Das rege Wesen, das, in mir, Sieht, höret, fühlet, riecht und schmecket, Dem sich die ganze Welt entdecket, Und das sich doch, so mir, als dir, Ja gar sich, vor sich selbst, verstecket, Das sollte ja, von Bürgern dieser Erden, Vorher erkannt und wohl begriffen werden, Bevor sie sich, mit Recht, vernünftig nennen, Und sich dadurch, vor allem Vieh nicht nur, Vor einer jeden Creatur, Ja, fast vor Engeln selbst, den Vorzug geben können.
Man sage mir, mit welchem Recht Das eitle menschliche Geschlecht Die Weisheit, die weit höher geht, Sich zuzueignen untersteht, Da sich die Seele selbst nicht kennt, da der Verstand, Da sich ihr eigner Geist und Cörper unbekannt.
Da aller Menschen Thun so närrisch eingerichtet, Daß, wenn man überhaupt die Handlungen erwegt, Die Thorheit gleich mit Recht den Hochmuth niederschlägt, Und die Vernunft, die sie sich selbst geschenkt, vernichtet.
Kehrt einmal auf euch selbst, bedachtsam, euren Sinn, Seht, ob, was ich gesagt, nicht wahr! Damit forthin Sich keiner wegere, die Wahrheit zuzustehn; So laßt uns mit Bedacht der Menschen Thun besehn.
Die
Seltſames Betragen der Menſchen.
Das rege Weſen, das, in mir, Sieht, hoͤret, fuͤhlet, riecht und ſchmecket, Dem ſich die ganze Welt entdecket, Und das ſich doch, ſo mir, als dir, Ja gar ſich, vor ſich ſelbſt, verſtecket, Das ſollte ja, von Buͤrgern dieſer Erden, Vorher erkannt und wohl begriffen werden, Bevor ſie ſich, mit Recht, vernuͤnftig nennen, Und ſich dadurch, vor allem Vieh nicht nur, Vor einer jeden Creatur, Ja, faſt vor Engeln ſelbſt, den Vorzug geben koͤnnen.
Man ſage mir, mit welchem Recht Das eitle menſchliche Geſchlecht Die Weisheit, die weit hoͤher geht, Sich zuzueignen unterſteht, Da ſich die Seele ſelbſt nicht kennt, da der Verſtand, Da ſich ihr eigner Geiſt und Coͤrper unbekannt.
Da aller Menſchen Thun ſo naͤrriſch eingerichtet, Daß, wenn man uͤberhaupt die Handlungen erwegt, Die Thorheit gleich mit Recht den Hochmuth niederſchlaͤgt, Und die Vernunft, die ſie ſich ſelbſt geſchenkt, vernichtet.
Kehrt einmal auf euch ſelbſt, bedachtſam, euren Sinn, Seht, ob, was ich geſagt, nicht wahr! Damit forthin Sich keiner wegere, die Wahrheit zuzuſtehn; So laßt uns mit Bedacht der Menſchen Thun beſehn.
Die
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Seltſames Betragen der Menſchen.
Das rege Weſen, das, in mir,
Sieht, hoͤret, fuͤhlet, riecht und ſchmecket,
Dem ſich die ganze Welt entdecket,
Und das ſich doch, ſo mir, als dir,
Ja gar ſich, vor ſich ſelbſt, verſtecket,
Das ſollte ja, von Buͤrgern dieſer Erden,
Vorher erkannt und wohl begriffen werden,
Bevor ſie ſich, mit Recht, vernuͤnftig nennen,
Und ſich dadurch, vor allem Vieh nicht nur,
Vor einer jeden Creatur,
Ja, faſt vor Engeln ſelbſt, den Vorzug geben koͤnnen.
Man ſage mir, mit welchem Recht
Das eitle menſchliche Geſchlecht
Die Weisheit, die weit hoͤher geht,
Sich zuzueignen unterſteht,
Da ſich die Seele ſelbſt nicht kennt, da der Verſtand,
Da ſich ihr eigner Geiſt und Coͤrper unbekannt.
Da aller Menſchen Thun ſo naͤrriſch eingerichtet,
Daß, wenn man uͤberhaupt die Handlungen erwegt,
Die Thorheit gleich mit Recht den Hochmuth niederſchlaͤgt,
Und die Vernunft, die ſie ſich ſelbſt geſchenkt, vernichtet.
Kehrt einmal auf euch ſelbſt, bedachtſam, euren Sinn,
Seht, ob, was ich geſagt, nicht wahr! Damit forthin
Sich keiner wegere, die Wahrheit zuzuſtehn;
So laßt uns mit Bedacht der Menſchen Thun beſehn.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/548>, abgerufen am 22.02.2025.
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