Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Genaue
Untersuchung unserer Seelen.
Es scheinet, als ob unsre Seele
Sich, durch die künstlichen Canäle
Der Sinnen, mit der Welt vermähle.
Denn, ohne Sinnen, wüßten wir,
Von unsrer Erden Pracht und Zier,
Von Formen, Farben, Ordnung, Licht,
Von allem, das geringste nicht.
"Ja, denk' ich recht, die Seele könnte,
"Wenn Gott ihr nicht die Sinnen gönnte,
"Sich ihrer selbst ganz unbewußt,
"Daß sie ein Wesen, selbst nicht spühren:
"Ja, sollte sie so gar die Gaben
"Der Sinnen, und die Werkzeug', haben;
"So würde sie dennoch nichts wissen,
"Und sich selbst unbekannt seyn müssen,
"Wenn keine Gegenwürfe wären,
"Die ihr, sich, sie, und Gott, erklären.
Man stell sich eine junge Seele ohn' Hände, son-
der Aug' und Ohr,

Und, nebst dem Mangel aller Vorwürf', auch ohne
Nas' und Zunge vor;

Wie ist es möglich, daß Jdeen
Jn einer solchen Seel' entstehen?
Wie kann sie, ohn' Jdeen, denken?
Jhr
Genaue
Unterſuchung unſerer Seelen.
Es ſcheinet, als ob unſre Seele
Sich, durch die kuͤnſtlichen Canaͤle
Der Sinnen, mit der Welt vermaͤhle.
Denn, ohne Sinnen, wuͤßten wir,
Von unſrer Erden Pracht und Zier,
Von Formen, Farben, Ordnung, Licht,
Von allem, das geringſte nicht.
“Ja, denk’ ich recht, die Seele koͤnnte,
“Wenn Gott ihr nicht die Sinnen goͤnnte,
“Sich ihrer ſelbſt ganz unbewußt,
“Daß ſie ein Weſen, ſelbſt nicht ſpuͤhren:
“Ja, ſollte ſie ſo gar die Gaben
“Der Sinnen, und die Werkzeug’, haben;
“So wuͤrde ſie dennoch nichts wiſſen,
“Und ſich ſelbſt unbekannt ſeyn muͤſſen,
“Wenn keine Gegenwuͤrfe waͤren,
“Die ihr, ſich, ſie, und Gott, erklaͤren.
Man ſtell ſich eine junge Seele ohn’ Haͤnde, ſon-
der Aug’ und Ohr,

Und, nebſt dem Mangel aller Vorwuͤrf’, auch ohne
Naſ’ und Zunge vor;

Wie iſt es moͤglich, daß Jdeen
Jn einer ſolchen Seel’ entſtehen?
Wie kann ſie, ohn’ Jdeen, denken?
Jhr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0508" n="494"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Genaue<lb/>
Unter&#x017F;uchung un&#x017F;erer Seelen.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">E</hi>s &#x017F;cheinet, als ob un&#x017F;re Seele</l><lb/>
                <l>Sich, durch die ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Cana&#x0364;le</l><lb/>
                <l>Der Sinnen, mit der Welt verma&#x0364;hle.</l><lb/>
                <l>Denn, ohne Sinnen, wu&#x0364;ßten wir,</l><lb/>
                <l>Von un&#x017F;rer Erden Pracht und Zier,</l><lb/>
                <l>Von Formen, Farben, Ordnung, Licht,</l><lb/>
                <l>Von allem, das gering&#x017F;te nicht.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>&#x201C;Ja, denk&#x2019; ich recht, die Seele ko&#x0364;nnte,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Wenn Gott ihr nicht die Sinnen go&#x0364;nnte,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Sich ihrer &#x017F;elb&#x017F;t ganz unbewußt,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Daß &#x017F;ie ein We&#x017F;en, &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;pu&#x0364;hren:</l><lb/>
                <l>&#x201C;Ja, &#x017F;ollte &#x017F;ie &#x017F;o gar die Gaben</l><lb/>
                <l>&#x201C;Der Sinnen, und die Werkzeug&#x2019;, haben;</l><lb/>
                <l>&#x201C;So wu&#x0364;rde &#x017F;ie dennoch nichts wi&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t unbekannt &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Wenn keine Gegenwu&#x0364;rfe wa&#x0364;ren,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Die ihr, &#x017F;ich, &#x017F;ie, und Gott, erkla&#x0364;ren.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Man &#x017F;tell &#x017F;ich eine junge Seele ohn&#x2019; Ha&#x0364;nde, &#x017F;on-<lb/><hi rendition="#et">der Aug&#x2019; und Ohr,</hi></l><lb/>
                <l>Und, neb&#x017F;t dem Mangel aller Vorwu&#x0364;rf&#x2019;, auch ohne<lb/><hi rendition="#et">Na&#x017F;&#x2019; und Zunge vor;</hi></l><lb/>
                <l>Wie i&#x017F;t es mo&#x0364;glich, daß Jdeen</l><lb/>
                <l>Jn einer &#x017F;olchen Seel&#x2019; ent&#x017F;tehen?</l><lb/>
                <l>Wie kann &#x017F;ie, ohn&#x2019; <hi rendition="#fr">Jdeen,</hi> denken?</l><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">Jhr</fw><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[494/0508] Genaue Unterſuchung unſerer Seelen. Es ſcheinet, als ob unſre Seele Sich, durch die kuͤnſtlichen Canaͤle Der Sinnen, mit der Welt vermaͤhle. Denn, ohne Sinnen, wuͤßten wir, Von unſrer Erden Pracht und Zier, Von Formen, Farben, Ordnung, Licht, Von allem, das geringſte nicht. “Ja, denk’ ich recht, die Seele koͤnnte, “Wenn Gott ihr nicht die Sinnen goͤnnte, “Sich ihrer ſelbſt ganz unbewußt, “Daß ſie ein Weſen, ſelbſt nicht ſpuͤhren: “Ja, ſollte ſie ſo gar die Gaben “Der Sinnen, und die Werkzeug’, haben; “So wuͤrde ſie dennoch nichts wiſſen, “Und ſich ſelbſt unbekannt ſeyn muͤſſen, “Wenn keine Gegenwuͤrfe waͤren, “Die ihr, ſich, ſie, und Gott, erklaͤren. Man ſtell ſich eine junge Seele ohn’ Haͤnde, ſon- der Aug’ und Ohr, Und, nebſt dem Mangel aller Vorwuͤrf’, auch ohne Naſ’ und Zunge vor; Wie iſt es moͤglich, daß Jdeen Jn einer ſolchen Seel’ entſtehen? Wie kann ſie, ohn’ Jdeen, denken? Jhr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/508
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/508>, abgerufen am 03.12.2024.