Jch sahe neulich, mit Vergnügen, Verschiedne Schmetterlinge fliegen; Jch dachte dieses Thiers verworfnem Ursprung nach, Worüber ich denn zu mir selber sprach: Vom schönen Schmetterling läßt, nach dem Augenschein, Die Raupe nur der Embrion zu seyn. Mich deucht, daß ich darinn entdecke, Wie ein Geheimniß- volles Bild, Mit reichem Trost für uns erfüllt, Jn ihrer Aenderung verborgnen Ordnung, stecke.
So lange hier die Raup' im ersten Zustand ist, Seh'n wir, wie sie sich nährt und frißt. So bald sie den vollkommnen Grad Von ihrem Wesen nun erhalten hat; Gebraucht sie keiner Nahrung mehr. Man siehet sie zuletzt von allem Mangel leer, Jn unverändertem Vergnügen, Auf Lieb' allein bedacht, in heitern Lüften fliegen.
Vielleicht ist uns in ihm ein Vorbild vorgestellt, Wir sind vielleicht, so lang' wir auf der Welt, Ein blosser Embrion allein Von dem, was wir dereinst zu seyn, Uns Hoffnung machen können, Und was wir Seligkeit und Himmel nennen.
So
Eine neue Betrachtung uͤber Schmetterlinge.
Jch ſahe neulich, mit Vergnuͤgen, Verſchiedne Schmetterlinge fliegen; Jch dachte dieſes Thiers verworfnem Urſprung nach, Woruͤber ich denn zu mir ſelber ſprach: Vom ſchoͤnen Schmetterling laͤßt, nach dem Augenſchein, Die Raupe nur der Embrion zu ſeyn. Mich deucht, daß ich darinn entdecke, Wie ein Geheimniß- volles Bild, Mit reichem Troſt fuͤr uns erfuͤllt, Jn ihrer Aenderung verborgnen Ordnung, ſtecke.
So lange hier die Raup’ im erſten Zuſtand iſt, Seh’n wir, wie ſie ſich naͤhrt und frißt. So bald ſie den vollkommnen Grad Von ihrem Weſen nun erhalten hat; Gebraucht ſie keiner Nahrung mehr. Man ſiehet ſie zuletzt von allem Mangel leer, Jn unveraͤndertem Vergnuͤgen, Auf Lieb’ allein bedacht, in heitern Luͤften fliegen.
Vielleicht iſt uns in ihm ein Vorbild vorgeſtellt, Wir ſind vielleicht, ſo lang’ wir auf der Welt, Ein bloſſer Embrion allein Von dem, was wir dereinſt zu ſeyn, Uns Hoffnung machen koͤnnen, Und was wir Seligkeit und Himmel nennen.
So
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Eine neue Betrachtung uͤber
Schmetterlinge.
Jch ſahe neulich, mit Vergnuͤgen,
Verſchiedne Schmetterlinge fliegen;
Jch dachte dieſes Thiers verworfnem Urſprung nach,
Woruͤber ich denn zu mir ſelber ſprach:
Vom ſchoͤnen Schmetterling laͤßt, nach dem Augenſchein,
Die Raupe nur der Embrion zu ſeyn.
Mich deucht, daß ich darinn entdecke,
Wie ein Geheimniß- volles Bild,
Mit reichem Troſt fuͤr uns erfuͤllt,
Jn ihrer Aenderung verborgnen Ordnung, ſtecke.
So lange hier die Raup’ im erſten Zuſtand iſt,
Seh’n wir, wie ſie ſich naͤhrt und frißt.
So bald ſie den vollkommnen Grad
Von ihrem Weſen nun erhalten hat;
Gebraucht ſie keiner Nahrung mehr.
Man ſiehet ſie zuletzt von allem Mangel leer,
Jn unveraͤndertem Vergnuͤgen,
Auf Lieb’ allein bedacht, in heitern Luͤften fliegen.
Vielleicht iſt uns in ihm ein Vorbild vorgeſtellt,
Wir ſind vielleicht, ſo lang’ wir auf der Welt,
Ein bloſſer Embrion allein
Von dem, was wir dereinſt zu ſeyn,
Uns Hoffnung machen koͤnnen,
Und was wir Seligkeit und Himmel nennen.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/353>, abgerufen am 30.12.2024.
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