Versuch, die Anstößigkeit vielerley Religionen zu heben.
Ueberall ersichtliches, und dennoch verborgnes, We- sen, Wie verwirrt sich der Verstand, wann wir mit Erstau- nen lesen, Daß so viele tausend Arten falscher Götzendienst' auf Er- den, Jhres Unsinns unerachtet, doch von dir geduldet werden! Da es aber doch geschicht; Scheinet es der Menschen Pflicht, Die Vernunft zu Rath zu ziehen, Und mit Ernst uns zu bemühen, Hievon einen Grund zu finden, der uns zeig' und über- führe: Wie auch bey so vielen Secten doch die Gottheit nichts verliere. Denn uns würdige Begriffe von der Vollenkommenheit Gottes überall zu machen, ist der Menschen Schuldig- keit. Daß ein falscher Gottesdienst, auch so gar Abgötterey, Bloß nur ein' Unwissenheit- keine Bosheitsünde sey, Jst mit Recht wohl nicht zu leugnen. Wer der Gott- heit Größ' erkennet, Wie sie uns, in ihren Werken, ein Erkenntniß von sich gönnet; Daß, wie diese fast unendlich, Gott noch weit unend- licher An Verstand, an Macht und Liebe, aller Sonn- und Welten Herr,
Schö-
Vermiſchte Gedichte
Verſuch, die Anſtoͤßigkeit vielerley Religionen zu heben.
Ueberall erſichtliches, und dennoch verborgnes, We- ſen, Wie verwirrt ſich der Verſtand, wann wir mit Erſtau- nen leſen, Daß ſo viele tauſend Arten falſcher Goͤtzendienſt’ auf Er- den, Jhres Unſinns unerachtet, doch von dir geduldet werden! Da es aber doch geſchicht; Scheinet es der Menſchen Pflicht, Die Vernunft zu Rath zu ziehen, Und mit Ernſt uns zu bemuͤhen, Hievon einen Grund zu finden, der uns zeig’ und uͤber- fuͤhre: Wie auch bey ſo vielen Secten doch die Gottheit nichts verliere. Denn uns wuͤrdige Begriffe von der Vollenkommenheit Gottes uͤberall zu machen, iſt der Menſchen Schuldig- keit. Daß ein falſcher Gottesdienſt, auch ſo gar Abgoͤtterey, Bloß nur ein’ Unwiſſenheit- keine Bosheitſuͤnde ſey, Jſt mit Recht wohl nicht zu leugnen. Wer der Gott- heit Groͤß’ erkennet, Wie ſie uns, in ihren Werken, ein Erkenntniß von ſich goͤnnet; Daß, wie dieſe faſt unendlich, Gott noch weit unend- licher An Verſtand, an Macht und Liebe, aller Sonn- und Welten Herr,
Schoͤ-
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Vermiſchte Gedichte
Verſuch, die Anſtoͤßigkeit vielerley
Religionen zu heben.
Ueberall erſichtliches, und dennoch verborgnes, We-
ſen,
Wie verwirrt ſich der Verſtand, wann wir mit Erſtau-
nen leſen,
Daß ſo viele tauſend Arten falſcher Goͤtzendienſt’ auf Er-
den,
Jhres Unſinns unerachtet, doch von dir geduldet werden!
Da es aber doch geſchicht;
Scheinet es der Menſchen Pflicht,
Die Vernunft zu Rath zu ziehen,
Und mit Ernſt uns zu bemuͤhen,
Hievon einen Grund zu finden, der uns zeig’ und uͤber-
fuͤhre:
Wie auch bey ſo vielen Secten doch die Gottheit nichts
verliere.
Denn uns wuͤrdige Begriffe von der Vollenkommenheit
Gottes uͤberall zu machen, iſt der Menſchen Schuldig-
keit.
Daß ein falſcher Gottesdienſt, auch ſo gar Abgoͤtterey,
Bloß nur ein’ Unwiſſenheit- keine Bosheitſuͤnde ſey,
Jſt mit Recht wohl nicht zu leugnen. Wer der Gott-
heit Groͤß’ erkennet,
Wie ſie uns, in ihren Werken, ein Erkenntniß von ſich
goͤnnet;
Daß, wie dieſe faſt unendlich, Gott noch weit unend-
licher
An Verſtand, an Macht und Liebe, aller Sonn- und
Welten Herr,
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/444>, abgerufen am 03.03.2025.
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