Jüngst ging ich auf das Feld, wie ich zuweilen pflag, An einem angenehm-jedoch bedeckten Tag. Es stralete das helle Sonnenlicht Jn der gewohnten Klarheit nicht, Doch war es zum spatzieren sehr bequem. Die sanfte Luft war kühl und angenehm; Es schien, als ob sich Licht und Schatten, Die sonst so sehr getrennt, vermischet hatten. Man kunnte fast von ihnen beyden Nicht eines eigentlich vom andern unterscheiden. Man sahe keinen Sonnenschein, Man kunnt auch keinen Schatten sehen; Ein grünlich Dämmrungslicht war allgemein, Man sah es überall entstehen. Es stund, bey dem bedeckten Wetter, Das schöne Grün der Pflanzen und der Blätter Jn so harmonischem Zusammenhang, Daß ihre lichte Dunkelheit, Mit ungemeiner Lieblichkeit, Durch mein Gesicht, in mein Gemüthe drang, Den gar zu schnellen Lauf des Bluts allmählig stillte, Jn meinem Geist ein Gleichgewicht erregte, Mit einem sittsamen und sanften Trieb ihn füllte, Und mich zu einer Art Gelaßenheit bewegte. Jch setzte mich, in dick verwachsnen Büschen, Wo vielerley Gewächs ihr vielfach Prangen mischen, Und sahe, zwischen Schwarz- und Weißdorn, Asp und Schlehen, Auch Brombeer, Stachelkraut und Schilf, als wie ein Licht,
Den
Br.VI.Th. D
Der Flieder.
Der Flieder.
Juͤngſt ging ich auf das Feld, wie ich zuweilen pflag, An einem angenehm-jedoch bedeckten Tag. Es ſtralete das helle Sonnenlicht Jn der gewohnten Klarheit nicht, Doch war es zum ſpatzieren ſehr bequem. Die ſanfte Luft war kuͤhl und angenehm; Es ſchien, als ob ſich Licht und Schatten, Die ſonſt ſo ſehr getrennt, vermiſchet hatten. Man kunnte faſt von ihnen beyden Nicht eines eigentlich vom andern unterſcheiden. Man ſahe keinen Sonnenſchein, Man kunnt auch keinen Schatten ſehen; Ein gruͤnlich Daͤmmrungslicht war allgemein, Man ſah es uͤberall entſtehen. Es ſtund, bey dem bedeckten Wetter, Das ſchoͤne Gruͤn der Pflanzen und der Blaͤtter Jn ſo harmoniſchem Zuſammenhang, Daß ihre lichte Dunkelheit, Mit ungemeiner Lieblichkeit, Durch mein Geſicht, in mein Gemuͤthe drang, Den gar zu ſchnellen Lauf des Bluts allmaͤhlig ſtillte, Jn meinem Geiſt ein Gleichgewicht erregte, Mit einem ſittſamen und ſanften Trieb ihn fuͤllte, Und mich zu einer Art Gelaßenheit bewegte. Jch ſetzte mich, in dick verwachsnen Buͤſchen, Wo vielerley Gewaͤchs ihr vielfach Prangen miſchen, Und ſahe, zwiſchen Schwarz- und Weißdorn, Asp und Schlehen, Auch Brombeer, Stachelkraut und Schilf, als wie ein Licht,
Den
Br.VI.Th. D
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Der Flieder.
Der Flieder.
Juͤngſt ging ich auf das Feld, wie ich zuweilen pflag,
An einem angenehm-jedoch bedeckten Tag.
Es ſtralete das helle Sonnenlicht
Jn der gewohnten Klarheit nicht,
Doch war es zum ſpatzieren ſehr bequem.
Die ſanfte Luft war kuͤhl und angenehm;
Es ſchien, als ob ſich Licht und Schatten,
Die ſonſt ſo ſehr getrennt, vermiſchet hatten.
Man kunnte faſt von ihnen beyden
Nicht eines eigentlich vom andern unterſcheiden.
Man ſahe keinen Sonnenſchein,
Man kunnt auch keinen Schatten ſehen;
Ein gruͤnlich Daͤmmrungslicht war allgemein,
Man ſah es uͤberall entſtehen.
Es ſtund, bey dem bedeckten Wetter,
Das ſchoͤne Gruͤn der Pflanzen und der Blaͤtter
Jn ſo harmoniſchem Zuſammenhang,
Daß ihre lichte Dunkelheit,
Mit ungemeiner Lieblichkeit,
Durch mein Geſicht, in mein Gemuͤthe drang,
Den gar zu ſchnellen Lauf des Bluts allmaͤhlig ſtillte,
Jn meinem Geiſt ein Gleichgewicht erregte,
Mit einem ſittſamen und ſanften Trieb ihn fuͤllte,
Und mich zu einer Art Gelaßenheit bewegte.
Jch ſetzte mich, in dick verwachsnen Buͤſchen,
Wo vielerley Gewaͤchs ihr vielfach Prangen miſchen,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/73>, abgerufen am 30.12.2024.
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