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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schildkröten. Sumpfschildkröten.
Dritttheil der ganzen Ernte betragen mag. Wir fanden Quarzsand und zerbrochene Eierschalen durch
das ausgeflossene Dotter der Eier zu großen Klumpen zusammengekittet. Es sind der Thiere, welche
in der Nacht am Ufer graben, so unermeßlich viele, daß manche der Tag überrascht, ehe sie mit dem
Legen fertig werden konnten. Da beeilen sie sich mehr als je, ihre Eier los zu werden und die
gegrabenen Löcher zuzudecken, damit der Tiger sie nicht sehen möge. Sie, die Verspäteten, achten
dabei auf keine Gefahr, welche ihnen selbst droht, sondern arbeiten unter den Augen der Jndianer,
welche frühmorgens auf das Ufer kommen und sie "närrische Schildkröten" nennen. Trotz ihrer
ungestümen Bewegungen fängt man sie leicht mit den Händen.

"Die drei Jndianerlager an den oben genannten Orten werden in den letzten Tagen des März
oder ersten Tagen des Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das eine Mal vor sich wie das andere,
mit der Regelmäßigkeit, die bei Allem herrscht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Missionäre an
den Fluß kamen, erbenteten die Eingebornen ein Erzeugniß, welches die Natur hier in so reicher Fülle
bietet, in geringerem Maße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach seiner eigenen Weise,
und es wurden unendlich viele Eier muthwillig zerbrochen, weil man nicht vorsichtig grub und mehr
Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeschickten Händen
ausgebeutet. Den Jesuiten gebührt das Verdienst, die Ausbeutung geregelt zu haben. Sie gaben
nicht zu, daß das ganze Ufer aufgegraben wurde, ließen vielmehr ein Stück unberührt liegen, weil sie
besorgten, die Schildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, sodoch bedeutend abnehmen.
Jetzt wühlt man das ganze Ufer rücksichtslos um; man meint aber auch zu bemerken, daß die Ernten
von Jahr zu Jahr geringer werden.

"Jst das Lager aufgeschlagen, so ernennt der Missionär seinen Stellvertreter, welcher den Land-
strich, wo die Eier liegen, nach der Anzahl der Jndianerstämme, welche sich in die Ernte theilen, in
Loose zerlegt. Er beginnt das Geschäft damit, daß er mit seiner Stange untersucht, wie weit die
Eierschicht im Boden reicht. Nach unseren Messungen erstreckt sie sich bis zu hundertundzwanzig Fuß
vom Ufer und ist im Durchschnitt drei Fuß tief. Der Beaustragte steckt ab, wie weit jeder Stamm
arbeiten darf. Nicht ohne Verwunderung hört man den Ertrag der Eierernte wie den Ertrag eines
Getreideackers abschätzen. Es kommt vor, daß ein Flächenraum von hundertundzwanzig Fuß Länge
und dreißig Fuß Breite hundert Krüge oder für tausend Franken Oel liefert. Die Jndianer graben
den Boden mit den Händen auf, legen die gesammelten Eier in kleine, Mappiri genannte, Körbe,
tragen sie ins Lager und werfen sie in große, mit Wasser gefüllte, hölzerne Tröge. Jn diesen werden
die Eier mit Schaufeln zerdrückt, umgerührt und der Sonne ausgesetzt, bis der ölige Theil, das
Eigelb, welches obenauf schwimmt, dick geworden ist. Das Oel wird abgeschöpft und bei einem
starken Feuer gekocht, soll sich auch um so besser halten, je stärker man es kocht. Gut zubereitet, ist
es hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Missionäre schätzen es dem besten Baumöle gleich.
Man braucht es nicht allein zum Brennen, sondern auch und zwar vorzugsweise zum Kochen,
da es den Speisen keinerlei unangenehmen Geschmack gibt. Doch hält es schwer, ganz reines Schild-
krötenöl zu bekommen; das meiste hat einen fauligen Geruch, welcher davon herrührt, daß Eier
darunter gerathen sind, in denen die jungen Schildkröten sich bereits ausgebildet hatten.

"Das Ufer von Urnana gibt jährlich tausend Krüge Oel. Der Krug gilt in Angostura, der
Hauptstadt von Guyana, zwei bis zweiundeinenhalben Piaster. Der ganze Ertrag der Uferstrecken,
auf denen jährlich Ernte gehalten wird, läßt sich auf fünftausend Krüge anschlagen. Da nun zwei-
hundert Eier eine Weinflasche voll Oel geben, so kommen fünftausend Eier auf einen Krug. Nimmt
man an, jede Schildkröte gebe hundert bis hundertundsechzehn Eier, und ein Dritttheil werde während
des Legens, namentlich von den "närrischen" Schildkröten zerbrochen, so ergibt sich, daß, um diese
fünftausend Krüge Oel zu füllen, dreihundertunddreißigtausend Arrauschildkröten, welche zusammen
hundertundfünfundsechzigtausend Centner wiegen, auf den drei Ernteplätzen dreiunddreißig Millionen
Eier legen müssen. Und mit dieser Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele
Schildkröten legen nur sechzig bis siebzig Eier; viele werden im Augenblicke, wo sie aus dem Wasser

Die Schildkröten. Sumpfſchildkröten.
Dritttheil der ganzen Ernte betragen mag. Wir fanden Quarzſand und zerbrochene Eierſchalen durch
das ausgefloſſene Dotter der Eier zu großen Klumpen zuſammengekittet. Es ſind der Thiere, welche
in der Nacht am Ufer graben, ſo unermeßlich viele, daß manche der Tag überraſcht, ehe ſie mit dem
Legen fertig werden konnten. Da beeilen ſie ſich mehr als je, ihre Eier los zu werden und die
gegrabenen Löcher zuzudecken, damit der Tiger ſie nicht ſehen möge. Sie, die Verſpäteten, achten
dabei auf keine Gefahr, welche ihnen ſelbſt droht, ſondern arbeiten unter den Augen der Jndianer,
welche frühmorgens auf das Ufer kommen und ſie „närriſche Schildkröten“ nennen. Trotz ihrer
ungeſtümen Bewegungen fängt man ſie leicht mit den Händen.

„Die drei Jndianerlager an den oben genannten Orten werden in den letzten Tagen des März
oder erſten Tagen des Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das eine Mal vor ſich wie das andere,
mit der Regelmäßigkeit, die bei Allem herrſcht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Miſſionäre an
den Fluß kamen, erbenteten die Eingebornen ein Erzeugniß, welches die Natur hier in ſo reicher Fülle
bietet, in geringerem Maße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach ſeiner eigenen Weiſe,
und es wurden unendlich viele Eier muthwillig zerbrochen, weil man nicht vorſichtig grub und mehr
Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeſchickten Händen
ausgebeutet. Den Jeſuiten gebührt das Verdienſt, die Ausbeutung geregelt zu haben. Sie gaben
nicht zu, daß das ganze Ufer aufgegraben wurde, ließen vielmehr ein Stück unberührt liegen, weil ſie
beſorgten, die Schildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, ſodoch bedeutend abnehmen.
Jetzt wühlt man das ganze Ufer rückſichtslos um; man meint aber auch zu bemerken, daß die Ernten
von Jahr zu Jahr geringer werden.

„Jſt das Lager aufgeſchlagen, ſo ernennt der Miſſionär ſeinen Stellvertreter, welcher den Land-
ſtrich, wo die Eier liegen, nach der Anzahl der Jndianerſtämme, welche ſich in die Ernte theilen, in
Looſe zerlegt. Er beginnt das Geſchäft damit, daß er mit ſeiner Stange unterſucht, wie weit die
Eierſchicht im Boden reicht. Nach unſeren Meſſungen erſtreckt ſie ſich bis zu hundertundzwanzig Fuß
vom Ufer und iſt im Durchſchnitt drei Fuß tief. Der Beauſtragte ſteckt ab, wie weit jeder Stamm
arbeiten darf. Nicht ohne Verwunderung hört man den Ertrag der Eierernte wie den Ertrag eines
Getreideackers abſchätzen. Es kommt vor, daß ein Flächenraum von hundertundzwanzig Fuß Länge
und dreißig Fuß Breite hundert Krüge oder für tauſend Franken Oel liefert. Die Jndianer graben
den Boden mit den Händen auf, legen die geſammelten Eier in kleine, Mappiri genannte, Körbe,
tragen ſie ins Lager und werfen ſie in große, mit Waſſer gefüllte, hölzerne Tröge. Jn dieſen werden
die Eier mit Schaufeln zerdrückt, umgerührt und der Sonne ausgeſetzt, bis der ölige Theil, das
Eigelb, welches obenauf ſchwimmt, dick geworden iſt. Das Oel wird abgeſchöpft und bei einem
ſtarken Feuer gekocht, ſoll ſich auch um ſo beſſer halten, je ſtärker man es kocht. Gut zubereitet, iſt
es hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Miſſionäre ſchätzen es dem beſten Baumöle gleich.
Man braucht es nicht allein zum Brennen, ſondern auch und zwar vorzugsweiſe zum Kochen,
da es den Speiſen keinerlei unangenehmen Geſchmack gibt. Doch hält es ſchwer, ganz reines Schild-
krötenöl zu bekommen; das meiſte hat einen fauligen Geruch, welcher davon herrührt, daß Eier
darunter gerathen ſind, in denen die jungen Schildkröten ſich bereits ausgebildet hatten.

„Das Ufer von Urnana gibt jährlich tauſend Krüge Oel. Der Krug gilt in Angoſtura, der
Hauptſtadt von Guyana, zwei bis zweiundeinenhalben Piaſter. Der ganze Ertrag der Uferſtrecken,
auf denen jährlich Ernte gehalten wird, läßt ſich auf fünftauſend Krüge anſchlagen. Da nun zwei-
hundert Eier eine Weinflaſche voll Oel geben, ſo kommen fünftauſend Eier auf einen Krug. Nimmt
man an, jede Schildkröte gebe hundert bis hundertundſechzehn Eier, und ein Dritttheil werde während
des Legens, namentlich von den „närriſchen“ Schildkröten zerbrochen, ſo ergibt ſich, daß, um dieſe
fünftauſend Krüge Oel zu füllen, dreihundertunddreißigtauſend Arráuſchildkröten, welche zuſammen
hundertundfünfundſechzigtauſend Centner wiegen, auf den drei Ernteplätzen dreiunddreißig Millionen
Eier legen müſſen. Und mit dieſer Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele
Schildkröten legen nur ſechzig bis ſiebzig Eier; viele werden im Augenblicke, wo ſie aus dem Waſſer

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[34/0046] Die Schildkröten. Sumpfſchildkröten. Dritttheil der ganzen Ernte betragen mag. Wir fanden Quarzſand und zerbrochene Eierſchalen durch das ausgefloſſene Dotter der Eier zu großen Klumpen zuſammengekittet. Es ſind der Thiere, welche in der Nacht am Ufer graben, ſo unermeßlich viele, daß manche der Tag überraſcht, ehe ſie mit dem Legen fertig werden konnten. Da beeilen ſie ſich mehr als je, ihre Eier los zu werden und die gegrabenen Löcher zuzudecken, damit der Tiger ſie nicht ſehen möge. Sie, die Verſpäteten, achten dabei auf keine Gefahr, welche ihnen ſelbſt droht, ſondern arbeiten unter den Augen der Jndianer, welche frühmorgens auf das Ufer kommen und ſie „närriſche Schildkröten“ nennen. Trotz ihrer ungeſtümen Bewegungen fängt man ſie leicht mit den Händen. „Die drei Jndianerlager an den oben genannten Orten werden in den letzten Tagen des März oder erſten Tagen des Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das eine Mal vor ſich wie das andere, mit der Regelmäßigkeit, die bei Allem herrſcht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Miſſionäre an den Fluß kamen, erbenteten die Eingebornen ein Erzeugniß, welches die Natur hier in ſo reicher Fülle bietet, in geringerem Maße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach ſeiner eigenen Weiſe, und es wurden unendlich viele Eier muthwillig zerbrochen, weil man nicht vorſichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeſchickten Händen ausgebeutet. Den Jeſuiten gebührt das Verdienſt, die Ausbeutung geregelt zu haben. Sie gaben nicht zu, daß das ganze Ufer aufgegraben wurde, ließen vielmehr ein Stück unberührt liegen, weil ſie beſorgten, die Schildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, ſodoch bedeutend abnehmen. Jetzt wühlt man das ganze Ufer rückſichtslos um; man meint aber auch zu bemerken, daß die Ernten von Jahr zu Jahr geringer werden. „Jſt das Lager aufgeſchlagen, ſo ernennt der Miſſionär ſeinen Stellvertreter, welcher den Land- ſtrich, wo die Eier liegen, nach der Anzahl der Jndianerſtämme, welche ſich in die Ernte theilen, in Looſe zerlegt. Er beginnt das Geſchäft damit, daß er mit ſeiner Stange unterſucht, wie weit die Eierſchicht im Boden reicht. Nach unſeren Meſſungen erſtreckt ſie ſich bis zu hundertundzwanzig Fuß vom Ufer und iſt im Durchſchnitt drei Fuß tief. Der Beauſtragte ſteckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Nicht ohne Verwunderung hört man den Ertrag der Eierernte wie den Ertrag eines Getreideackers abſchätzen. Es kommt vor, daß ein Flächenraum von hundertundzwanzig Fuß Länge und dreißig Fuß Breite hundert Krüge oder für tauſend Franken Oel liefert. Die Jndianer graben den Boden mit den Händen auf, legen die geſammelten Eier in kleine, Mappiri genannte, Körbe, tragen ſie ins Lager und werfen ſie in große, mit Waſſer gefüllte, hölzerne Tröge. Jn dieſen werden die Eier mit Schaufeln zerdrückt, umgerührt und der Sonne ausgeſetzt, bis der ölige Theil, das Eigelb, welches obenauf ſchwimmt, dick geworden iſt. Das Oel wird abgeſchöpft und bei einem ſtarken Feuer gekocht, ſoll ſich auch um ſo beſſer halten, je ſtärker man es kocht. Gut zubereitet, iſt es hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Miſſionäre ſchätzen es dem beſten Baumöle gleich. Man braucht es nicht allein zum Brennen, ſondern auch und zwar vorzugsweiſe zum Kochen, da es den Speiſen keinerlei unangenehmen Geſchmack gibt. Doch hält es ſchwer, ganz reines Schild- krötenöl zu bekommen; das meiſte hat einen fauligen Geruch, welcher davon herrührt, daß Eier darunter gerathen ſind, in denen die jungen Schildkröten ſich bereits ausgebildet hatten. „Das Ufer von Urnana gibt jährlich tauſend Krüge Oel. Der Krug gilt in Angoſtura, der Hauptſtadt von Guyana, zwei bis zweiundeinenhalben Piaſter. Der ganze Ertrag der Uferſtrecken, auf denen jährlich Ernte gehalten wird, läßt ſich auf fünftauſend Krüge anſchlagen. Da nun zwei- hundert Eier eine Weinflaſche voll Oel geben, ſo kommen fünftauſend Eier auf einen Krug. Nimmt man an, jede Schildkröte gebe hundert bis hundertundſechzehn Eier, und ein Dritttheil werde während des Legens, namentlich von den „närriſchen“ Schildkröten zerbrochen, ſo ergibt ſich, daß, um dieſe fünftauſend Krüge Oel zu füllen, dreihundertunddreißigtauſend Arráuſchildkröten, welche zuſammen hundertundfünfundſechzigtauſend Centner wiegen, auf den drei Ernteplätzen dreiunddreißig Millionen Eier legen müſſen. Und mit dieſer Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele Schildkröten legen nur ſechzig bis ſiebzig Eier; viele werden im Augenblicke, wo ſie aus dem Waſſer

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/46>, abgerufen am 26.04.2024.