den Charakter von Naturgesetzen ab und ließ sie nur als "soziale" Gesetze gelten, deren Wirksamkeit durch die Staats- gesetze modifiziert werden könne und dürfe.
Das Verhältnis der beiden wissenschaftlichen Richtungen in der Nationalökonomie zu einander und das Verhalten jeder von ihnen zur praktischen Wirtschaftspolitik wird in weiten Kreisen noch immer unrichtig aufgefaßt. Man kann vielfach die Ansicht hören und lesen, die historische Natio- nalökonomie der Deutschen habe die englisch-französische Wirtschaftstheorie, den "Smithianismus" wissenschaftlich vernichtet. Einzelne unvorsichtige Vertreter der historischen Richtung haben diese irrtümliche Auffassung bestärkt, indem sie sich so gebärdeten, als seien die Lehrsätze der sogenannten klassischen Nationalökonomie nur noch veralteter Plunder, mit dem möglichst rasch aufgeräumt werden müsse.
Allein so einfach liegen die Dinge doch nicht. Was der Historismus in der Nationalökonomie will, ist im Grunde genommen ein ganz anderes wissenschaftliches Ziel als was der Smithianismus wollte. Die historische Richtung will "die Nationalökonomie zu einer Lehre von den ökonomischen Entwickelungsgesetzen der Völker umgestalten"; der Smithia- nismus dagegen wollte und will die Gesetze des heutigen volkswirtschaftlichen Lebens ergründen. Das sind zwei durch- aus verschiedene Ziele, die sehr wohl neben einander ver- folgt werden können. Was aber das Verhalten beider zur Volkswirtschaftspolitik betrifft, jenem Zweige wissenschaft- licher Arbeit, welcher die Grundsätze für das praktische
den Charakter von Naturgeſetzen ab und ließ ſie nur als „ſoziale“ Geſetze gelten, deren Wirkſamkeit durch die Staats- geſetze modifiziert werden könne und dürfe.
Das Verhältnis der beiden wiſſenſchaftlichen Richtungen in der Nationalökonomie zu einander und das Verhalten jeder von ihnen zur praktiſchen Wirtſchaftspolitik wird in weiten Kreiſen noch immer unrichtig aufgefaßt. Man kann vielfach die Anſicht hören und leſen, die hiſtoriſche Natio- nalökonomie der Deutſchen habe die engliſch-franzöſiſche Wirtſchaftstheorie, den „Smithianismus“ wiſſenſchaftlich vernichtet. Einzelne unvorſichtige Vertreter der hiſtoriſchen Richtung haben dieſe irrtümliche Auffaſſung beſtärkt, indem ſie ſich ſo gebärdeten, als ſeien die Lehrſätze der ſogenannten klaſſiſchen Nationalökonomie nur noch veralteter Plunder, mit dem möglichſt raſch aufgeräumt werden müſſe.
Allein ſo einfach liegen die Dinge doch nicht. Was der Hiſtorismus in der Nationalökonomie will, iſt im Grunde genommen ein ganz anderes wiſſenſchaftliches Ziel als was der Smithianismus wollte. Die hiſtoriſche Richtung will „die Nationalökonomie zu einer Lehre von den ökonomiſchen Entwickelungsgeſetzen der Völker umgeſtalten“; der Smithia- nismus dagegen wollte und will die Geſetze des heutigen volkswirtſchaftlichen Lebens ergründen. Das ſind zwei durch- aus verſchiedene Ziele, die ſehr wohl neben einander ver- folgt werden können. Was aber das Verhalten beider zur Volkswirtſchaftspolitik betrifft, jenem Zweige wiſſenſchaft- licher Arbeit, welcher die Grundſätze für das praktiſche
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den Charakter von Naturgeſetzen ab und ließ ſie nur als
„ſoziale“ Geſetze gelten, deren Wirkſamkeit durch die Staats-
geſetze modifiziert werden könne und dürfe.
Das Verhältnis der beiden wiſſenſchaftlichen Richtungen
in der Nationalökonomie zu einander und das Verhalten
jeder von ihnen zur praktiſchen Wirtſchaftspolitik wird in
weiten Kreiſen noch immer unrichtig aufgefaßt. Man kann
vielfach die Anſicht hören und leſen, die hiſtoriſche Natio-
nalökonomie der Deutſchen habe die engliſch-franzöſiſche
Wirtſchaftstheorie, den „Smithianismus“ wiſſenſchaftlich
vernichtet. Einzelne unvorſichtige Vertreter der hiſtoriſchen
Richtung haben dieſe irrtümliche Auffaſſung beſtärkt, indem
ſie ſich ſo gebärdeten, als ſeien die Lehrſätze der ſogenannten
klaſſiſchen Nationalökonomie nur noch veralteter Plunder,
mit dem möglichſt raſch aufgeräumt werden müſſe.
Allein ſo einfach liegen die Dinge doch nicht. Was
der Hiſtorismus in der Nationalökonomie will, iſt im Grunde
genommen ein ganz anderes wiſſenſchaftliches Ziel als was
der Smithianismus wollte. Die hiſtoriſche Richtung will
„die Nationalökonomie zu einer Lehre von den ökonomiſchen
Entwickelungsgeſetzen der Völker umgeſtalten“; der Smithia-
nismus dagegen wollte und will die Geſetze des heutigen
volkswirtſchaftlichen Lebens ergründen. Das ſind zwei durch-
aus verſchiedene Ziele, die ſehr wohl neben einander ver-
folgt werden können. Was aber das Verhalten beider zur
Volkswirtſchaftspolitik betrifft, jenem Zweige wiſſenſchaft-
licher Arbeit, welcher die Grundſätze für das praktiſche
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/19>, abgerufen am 26.04.2024.
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