Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Schnee-Betrachtung.
Es flog der Schnee so dick und dichte,
Daß er dem schärfesten Gesichte
Kaum zwanzig Schritt zu sehn erlaubt.
Es schien, durch einen weissen Nebel, was sonst zu sehn
war, uns geraubt.
Es waren Häuser, Bäume, Thürme und Scheunen, die
erhaben stehn,
Kaum durch den weiss- und regen Duft, ja öfters gar
nicht einst zu sehn.
Doch, wenn man sie zuweilen sah, konnt' ihre dunkle
Schwärz und Höh'
Uns von dem Nebel-gleichen Schnee,
Trotz seiner regen Schnelligkeit,
Wenn er vor sie vorbey flog, eben
Auf ihres Grundes Dunkelheit
Die eigentlichste Bildung geben.
Man kann denselben, ohn' Vergnügen,
Jn reger Emsigkeit nicht fliegen
Und, ohne Lust, nicht sinken sehn.
Man siehet lauter lichte Theile,
Jn flücht'ger Schnelligkeit und Eile,
Verwirret durch einander gehn.
Von Osten sieht man einen Schnee-Strich, von Westen
einen gegen ihn,
Jn einem ja so strengen Zug, aus tausend weissen Theilchen,
ziehn.
Man heißt es Schnee-Jagd, und mit Recht, weil alles,
was man sieht, sich jäget,
Sich gleichsam stoßt, durchdringt, verfolgt, sich gleichsam
drenget, preßt und schläget.
Wenn
Schnee-Betrachtung.
Es flog der Schnee ſo dick und dichte,
Daß er dem ſchaͤrfeſten Geſichte
Kaum zwanzig Schritt zu ſehn erlaubt.
Es ſchien, durch einen weiſſen Nebel, was ſonſt zu ſehn
war, uns geraubt.
Es waren Haͤuſer, Baͤume, Thuͤrme und Scheunen, die
erhaben ſtehn,
Kaum durch den weiſſ- und regen Duft, ja oͤfters gar
nicht einſt zu ſehn.
Doch, wenn man ſie zuweilen ſah, konnt’ ihre dunkle
Schwaͤrz und Hoͤh’
Uns von dem Nebel-gleichen Schnee,
Trotz ſeiner regen Schnelligkeit,
Wenn er vor ſie vorbey flog, eben
Auf ihres Grundes Dunkelheit
Die eigentlichſte Bildung geben.
Man kann denſelben, ohn’ Vergnuͤgen,
Jn reger Emſigkeit nicht fliegen
Und, ohne Luſt, nicht ſinken ſehn.
Man ſiehet lauter lichte Theile,
Jn fluͤcht’ger Schnelligkeit und Eile,
Verwirret durch einander gehn.
Von Oſten ſieht man einen Schnee-Strich, von Weſten
einen gegen ihn,
Jn einem ja ſo ſtrengen Zug, aus tauſend weiſſen Theilchen,
ziehn.
Man heißt es Schnee-Jagd, und mit Recht, weil alles,
was man ſieht, ſich jaͤget,
Sich gleichſam ſtoßt, durchdringt, verfolgt, ſich gleichſam
drenget, preßt und ſchlaͤget.
Wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0606" n="588"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Schnee-Betrachtung.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">E</hi>s flog der Schnee &#x017F;o dick und dichte,</l><lb/>
                <l>Daß er dem &#x017F;cha&#x0364;rfe&#x017F;ten Ge&#x017F;ichte</l><lb/>
                <l>Kaum zwanzig Schritt zu &#x017F;ehn erlaubt.</l><lb/>
                <l>Es &#x017F;chien, durch einen wei&#x017F;&#x017F;en Nebel, was &#x017F;on&#x017F;t zu &#x017F;ehn</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">war, uns geraubt.</hi> </l><lb/>
                <l>Es waren Ha&#x0364;u&#x017F;er, Ba&#x0364;ume, Thu&#x0364;rme und Scheunen, die</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">erhaben &#x017F;tehn,</hi> </l><lb/>
                <l>Kaum durch den wei&#x017F;&#x017F;- und regen Duft, ja o&#x0364;fters gar</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">nicht ein&#x017F;t zu &#x017F;ehn.</hi> </l><lb/>
                <l>Doch, wenn man &#x017F;ie zuweilen &#x017F;ah, konnt&#x2019; ihre dunkle</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Schwa&#x0364;rz und Ho&#x0364;h&#x2019;</hi> </l><lb/>
                <l>Uns von dem Nebel-gleichen Schnee,</l><lb/>
                <l>Trotz &#x017F;einer regen Schnelligkeit,</l><lb/>
                <l>Wenn er vor &#x017F;ie vorbey flog, eben</l><lb/>
                <l>Auf ihres Grundes Dunkelheit</l><lb/>
                <l>Die eigentlich&#x017F;te Bildung geben.</l><lb/>
                <l>Man kann den&#x017F;elben, ohn&#x2019; Vergnu&#x0364;gen,</l><lb/>
                <l>Jn reger Em&#x017F;igkeit nicht fliegen</l><lb/>
                <l>Und, ohne Lu&#x017F;t, nicht &#x017F;inken &#x017F;ehn.</l><lb/>
                <l>Man &#x017F;iehet lauter lichte Theile,</l><lb/>
                <l>Jn flu&#x0364;cht&#x2019;ger Schnelligkeit und Eile,</l><lb/>
                <l>Verwirret durch einander gehn.</l><lb/>
                <l>Von O&#x017F;ten &#x017F;ieht man einen Schnee-Strich, von We&#x017F;ten</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">einen gegen ihn,</hi> </l><lb/>
                <l>Jn einem ja &#x017F;o &#x017F;trengen Zug, aus tau&#x017F;end wei&#x017F;&#x017F;en Theilchen,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ziehn.</hi> </l><lb/>
                <l>Man heißt es Schnee-Jagd, und mit Recht, weil alles,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">was man &#x017F;ieht, &#x017F;ich ja&#x0364;get,</hi> </l><lb/>
                <l>Sich gleich&#x017F;am &#x017F;toßt, durchdringt, verfolgt, &#x017F;ich gleich&#x017F;am</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">drenget, preßt und &#x017F;chla&#x0364;get.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[588/0606] Schnee-Betrachtung. Es flog der Schnee ſo dick und dichte, Daß er dem ſchaͤrfeſten Geſichte Kaum zwanzig Schritt zu ſehn erlaubt. Es ſchien, durch einen weiſſen Nebel, was ſonſt zu ſehn war, uns geraubt. Es waren Haͤuſer, Baͤume, Thuͤrme und Scheunen, die erhaben ſtehn, Kaum durch den weiſſ- und regen Duft, ja oͤfters gar nicht einſt zu ſehn. Doch, wenn man ſie zuweilen ſah, konnt’ ihre dunkle Schwaͤrz und Hoͤh’ Uns von dem Nebel-gleichen Schnee, Trotz ſeiner regen Schnelligkeit, Wenn er vor ſie vorbey flog, eben Auf ihres Grundes Dunkelheit Die eigentlichſte Bildung geben. Man kann denſelben, ohn’ Vergnuͤgen, Jn reger Emſigkeit nicht fliegen Und, ohne Luſt, nicht ſinken ſehn. Man ſiehet lauter lichte Theile, Jn fluͤcht’ger Schnelligkeit und Eile, Verwirret durch einander gehn. Von Oſten ſieht man einen Schnee-Strich, von Weſten einen gegen ihn, Jn einem ja ſo ſtrengen Zug, aus tauſend weiſſen Theilchen, ziehn. Man heißt es Schnee-Jagd, und mit Recht, weil alles, was man ſieht, ſich jaͤget, Sich gleichſam ſtoßt, durchdringt, verfolgt, ſich gleichſam drenget, preßt und ſchlaͤget. Wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/606
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/606>, abgerufen am 21.12.2024.