Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.Früher Frühling. Früher Frühling. Der Knospen Frühling war annoch: Man sah fast sichtbarlich, wie bey dem lauen Wetter, Das grüne Heer der jungen Blätter Aus ihren röthlichen Behältern kroch. Sie hingen erst annoch verwickelt unter sich; Entwickelten sich aber nach und nach, Und fingen allgemach, An allen Seiten, Sich auszudehnen, auszubreiten, Sich auszuspannen an, und sanft sich zu erhöhn. Der allerdünnste Tafft, ist nicht so sanft, so schön, So klar, so glatt, so gläntzend, zart und fein, Als neu-gebohrne Blätter seyn. Die Aederchen sind selbst durchsichtig, noch vielmehr Das noch viel zärtere Gespinnst. Das Sonnen-Licht, So ungehemmt fast, durch sie bricht, Und durch ihr zart Gewebe strahlet; Wird, recht als fiel es durch ein grünes Glas, Auch grün gemahlet. Hiedurch entstehen klare Schatten, Die Wald und Garten, Lufft und Matten Fast unaussprechlich lieblich füllen, Sie zeigen manchen Schmuck, auch wann sie ihn verhüllen. Jn diesem Spiel unschuldger Lieblichkeit, Womit sich gleichsam noch des Jahres Kindheit schmückte, Wie in der güldnen Zeit, War, was man nur erblickte, Unschädlich, Anmuth-voll, Lust- und Vergnügen-reich. Die
Fruͤher Fruͤhling. Fruͤher Fruͤhling. Der Knospen Fruͤhling war annoch: Man ſah faſt ſichtbarlich, wie bey dem lauen Wetter, Das gruͤne Heer der jungen Blaͤtter Aus ihren roͤthlichen Behaͤltern kroch. Sie hingen erſt annoch verwickelt unter ſich; Entwickelten ſich aber nach und nach, Und fingen allgemach, An allen Seiten, Sich auszudehnen, auszubreiten, Sich auszuſpannen an, und ſanft ſich zu erhoͤhn. Der allerduͤnnſte Tafft, iſt nicht ſo ſanft, ſo ſchoͤn, So klar, ſo glatt, ſo glaͤntzend, zart und fein, Als neu-gebohrne Blaͤtter ſeyn. Die Aederchen ſind ſelbſt durchſichtig, noch vielmehr Das noch viel zaͤrtere Geſpinnſt. Das Sonnen-Licht, So ungehemmt faſt, durch ſie bricht, Und durch ihr zart Gewebe ſtrahlet; Wird, recht als fiel es durch ein gruͤnes Glas, Auch gruͤn gemahlet. Hiedurch entſtehen klare Schatten, Die Wald und Garten, Lufft und Matten Faſt unausſprechlich lieblich fuͤllen, Sie zeigen manchen Schmuck, auch wann ſie ihn verhuͤllen. Jn dieſem Spiel unſchuldger Lieblichkeit, Womit ſich gleichſam noch des Jahres Kindheit ſchmuͤckte, Wie in der guͤldnen Zeit, War, was man nur erblickte, Unſchaͤdlich, Anmuth-voll, Luſt- und Vergnuͤgen-reich. Die
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Fruͤher Fruͤhling.
Fruͤher Fruͤhling.
Der Knospen Fruͤhling war annoch:
Man ſah faſt ſichtbarlich, wie bey dem lauen Wetter,
Das gruͤne Heer der jungen Blaͤtter
Aus ihren roͤthlichen Behaͤltern kroch.
Sie hingen erſt annoch verwickelt unter ſich;
Entwickelten ſich aber nach und nach,
Und fingen allgemach,
An allen Seiten,
Sich auszudehnen, auszubreiten,
Sich auszuſpannen an, und ſanft ſich zu erhoͤhn.
Der allerduͤnnſte Tafft, iſt nicht ſo ſanft, ſo ſchoͤn,
So klar, ſo glatt, ſo glaͤntzend, zart und fein,
Als neu-gebohrne Blaͤtter ſeyn.
Die Aederchen ſind ſelbſt durchſichtig, noch vielmehr
Das noch viel zaͤrtere Geſpinnſt. Das Sonnen-Licht,
So ungehemmt faſt, durch ſie bricht,
Und durch ihr zart Gewebe ſtrahlet;
Wird, recht als fiel es durch ein gruͤnes Glas,
Auch gruͤn gemahlet.
Hiedurch entſtehen klare Schatten,
Die Wald und Garten, Lufft und Matten
Faſt unausſprechlich lieblich fuͤllen,
Sie zeigen manchen Schmuck, auch wann ſie ihn verhuͤllen.
Jn dieſem Spiel unſchuldger Lieblichkeit,
Womit ſich gleichſam noch des Jahres Kindheit ſchmuͤckte,
Wie in der guͤldnen Zeit,
War, was man nur erblickte,
Unſchaͤdlich, Anmuth-voll, Luſt- und Vergnuͤgen-reich.
Die
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Zitationshilfe: | Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/66>, abgerufen am 22.02.2025. |