Wenn ich der Menschen Thun betrachte, Auf ihren Zweck, den Trieb und ihre Wirckung achte; So kommt ihr gantzes Leben mir Nicht anders, als das Thun mondsüchtger Wandrer für.
Dieselben thun verschiedne Sachen, Der festen Meinung, daß sie wachen: Sie steigen, klettern, gehen, stehn, Sie glauben, daß sie hören, sehn; Da sie doch wircklich taub und blind Für alles, und nur blos für eins empfindlich sind.
So geht es leider auf der Welt: Der eine Theil von uns strebt nach der Ehre Wind; Der andre läufft und rennt: was sucht er? nichts als Geld; Der dritte, mit entflammter Brust, Sucht bloß bey Wein und Weibern Lust.
Ein ieder ist so sehr auf seinen Zweck erpicht, Daß er nichts anders sieht noch höret, Empfindet, achtet, noch begehret. Einfolglich ist, was ist, für ihn, als wär' es nicht.
Wir
Nacht-Wanderer.
Nacht-Wanderer.
Wenn ich der Menſchen Thun betrachte, Auf ihren Zweck, den Trieb und ihre Wirckung achte; So kommt ihr gantzes Leben mir Nicht anders, als das Thun mondſuͤchtger Wandrer fuͤr.
Dieſelben thun verſchiedne Sachen, Der feſten Meinung, daß ſie wachen: Sie ſteigen, klettern, gehen, ſtehn, Sie glauben, daß ſie hoͤren, ſehn; Da ſie doch wircklich taub und blind Fuͤr alles, und nur blos fuͤr eins empfindlich ſind.
So geht es leider auf der Welt: Der eine Theil von uns ſtrebt nach der Ehre Wind; Der andre laͤufft und rennt: was ſucht er? nichts als Geld; Der dritte, mit entflammter Bruſt, Sucht bloß bey Wein und Weibern Luſt.
Ein ieder iſt ſo ſehr auf ſeinen Zweck erpicht, Daß er nichts anders ſieht noch hoͤret, Empfindet, achtet, noch begehret. Einfolglich iſt, was iſt, fuͤr ihn, als waͤr’ es nicht.
Wir
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Nacht-Wanderer.
Nacht-Wanderer.
Wenn ich der Menſchen Thun betrachte,
Auf ihren Zweck, den Trieb und ihre Wirckung
achte;
So kommt ihr gantzes Leben mir
Nicht anders, als das Thun mondſuͤchtger Wandrer
fuͤr.
Dieſelben thun verſchiedne Sachen,
Der feſten Meinung, daß ſie wachen:
Sie ſteigen, klettern, gehen, ſtehn,
Sie glauben, daß ſie hoͤren, ſehn;
Da ſie doch wircklich taub und blind
Fuͤr alles, und nur blos fuͤr eins empfindlich ſind.
So geht es leider auf der Welt:
Der eine Theil von uns ſtrebt nach der Ehre Wind;
Der andre laͤufft und rennt: was ſucht er? nichts als
Geld;
Der dritte, mit entflammter Bruſt,
Sucht bloß bey Wein und Weibern Luſt.
Ein ieder iſt ſo ſehr auf ſeinen Zweck erpicht,
Daß er nichts anders ſieht noch hoͤret,
Empfindet, achtet, noch begehret.
Einfolglich iſt, was iſt, fuͤr ihn, als waͤr’ es nicht.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/175>, abgerufen am 23.07.2024.
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