Nachdem ich öfters überdacht, Woher es komme, daß die Pracht Der Wunder-schön geschmückten Welt So wenig Eindruck bey uns macht; Daß sie so wenigen gefällt; Daß sie fast niemand recht vergnüget; So deucht mich, daß es hieran lieget:
Es scheint, wir sehen alles an, Als einer, der nicht lesen kann, Ein Buch, das schön gedruckt, beschauet. Denn laß die Züge noch so rein, Die Lettern noch so zierlich seyn; Er wird daraus doch nicht erbauet. Er siehts, und, wann er es gesehn, Spricht er, wenn's hoch kommt: es ist schön, Und leg't es sanfte bey sich nieder. So leider! ist der Menschen Brauch Mit dem so schönen Welt-Buch' auch. Kaum öffnet man die Augen-Lieder; So gehet, wie der Blick, der Sinn Schnell über jeden Vorwurf hin. Man eilt. Wenn jemand etwa fraget, Jst dieß nicht schön? so glaubet man, Man habe schon genug gethan, Wenn man ein: das ist wahr, gesaget.
Verwund're dich denn ferner nicht,
Daß
Das Welt-Buch.
Nachdem ich oͤfters uͤberdacht, Woher es komme, daß die Pracht Der Wunder-ſchoͤn geſchmuͤckten Welt So wenig Eindruck bey uns macht; Daß ſie ſo wenigen gefaͤllt; Daß ſie faſt niemand recht vergnuͤget; So deucht mich, daß es hieran lieget:
Es ſcheint, wir ſehen alles an, Als einer, der nicht leſen kann, Ein Buch, das ſchoͤn gedruckt, beſchauet. Denn laß die Zuͤge noch ſo rein, Die Lettern noch ſo zierlich ſeyn; Er wird daraus doch nicht erbauet. Er ſiehts, und, wann er es geſehn, Spricht er, wenn’s hoch kommt: es iſt ſchoͤn, Und leg’t es ſanfte bey ſich nieder. So leider! iſt der Menſchen Brauch Mit dem ſo ſchoͤnen Welt-Buch’ auch. Kaum oͤffnet man die Augen-Lieder; So gehet, wie der Blick, der Sinn Schnell uͤber jeden Vorwurf hin. Man eilt. Wenn jemand etwa fraget, Jſt dieß nicht ſchoͤn? ſo glaubet man, Man habe ſchon genug gethan, Wenn man ein: das iſt wahr, geſaget.
Verwund’re dich denn ferner nicht,
Daß
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Das Welt-Buch.
Nachdem ich oͤfters uͤberdacht,
Woher es komme, daß die Pracht
Der Wunder-ſchoͤn geſchmuͤckten Welt
So wenig Eindruck bey uns macht;
Daß ſie ſo wenigen gefaͤllt;
Daß ſie faſt niemand recht vergnuͤget;
So deucht mich, daß es hieran lieget:
Es ſcheint, wir ſehen alles an,
Als einer, der nicht leſen kann,
Ein Buch, das ſchoͤn gedruckt, beſchauet.
Denn laß die Zuͤge noch ſo rein,
Die Lettern noch ſo zierlich ſeyn;
Er wird daraus doch nicht erbauet.
Er ſiehts, und, wann er es geſehn,
Spricht er, wenn’s hoch kommt: es iſt ſchoͤn,
Und leg’t es ſanfte bey ſich nieder.
So leider! iſt der Menſchen Brauch
Mit dem ſo ſchoͤnen Welt-Buch’ auch.
Kaum oͤffnet man die Augen-Lieder;
So gehet, wie der Blick, der Sinn
Schnell uͤber jeden Vorwurf hin.
Man eilt. Wenn jemand etwa fraget,
Jſt dieß nicht ſchoͤn? ſo glaubet man,
Man habe ſchon genug gethan,
Wenn man ein: das iſt wahr, geſaget.
Verwund’re dich denn ferner nicht,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/160>, abgerufen am 22.02.2025.
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