Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum Herbst.
Oft trauret selber mein Gemüth,
Wenn es, im Herbst, bey trübem Wetter,
Den Rest der gelblich-grünen Blätter,
Durch die beschwitzten Fenster-Scheiben, als wie durch
einen Nebel, sieht,

Der unser' Augen schwächt und blendet, und worinn
ein gedämpftes Licht,

An der verdünnten Feuchtigkeit, sich heftet, sich verwirrt
und bricht:

Worinn die Farben zwar zu sehen, doch die Figur sich
ganz verzieht;

Den doch, an unterschiednen Stellen,
Die Spuhren abgeloffner Tropfen ein wenig theilen und
erhellen;

Durch deren Striche man die Vorwürf dann alsbald
deutlicher bemerkt.

Es wird, nach weggenommner Hindrung, das Aug'
erheitert und gestärkt.

Man sieht, wenn sich der Duft zertheilt, die Vorwürf'
alle schön und rein.
Bey diesem ernsten Ueberlegen, fiel mir noch ferner
dieses ein:
Laß nicht den Dunst der Leidenschaften
An deiner Augen Fenster haften:
Denn, ein durch sie bewölkt Gemüth
Bemerkt sodann nicht, was es sieht.
Die
Zum Herbſt.
Oft trauret ſelber mein Gemuͤth,
Wenn es, im Herbſt, bey truͤbem Wetter,
Den Reſt der gelblich-gruͤnen Blaͤtter,
Durch die beſchwitzten Fenſter-Scheiben, als wie durch
einen Nebel, ſieht,

Der unſer’ Augen ſchwaͤcht und blendet, und worinn
ein gedaͤmpftes Licht,

An der verduͤnnten Feuchtigkeit, ſich heftet, ſich verwirrt
und bricht:

Worinn die Farben zwar zu ſehen, doch die Figur ſich
ganz verzieht;

Den doch, an unterſchiednen Stellen,
Die Spuhren abgeloffner Tropfen ein wenig theilen und
erhellen;

Durch deren Striche man die Vorwuͤrf dann alsbald
deutlicher bemerkt.

Es wird, nach weggenommner Hindrung, das Aug’
erheitert und geſtaͤrkt.

Man ſieht, wenn ſich der Duft zertheilt, die Vorwuͤrf’
alle ſchoͤn und rein.
Bey dieſem ernſten Ueberlegen, fiel mir noch ferner
dieſes ein:
Laß nicht den Dunſt der Leidenſchaften
An deiner Augen Fenſter haften:
Denn, ein durch ſie bewoͤlkt Gemuͤth
Bemerkt ſodann nicht, was es ſieht.
Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0246" n="232"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Zum Herb&#x017F;t.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">O</hi>ft trauret &#x017F;elber mein Gemu&#x0364;th,</l><lb/>
                <l>Wenn es, im Herb&#x017F;t, bey tru&#x0364;bem Wetter,</l><lb/>
                <l>Den Re&#x017F;t der gelblich-gru&#x0364;nen Bla&#x0364;tter,</l><lb/>
                <l>Durch die be&#x017F;chwitzten Fen&#x017F;ter-Scheiben, als wie durch<lb/><hi rendition="#et">einen Nebel, &#x017F;ieht,</hi></l><lb/>
                <l>Der un&#x017F;er&#x2019; Augen &#x017F;chwa&#x0364;cht und blendet, und worinn<lb/><hi rendition="#et">ein geda&#x0364;mpftes Licht,</hi></l><lb/>
                <l>An der verdu&#x0364;nnten Feuchtigkeit, &#x017F;ich heftet, &#x017F;ich verwirrt<lb/><hi rendition="#et">und bricht:</hi></l><lb/>
                <l>Worinn die Farben zwar zu &#x017F;ehen, doch die Figur &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">ganz verzieht;</hi></l><lb/>
                <l>Den doch, an unter&#x017F;chiednen Stellen,</l><lb/>
                <l>Die Spuhren abgeloffner Tropfen ein wenig theilen und<lb/><hi rendition="#et">erhellen;</hi></l><lb/>
                <l>Durch deren Striche man die Vorwu&#x0364;rf dann alsbald<lb/><hi rendition="#et">deutlicher bemerkt.</hi></l><lb/>
                <l>Es wird, nach weggenommner Hindrung, das Aug&#x2019;<lb/><hi rendition="#et">erheitert und ge&#x017F;ta&#x0364;rkt.</hi></l><lb/>
                <l>Man &#x017F;ieht, wenn &#x017F;ich der Duft zertheilt, die Vorwu&#x0364;rf&#x2019;<lb/><hi rendition="#et">alle &#x017F;cho&#x0364;n und rein.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Bey die&#x017F;em ern&#x017F;ten Ueberlegen, fiel mir noch ferner<lb/><hi rendition="#et">die&#x017F;es ein:</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l> <hi rendition="#fr">Laß nicht den Dun&#x017F;t der Leiden&#x017F;chaften</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">An deiner Augen Fen&#x017F;ter haften:</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Denn, ein durch &#x017F;ie bewo&#x0364;lkt Gemu&#x0364;th</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Bemerkt &#x017F;odann nicht, was es &#x017F;ieht.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0246] Zum Herbſt. Oft trauret ſelber mein Gemuͤth, Wenn es, im Herbſt, bey truͤbem Wetter, Den Reſt der gelblich-gruͤnen Blaͤtter, Durch die beſchwitzten Fenſter-Scheiben, als wie durch einen Nebel, ſieht, Der unſer’ Augen ſchwaͤcht und blendet, und worinn ein gedaͤmpftes Licht, An der verduͤnnten Feuchtigkeit, ſich heftet, ſich verwirrt und bricht: Worinn die Farben zwar zu ſehen, doch die Figur ſich ganz verzieht; Den doch, an unterſchiednen Stellen, Die Spuhren abgeloffner Tropfen ein wenig theilen und erhellen; Durch deren Striche man die Vorwuͤrf dann alsbald deutlicher bemerkt. Es wird, nach weggenommner Hindrung, das Aug’ erheitert und geſtaͤrkt. Man ſieht, wenn ſich der Duft zertheilt, die Vorwuͤrf’ alle ſchoͤn und rein. Bey dieſem ernſten Ueberlegen, fiel mir noch ferner dieſes ein: Laß nicht den Dunſt der Leidenſchaften An deiner Augen Fenſter haften: Denn, ein durch ſie bewoͤlkt Gemuͤth Bemerkt ſodann nicht, was es ſieht. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/246
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/246>, abgerufen am 21.12.2024.