Halt! rief ein alter Philosoph: man schlägt dich wirklich. Meynest du, Daß man dich schlägt? Weißt du es nicht? Man schilt dich: Giebest du nicht zu, Zu wissen, daß man dich gescholten? Ja, lieber Phi- losoph! es scheinet, Wir wissen etwas. Jch gestehe: Jch hab' hierinn nicht recht gemeynet; Jch gebe deiner Meynung nach. Allein, was wir jetzt Wissen nennen, Betrifft nur bloß das, was die Seelen, durch ihrer Sin- nen Hülf', erkennen, Und ist doch auch kein rechtes Wissen; Man würd' es eine Fühlungs-Art und ein Empfinden heissen müssen.
Davon ist aber nicht die Rede. Wir sprechen bloß allein von Schlüssen, Die unsre Seel', aus Folgen, macht, wenn sie der Dinge Gründ' ergründen, Und, von den Sinnen abgezogen, für sich will neue Wahrheit finden: Hier, wo wir redlich denken wollen, wird es gewiß bey einem Gläuben, Und, welches meistens einerley, bey einem starken Mey- nen, bleiben.
Betrach-
Zu den Meynungen.
Halt! rief ein alter Philoſoph: man ſchlaͤgt dich wirklich. Meyneſt du, Daß man dich ſchlaͤgt? Weißt du es nicht? Man ſchilt dich: Giebeſt du nicht zu, Zu wiſſen, daß man dich geſcholten? Ja, lieber Phi- loſoph! es ſcheinet, Wir wiſſen etwas. Jch geſtehe: Jch hab’ hierinn nicht recht gemeynet; Jch gebe deiner Meynung nach. Allein, was wir jetzt Wiſſen nennen, Betrifft nur bloß das, was die Seelen, durch ihrer Sin- nen Huͤlf’, erkennen, Und iſt doch auch kein rechtes Wiſſen; Man wuͤrd’ es eine Fuͤhlungs-Art und ein Empfinden heiſſen muͤſſen.
Davon iſt aber nicht die Rede. Wir ſprechen bloß allein von Schluͤſſen, Die unſre Seel’, aus Folgen, macht, wenn ſie der Dinge Gruͤnd’ ergruͤnden, Und, von den Sinnen abgezogen, fuͤr ſich will neue Wahrheit finden: Hier, wo wir redlich denken wollen, wird es gewiß bey einem Glaͤuben, Und, welches meiſtens einerley, bey einem ſtarken Mey- nen, bleiben.
Betrach-
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Zu den Meynungen.
Halt! rief ein alter Philoſoph: man ſchlaͤgt dich
wirklich. Meyneſt du,
Daß man dich ſchlaͤgt? Weißt du es nicht? Man
ſchilt dich: Giebeſt du nicht zu,
Zu wiſſen, daß man dich geſcholten? Ja, lieber Phi-
loſoph! es ſcheinet,
Wir wiſſen etwas. Jch geſtehe: Jch hab’ hierinn
nicht recht gemeynet;
Jch gebe deiner Meynung nach. Allein, was wir jetzt
Wiſſen nennen,
Betrifft nur bloß das, was die Seelen, durch ihrer Sin-
nen Huͤlf’, erkennen,
Und iſt doch auch kein rechtes Wiſſen;
Man wuͤrd’ es eine Fuͤhlungs-Art und ein Empfinden
heiſſen muͤſſen.
Davon iſt aber nicht die Rede. Wir ſprechen bloß
allein von Schluͤſſen,
Die unſre Seel’, aus Folgen, macht, wenn ſie der Dinge
Gruͤnd’ ergruͤnden,
Und, von den Sinnen abgezogen, fuͤr ſich will neue
Wahrheit finden:
Hier, wo wir redlich denken wollen, wird es gewiß bey
einem Glaͤuben,
Und, welches meiſtens einerley, bey einem ſtarken Mey-
nen, bleiben.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/605>, abgerufen am 22.02.2025.
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