Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Vermischte Gedichte
Betrachtungen
über den
Zustand eines Armen u. eines Reichen
beym Abschiede aus der Welt, aus der
Vernunft.
Laßt uns den Stand der Sterblichen in dieser Welt mit
Ernst betrachten,
Auf den so großen Unterscheid, der zwischen Arm- und
Reichen, achten!
Um in der Aenderung von beyden, in diesem, und nach
diesem Leben,
Den letzten eine treue Warnung, den ersten einen Trost,
zu geben.
Wenn wir, von vielen Millionen, ihr ganzes Leben
übersehn,
Mit ihnen von der Wiegen an bis ganz zu ihrem Grabe
gehn,
So wird man nicht begreifen können, zu welchem Zweck
ihr Leben ihnen
Gegeben worden, und wozu ihr ganzes Hieseyn sollen
dienen.
Alles, was hier die Natur lieblichs hat und an-
genehm,
Alles, was auf dieser Erden süß, ergetzlich und bequem,
Jst denselben untersaget. Alle Pein von Frost und
Winden,
Alle Noth von schwüler Hitze müssen sie allein em-
pfinden;
Sie
Vermiſchte Gedichte
Betrachtungen
uͤber den
Zuſtand eines Armen u. eines Reichen
beym Abſchiede aus der Welt, aus der
Vernunft.
Laßt uns den Stand der Sterblichen in dieſer Welt mit
Ernſt betrachten,
Auf den ſo großen Unterſcheid, der zwiſchen Arm- und
Reichen, achten!
Um in der Aenderung von beyden, in dieſem, und nach
dieſem Leben,
Den letzten eine treue Warnung, den erſten einen Troſt,
zu geben.
Wenn wir, von vielen Millionen, ihr ganzes Leben
uͤberſehn,
Mit ihnen von der Wiegen an bis ganz zu ihrem Grabe
gehn,
So wird man nicht begreifen koͤnnen, zu welchem Zweck
ihr Leben ihnen
Gegeben worden, und wozu ihr ganzes Hieſeyn ſollen
dienen.
Alles, was hier die Natur lieblichs hat und an-
genehm,
Alles, was auf dieſer Erden ſuͤß, ergetzlich und bequem,
Jſt denſelben unterſaget. Alle Pein von Froſt und
Winden,
Alle Noth von ſchwuͤler Hitze muͤſſen ſie allein em-
pfinden;
Sie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0510" n="490"/>
        <fw place="top" type="header">Vermi&#x017F;chte Gedichte</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Betrachtungen</hi></hi><lb/>
u&#x0364;ber den<lb/><hi rendition="#b">Zu&#x017F;tand eines Armen u. eines Reichen</hi><lb/>
beym Ab&#x017F;chiede aus der Welt, aus der<lb/>
Vernunft.</head><lb/>
          <lg n="1">
            <l><hi rendition="#in">L</hi>aßt uns den Stand der Sterblichen in die&#x017F;er Welt mit<lb/><hi rendition="#et">Ern&#x017F;t betrachten,</hi></l><lb/>
            <l>Auf den &#x017F;o großen Unter&#x017F;cheid, der zwi&#x017F;chen Arm- und<lb/><hi rendition="#et">Reichen, achten!</hi></l><lb/>
            <l>Um in der Aenderung von beyden, in die&#x017F;em, und nach<lb/><hi rendition="#et">die&#x017F;em Leben,</hi></l><lb/>
            <l>Den letzten eine treue Warnung, den er&#x017F;ten einen Tro&#x017F;t,<lb/><hi rendition="#et">zu geben.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Wenn wir, von vielen Millionen, ihr ganzes Leben<lb/><hi rendition="#et">u&#x0364;ber&#x017F;ehn,</hi></l><lb/>
            <l>Mit ihnen von der Wiegen an bis ganz zu ihrem Grabe<lb/><hi rendition="#et">gehn,</hi></l><lb/>
            <l>So wird man nicht begreifen ko&#x0364;nnen, zu welchem Zweck<lb/><hi rendition="#et">ihr Leben ihnen</hi></l><lb/>
            <l>Gegeben worden, und wozu ihr ganzes Hie&#x017F;eyn &#x017F;ollen<lb/><hi rendition="#et">dienen.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Alles, was hier die Natur lieblichs hat und an-<lb/><hi rendition="#et">genehm,</hi></l><lb/>
            <l>Alles, was auf die&#x017F;er Erden &#x017F;u&#x0364;ß, ergetzlich und bequem,</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t den&#x017F;elben unter&#x017F;aget. Alle Pein von Fro&#x017F;t und<lb/><hi rendition="#et">Winden,</hi></l><lb/>
            <l>Alle Noth von &#x017F;chwu&#x0364;ler Hitze mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie allein em-<lb/><hi rendition="#et">pfinden;</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[490/0510] Vermiſchte Gedichte Betrachtungen uͤber den Zuſtand eines Armen u. eines Reichen beym Abſchiede aus der Welt, aus der Vernunft. Laßt uns den Stand der Sterblichen in dieſer Welt mit Ernſt betrachten, Auf den ſo großen Unterſcheid, der zwiſchen Arm- und Reichen, achten! Um in der Aenderung von beyden, in dieſem, und nach dieſem Leben, Den letzten eine treue Warnung, den erſten einen Troſt, zu geben. Wenn wir, von vielen Millionen, ihr ganzes Leben uͤberſehn, Mit ihnen von der Wiegen an bis ganz zu ihrem Grabe gehn, So wird man nicht begreifen koͤnnen, zu welchem Zweck ihr Leben ihnen Gegeben worden, und wozu ihr ganzes Hieſeyn ſollen dienen. Alles, was hier die Natur lieblichs hat und an- genehm, Alles, was auf dieſer Erden ſuͤß, ergetzlich und bequem, Jſt denſelben unterſaget. Alle Pein von Froſt und Winden, Alle Noth von ſchwuͤler Hitze muͤſſen ſie allein em- pfinden; Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/510
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/510>, abgerufen am 21.12.2024.