Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

Bild:
<< vorherige Seite

Ja wozu jenes ausersehn,
Wovon nach so viel tausend Jahren
Der Endzweck erstlich zu erfahren,
Wo, sag' ich, wir an Wissenschaft so reich;
So wär die Menschheit fast der Gottheit gleich.

Drum hüte dich, sey nicht ein and'rer Lucifer,
Und wünsche nicht zu seyn wie GOtt der HErr!
Dieß find' ich, wenn ich es mit Andacht überlege:
Des Schöpfers Wege sind nicht uns're Wege.
Kein' Eul und Fledermaus, kein Maulwurf ist so blind,
Als wie wir, im Vergleich mit GOttes Weis heit, sind,
Die allenthalben ist; die das, was dein Verstand
Ergrübelt und erkennt, erkennt und längst erkannt,
Das ew'ge Weis heits-Meer, worin der klüg'ste Geist,
Ja aller Engel Witz, als wie ein Tröpfgen, treibet.
Da nun im weiten Meer' ein Tröpfgen sich nicht streubet,
Und anders fliessen will, als wie die Tiefe fleusst;
Mit welchem Rechte denn kann unser Witz verlangen,
Daß der gewalt'ge Lauf des Wirbels der Natur,
Den GOtt allein beweg't, sich ändr' in seiner Spur,
Daß alles anders geh', als es bisher gegangen?
Weil aus Beqvemlichkeit er etwa lieber wollte,
Daß es, wie GOtt will, nicht, nein anders, gehen sollte.
Ja denke ferner nach: was würd' aus dieser Erden,
Sollt' es nach jedes Wünschen gehn,
Für ein verwirrter Zustand werden!
Unmöglich könnte sie bestehn.
Ein jeder würde ja, wie du, geehret, reich,
Jhr würdet all' einander gleich

An

Ja wozu jenes auserſehn,
Wovon nach ſo viel tauſend Jahren
Der Endzweck erſtlich zu erfahren,
Wo, ſag’ ich, wir an Wiſſenſchaft ſo reich;
So waͤr die Menſchheit faſt der Gottheit gleich.

Drum huͤte dich, ſey nicht ein and’rer Lucifer,
Und wuͤnſche nicht zu ſeyn wie GOtt der HErr!
Dieß find’ ich, wenn ich es mit Andacht uͤberlege:
Des Schoͤpfers Wege ſind nicht unſ’re Wege.
Kein’ Eul und Fledermaus, kein Maulwurf iſt ſo blind,
Als wie wir, im Vergleich mit GOttes Weiſ heit, ſind,
Die allenthalben iſt; die das, was dein Verſtand
Ergruͤbelt und erkennt, erkennt und laͤngſt erkannt,
Das ew’ge Weiſ heits-Meer, worin der kluͤg’ſte Geiſt,
Ja aller Engel Witz, als wie ein Troͤpfgen, treibet.
Da nun im weiten Meer’ ein Troͤpfgen ſich nicht ſtreubet,
Und anders flieſſen will, als wie die Tiefe fleuſſt;
Mit welchem Rechte denn kann unſer Witz verlangen,
Daß der gewalt’ge Lauf des Wirbels der Natur,
Den GOtt allein beweg’t, ſich aͤndr’ in ſeiner Spur,
Daß alles anders geh’, als es bisher gegangen?
Weil aus Beqvemlichkeit er etwa lieber wollte,
Daß es, wie GOtt will, nicht, nein anders, gehen ſollte.
Ja denke ferner nach: was wuͤrd’ aus dieſer Erden,
Sollt’ es nach jedes Wuͤnſchen gehn,
Fuͤr ein verwirrter Zuſtand werden!
Unmoͤglich koͤnnte ſie beſtehn.
Ein jeder wuͤrde ja, wie du, geehret, reich,
Jhr wuͤrdet all’ einander gleich

An
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="44">
            <l><pb facs="#f0490" n="454"/>
Ja wozu jenes auser&#x017F;ehn,</l><lb/>
            <l>Wovon nach &#x017F;o viel tau&#x017F;end Jahren</l><lb/>
            <l>Der Endzweck er&#x017F;tlich zu erfahren,</l><lb/>
            <l>Wo, &#x017F;ag&#x2019; ich, wir an Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;o reich;</l><lb/>
            <l>So wa&#x0364;r die Men&#x017F;chheit fa&#x017F;t der Gottheit gleich.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="45">
            <l>Drum hu&#x0364;te dich, &#x017F;ey nicht ein and&#x2019;rer Lucifer,</l><lb/>
            <l>Und wu&#x0364;n&#x017F;che nicht zu &#x017F;eyn wie GOtt der HErr!</l><lb/>
            <l>Dieß find&#x2019; ich, wenn ich es mit Andacht u&#x0364;berlege:</l><lb/>
            <l>Des Scho&#x0364;pfers Wege &#x017F;ind nicht un&#x017F;&#x2019;re Wege.</l><lb/>
            <l>Kein&#x2019; Eul und Fledermaus, kein Maulwurf i&#x017F;t &#x017F;o blind,</l><lb/>
            <l>Als wie wir, im Vergleich mit GOttes Wei&#x017F; heit, &#x017F;ind,</l><lb/>
            <l>Die allenthalben i&#x017F;t; die das, was dein Ver&#x017F;tand</l><lb/>
            <l>Ergru&#x0364;belt und erkennt, erkennt und la&#x0364;ng&#x017F;t erkannt,</l><lb/>
            <l>Das ew&#x2019;ge Wei&#x017F; heits-Meer, worin der klu&#x0364;g&#x2019;&#x017F;te Gei&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Ja aller Engel Witz, als wie ein Tro&#x0364;pfgen, treibet.</l><lb/>
            <l>Da nun im weiten Meer&#x2019; ein Tro&#x0364;pfgen &#x017F;ich nicht &#x017F;treubet,</l><lb/>
            <l>Und anders flie&#x017F;&#x017F;en will, als wie die Tiefe fleu&#x017F;&#x017F;t;</l><lb/>
            <l>Mit welchem Rechte denn kann un&#x017F;er Witz verlangen,</l><lb/>
            <l>Daß der gewalt&#x2019;ge Lauf des Wirbels der Natur,</l><lb/>
            <l>Den GOtt allein beweg&#x2019;t, &#x017F;ich a&#x0364;ndr&#x2019; in &#x017F;einer Spur,</l><lb/>
            <l>Daß alles anders geh&#x2019;, als es bisher gegangen?</l><lb/>
            <l>Weil aus Beqvemlichkeit er etwa lieber wollte,</l><lb/>
            <l>Daß es, wie GOtt will, nicht, nein anders, gehen &#x017F;ollte.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="46">
            <l>Ja denke ferner nach: was wu&#x0364;rd&#x2019; aus die&#x017F;er Erden,</l><lb/>
            <l>Sollt&#x2019; es nach jedes Wu&#x0364;n&#x017F;chen gehn,</l><lb/>
            <l>Fu&#x0364;r ein verwirrter Zu&#x017F;tand werden!</l><lb/>
            <l>Unmo&#x0364;glich ko&#x0364;nnte &#x017F;ie be&#x017F;tehn.</l><lb/>
            <l>Ein jeder wu&#x0364;rde ja, wie du, geehret, reich,</l><lb/>
            <l>Jhr wu&#x0364;rdet all&#x2019; einander gleich</l><lb/>
            <l>
              <fw place="bottom" type="catch">An</fw><lb/>
            </l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[454/0490] Ja wozu jenes auserſehn, Wovon nach ſo viel tauſend Jahren Der Endzweck erſtlich zu erfahren, Wo, ſag’ ich, wir an Wiſſenſchaft ſo reich; So waͤr die Menſchheit faſt der Gottheit gleich. Drum huͤte dich, ſey nicht ein and’rer Lucifer, Und wuͤnſche nicht zu ſeyn wie GOtt der HErr! Dieß find’ ich, wenn ich es mit Andacht uͤberlege: Des Schoͤpfers Wege ſind nicht unſ’re Wege. Kein’ Eul und Fledermaus, kein Maulwurf iſt ſo blind, Als wie wir, im Vergleich mit GOttes Weiſ heit, ſind, Die allenthalben iſt; die das, was dein Verſtand Ergruͤbelt und erkennt, erkennt und laͤngſt erkannt, Das ew’ge Weiſ heits-Meer, worin der kluͤg’ſte Geiſt, Ja aller Engel Witz, als wie ein Troͤpfgen, treibet. Da nun im weiten Meer’ ein Troͤpfgen ſich nicht ſtreubet, Und anders flieſſen will, als wie die Tiefe fleuſſt; Mit welchem Rechte denn kann unſer Witz verlangen, Daß der gewalt’ge Lauf des Wirbels der Natur, Den GOtt allein beweg’t, ſich aͤndr’ in ſeiner Spur, Daß alles anders geh’, als es bisher gegangen? Weil aus Beqvemlichkeit er etwa lieber wollte, Daß es, wie GOtt will, nicht, nein anders, gehen ſollte. Ja denke ferner nach: was wuͤrd’ aus dieſer Erden, Sollt’ es nach jedes Wuͤnſchen gehn, Fuͤr ein verwirrter Zuſtand werden! Unmoͤglich koͤnnte ſie beſtehn. Ein jeder wuͤrde ja, wie du, geehret, reich, Jhr wuͤrdet all’ einander gleich An

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/490
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/490>, abgerufen am 26.04.2024.