche Phantaſiewelt und Geſchichte eine bekannte, die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielverſprechende und aufregende war und daß ſie in der allgemeinen Theil- nahme nothwendig das Uebergewicht bekommen mußte, als kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang. 3. Abſchnitt. Petrarca lebt in den Gedanken der Meiſten jetzt als großer italieniſcher Dichter; bei ſeinen Zeitgenoſſen dagegen kam ſein Ruhm in weit höherm Grade davon her, daß er das Alterthum gleichſam in ſeiner Perſon repräſentirte, alle Gattungen der lateiniſchen Poeſie nachahmte und Briefe ſchrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenſtände des Alterthums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit ohne Handbücher aber ſehr erklärlichen Werth hatten. Petrarca. Mit Boccaccio verhält es ſich ganz ähnlich; er war 200 Jahre lang in ganz Europa berühmt ehe man dieſſeits der Alpen viel von ſeinem Decamerone wußte, bloß um ſeiner mythographiſchen, geographiſchen und biographiſchen Sammelwerke in lateiniſcher Sprache willen. Eines der- ſelben, „De genealogia Deorum“ enthält im 14ten und Boccaccio. 1) Purgatorio XVIII. enthält z. B. ſtarke Belege: Maria eilt über das Gebirge, Cäſar nach Spanien; Maria iſt arm und Fabricius uneigennützig. — Bei dieſem Anlaß iſt aufmerkſam zu machen auf die chronologiſche Einflechtung der Sibyllen in die antike Profan- geſchichte, wie ſie Uberti in ſeinem Dittamondo (I, Cap. 14. 15) um 1360 verſucht.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/210>, abgerufen am 26.04.2024.