Jüngst setzt' ich mich, mit frohem Sinn, Jn Schatten einer Linde hin, Um dem so Segen-reichen Mähen, Mit Lust und Andacht, zuzusehen. Mir waren fast die Thränen nah Ob allem, was ich hört' und sah. Jch hört' ein lieblich-rauschend Zischen, Wenn durch das Korn die Sense drang, Sich mit dem hell- und scharfen Klang Der oft geschärften Sichel mischen. Jch sah' ein hell und funkelnd Blinken (Wenn sich die Sicheln bald erhöhn, Bald in der Luft sich schwingend drehn, Bald schleunig wieder niedersinken) Wie Blitz entstehen und vergehn. Jch sah', wie sie mit strengen Hieben Die Schnitter durch die Halmen trieben. Jch sah', wie sie den Haken führen, Wie sie damit den Hieb regieren, Wenn sie die Halmen biegend ziehn. Jch sahe ferner noch vor allen, Mit Lust, das Korn in Schwaden fallen, Und wie die Schnitter sich bemühn, Daß es durch Haken, Sichel, Fuß Zu einer Garbe werden muß, Jndem sie es, im Ziehen, pflegen Sanft auf das linke Bein zu legen,
Sie
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Betrachtungen beym Maͤhen des Getraydes.
Juͤngſt ſetzt’ ich mich, mit frohem Sinn, Jn Schatten einer Linde hin, Um dem ſo Segen-reichen Maͤhen, Mit Luſt und Andacht, zuzuſehen. Mir waren faſt die Thraͤnen nah Ob allem, was ich hoͤrt’ und ſah. Jch hoͤrt’ ein lieblich-rauſchend Ziſchen, Wenn durch das Korn die Senſe drang, Sich mit dem hell- und ſcharfen Klang Der oft geſchaͤrften Sichel miſchen. Jch ſah’ ein hell und funkelnd Blinken (Wenn ſich die Sicheln bald erhoͤhn, Bald in der Luft ſich ſchwingend drehn, Bald ſchleunig wieder niederſinken) Wie Blitz entſtehen und vergehn. Jch ſah’, wie ſie mit ſtrengen Hieben Die Schnitter durch die Halmen trieben. Jch ſah’, wie ſie den Haken fuͤhren, Wie ſie damit den Hieb regieren, Wenn ſie die Halmen biegend ziehn. Jch ſahe ferner noch vor allen, Mit Luſt, das Korn in Schwaden fallen, Und wie die Schnitter ſich bemuͤhn, Daß es durch Haken, Sichel, Fuß Zu einer Garbe werden muß, Jndem ſie es, im Ziehen, pflegen Sanft auf das linke Bein zu legen,
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Betrachtungen beym Maͤhen des
Getraydes.
Juͤngſt ſetzt’ ich mich, mit frohem Sinn,
Jn Schatten einer Linde hin,
Um dem ſo Segen-reichen Maͤhen,
Mit Luſt und Andacht, zuzuſehen.
Mir waren faſt die Thraͤnen nah
Ob allem, was ich hoͤrt’ und ſah.
Jch hoͤrt’ ein lieblich-rauſchend Ziſchen,
Wenn durch das Korn die Senſe drang,
Sich mit dem hell- und ſcharfen Klang
Der oft geſchaͤrften Sichel miſchen.
Jch ſah’ ein hell und funkelnd Blinken
(Wenn ſich die Sicheln bald erhoͤhn,
Bald in der Luft ſich ſchwingend drehn,
Bald ſchleunig wieder niederſinken)
Wie Blitz entſtehen und vergehn.
Jch ſah’, wie ſie mit ſtrengen Hieben
Die Schnitter durch die Halmen trieben.
Jch ſah’, wie ſie den Haken fuͤhren,
Wie ſie damit den Hieb regieren,
Wenn ſie die Halmen biegend ziehn.
Jch ſahe ferner noch vor allen,
Mit Luſt, das Korn in Schwaden fallen,
Und wie die Schnitter ſich bemuͤhn,
Daß es durch Haken, Sichel, Fuß
Zu einer Garbe werden muß,
Jndem ſie es, im Ziehen, pflegen
Sanft auf das linke Bein zu legen,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/245>, abgerufen am 21.12.2024.
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