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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schildkröten. Landschildkröten.
nun aber die Brust vollständig unbeweglich ist und auch das Zwerchfell fehlt, müssen die sehr großen
und ausgedehnten, mit den übrigen Eingeweiden in einer und derselben Höhle eingeschlossenen Lungen
durch ein absonderliches Spielen des Mundes gefüllt werden. Die Schildkröten verschlucken, wenn
man so sagen darf, die Luft, indem sie den Mund fest schließen und wechselsweise das Zungenbein
heben und senken: beim Senken strömt die Luft durch die Nase ein, beim Erheben werden die Nasen-
löcher geschlossen und die Lungen vollgepumpt. Luströhre und Kehlkopf scheiden sich deutlich; trotzdem
hat man nur von wenigen Arten eine Stimme vernommen. -- Die männliche Schildkröte hat eine
einfache, große, durch eine Furche getheilte Ruthe, welche in der Kloake verborgen liegt, das Weibchen
doppelt traubenförmige Eierstöcke, in denen man schon zehn Monate vor dem Legen die sehr kleinen
Eier deutlich bemerkt.

Die äußeren Bedeckungen verdienen besondere Beachtung. Die dicke Haut, welche sich an den
nicht umpanzerten Theilen des Leibes wahrnehmen läßt, bildet auf dem Kopfe, den Füßen und dem
Schwanze größere oder kleinere Schuppen, auf dem Panzer aber hornige Schilder, welche man als
Wirbel-, Seiten- oder Rippen-, Rand- und Brustschilder unterscheidet. Diese Schilder stoßen in
der Regel an einander und sind dann durch Nähte vereinigt, liegen zuweilen aber auch dachziegelartig
über einander. Jhre Lagerung und ihr Verhältniß scheint wichtig für Bestimmung und Abgrenzung
der einzelnen Gruppen.

Alle Lebensäußerungen der Schildkröten sind träge, langsam, unregelmäßig. Die unwillkür-
lichen Bewegungen, das Athmen und der Kreislauf des Blutes unterscheiden sich hierin nicht von
den willkürlichen. Schildkröten können unglaublich lange Zeit leben, ohne zu athmen, ohne ihr Blut
zu reinigen, sich nach den fürchterlichsten Verstümmelungen noch Monate lang bewegen, im gewissen
Sinne also Handlungen verrichten, welche denen unverwundeter Thiere ähnlich sind. Enthauptete
Schildkröten bewegen sich noch mehrere Wochen nach der Hinrichtung, ziehen z. B. bei Berührung die
Füße unter die Schale zurück: eine, welcher Redi das Hirn weggenommen hatte, kroch noch sechs
Monate umher; im Pflanzengarten zu Paris lebte eine Sumpfschildkröte sechs Jahre ohne Nahrung
zu sich zu nehmen. Von geistigen Fähigkeiten und Eigenschaften bemerkt man nur Spuren, obgleich
einzelne Arten beweisen, daß ihr Hirn auch in gewöhnlicher Weise thätig ist. Die äußerlichen und
willkürlichen Bewegungen geschehen ebenfalls langsam, träge und täppisch; doch gibt es einzelne,
welche in ihrer Behendigkeit an andere Kriechthiere erinnern. Jm Gehen zeigen sich alle tölpelhaft
und ungeschickt, die Land- und die Seeschildkröten am ungeschicktesten, die Sumpfschildkröten noch am
gewandtesten. Jm Schwimmen und Tauchen bekunden Sumpf- und Seeschildkröten die größte
Beweglichkeit, deren sie überhaupt fähig sind; aber sie übertreffen in dieser Fertigkeit schwerlich ein
anderes im Wasser lebendes Kriechthier. Jhr ganzes Leben ist gleichsam nur eine einzige Kette von
Trägheit und Langweiligkeit.

Die Landschildkröten nähren sich hauptsächlich von Pflanzenstoffen und zwar von Gräsern,
Kräutern, Blättern und Früchten, genießen jedoch nebenbei auch Kerbthiere, Schnecken, Würmer und
dergleichen; einzelne Seeschildkröten fressen hauptsächlich Pflanzen, insbesondere Tange; alle übrigen
sind Räuber, welche auf Wirbel-, Weich-, Gliederthiere, Würmer und vielleicht auch Strahlthiere
Jagd machen; einzelne Arten werden als sehr tüchtige Raubthiere geschildert. Sie fressen eigentlich
nur während der warmen Sommertage oder bezüglich in den Gleicherländern während der Regenzeit,
dem dortigen Frühlinge, feisten sich innerhalb weniger Wochen, hören dann allmählich auf, Nahrung
zu sich zu nehmen und fallen, wenn hier der Winter, dort die Dürre eintritt, in Erstarrung und
Winterschlaf. Ob es sich bei denen, welche jahraus, jahrein in feuchten Wäldern leben, anders ver-
hält, ist zur Zeit noch fraglich.

Bald nach dem Erwachen im Frühjahre beginnt die Fortpflanzung, welche auch diese stumpf-
sinnigen Thiere einigermaßen erregt oder lebhaft beschäftigt. Jhre Begattung währt oft Tage lang.
Bei einzelnen sitzt dabei das Männchen auf dem Weibchen, bei anderen klammern sich beide Geschlechter
mit den Bauchschildern gegen einander. Geraume Zeit später gräbt das befruchtete Weibchen, nicht

Die Schildkröten. Landſchildkröten.
nun aber die Bruſt vollſtändig unbeweglich iſt und auch das Zwerchfell fehlt, müſſen die ſehr großen
und ausgedehnten, mit den übrigen Eingeweiden in einer und derſelben Höhle eingeſchloſſenen Lungen
durch ein abſonderliches Spielen des Mundes gefüllt werden. Die Schildkröten verſchlucken, wenn
man ſo ſagen darf, die Luft, indem ſie den Mund feſt ſchließen und wechſelsweiſe das Zungenbein
heben und ſenken: beim Senken ſtrömt die Luft durch die Naſe ein, beim Erheben werden die Naſen-
löcher geſchloſſen und die Lungen vollgepumpt. Luſtröhre und Kehlkopf ſcheiden ſich deutlich; trotzdem
hat man nur von wenigen Arten eine Stimme vernommen. — Die männliche Schildkröte hat eine
einfache, große, durch eine Furche getheilte Ruthe, welche in der Kloake verborgen liegt, das Weibchen
doppelt traubenförmige Eierſtöcke, in denen man ſchon zehn Monate vor dem Legen die ſehr kleinen
Eier deutlich bemerkt.

Die äußeren Bedeckungen verdienen beſondere Beachtung. Die dicke Haut, welche ſich an den
nicht umpanzerten Theilen des Leibes wahrnehmen läßt, bildet auf dem Kopfe, den Füßen und dem
Schwanze größere oder kleinere Schuppen, auf dem Panzer aber hornige Schilder, welche man als
Wirbel-, Seiten- oder Rippen-, Rand- und Bruſtſchilder unterſcheidet. Dieſe Schilder ſtoßen in
der Regel an einander und ſind dann durch Nähte vereinigt, liegen zuweilen aber auch dachziegelartig
über einander. Jhre Lagerung und ihr Verhältniß ſcheint wichtig für Beſtimmung und Abgrenzung
der einzelnen Gruppen.

Alle Lebensäußerungen der Schildkröten ſind träge, langſam, unregelmäßig. Die unwillkür-
lichen Bewegungen, das Athmen und der Kreislauf des Blutes unterſcheiden ſich hierin nicht von
den willkürlichen. Schildkröten können unglaublich lange Zeit leben, ohne zu athmen, ohne ihr Blut
zu reinigen, ſich nach den fürchterlichſten Verſtümmelungen noch Monate lang bewegen, im gewiſſen
Sinne alſo Handlungen verrichten, welche denen unverwundeter Thiere ähnlich ſind. Enthauptete
Schildkröten bewegen ſich noch mehrere Wochen nach der Hinrichtung, ziehen z. B. bei Berührung die
Füße unter die Schale zurück: eine, welcher Redi das Hirn weggenommen hatte, kroch noch ſechs
Monate umher; im Pflanzengarten zu Paris lebte eine Sumpfſchildkröte ſechs Jahre ohne Nahrung
zu ſich zu nehmen. Von geiſtigen Fähigkeiten und Eigenſchaften bemerkt man nur Spuren, obgleich
einzelne Arten beweiſen, daß ihr Hirn auch in gewöhnlicher Weiſe thätig iſt. Die äußerlichen und
willkürlichen Bewegungen geſchehen ebenfalls langſam, träge und täppiſch; doch gibt es einzelne,
welche in ihrer Behendigkeit an andere Kriechthiere erinnern. Jm Gehen zeigen ſich alle tölpelhaft
und ungeſchickt, die Land- und die Seeſchildkröten am ungeſchickteſten, die Sumpfſchildkröten noch am
gewandteſten. Jm Schwimmen und Tauchen bekunden Sumpf- und Seeſchildkröten die größte
Beweglichkeit, deren ſie überhaupt fähig ſind; aber ſie übertreffen in dieſer Fertigkeit ſchwerlich ein
anderes im Waſſer lebendes Kriechthier. Jhr ganzes Leben iſt gleichſam nur eine einzige Kette von
Trägheit und Langweiligkeit.

Die Landſchildkröten nähren ſich hauptſächlich von Pflanzenſtoffen und zwar von Gräſern,
Kräutern, Blättern und Früchten, genießen jedoch nebenbei auch Kerbthiere, Schnecken, Würmer und
dergleichen; einzelne Seeſchildkröten freſſen hauptſächlich Pflanzen, insbeſondere Tange; alle übrigen
ſind Räuber, welche auf Wirbel-, Weich-, Gliederthiere, Würmer und vielleicht auch Strahlthiere
Jagd machen; einzelne Arten werden als ſehr tüchtige Raubthiere geſchildert. Sie freſſen eigentlich
nur während der warmen Sommertage oder bezüglich in den Gleicherländern während der Regenzeit,
dem dortigen Frühlinge, feiſten ſich innerhalb weniger Wochen, hören dann allmählich auf, Nahrung
zu ſich zu nehmen und fallen, wenn hier der Winter, dort die Dürre eintritt, in Erſtarrung und
Winterſchlaf. Ob es ſich bei denen, welche jahraus, jahrein in feuchten Wäldern leben, anders ver-
hält, iſt zur Zeit noch fraglich.

Bald nach dem Erwachen im Frühjahre beginnt die Fortpflanzung, welche auch dieſe ſtumpf-
ſinnigen Thiere einigermaßen erregt oder lebhaft beſchäftigt. Jhre Begattung währt oft Tage lang.
Bei einzelnen ſitzt dabei das Männchen auf dem Weibchen, bei anderen klammern ſich beide Geſchlechter
mit den Bauchſchildern gegen einander. Geraume Zeit ſpäter gräbt das befruchtete Weibchen, nicht

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[20/0032] Die Schildkröten. Landſchildkröten. nun aber die Bruſt vollſtändig unbeweglich iſt und auch das Zwerchfell fehlt, müſſen die ſehr großen und ausgedehnten, mit den übrigen Eingeweiden in einer und derſelben Höhle eingeſchloſſenen Lungen durch ein abſonderliches Spielen des Mundes gefüllt werden. Die Schildkröten verſchlucken, wenn man ſo ſagen darf, die Luft, indem ſie den Mund feſt ſchließen und wechſelsweiſe das Zungenbein heben und ſenken: beim Senken ſtrömt die Luft durch die Naſe ein, beim Erheben werden die Naſen- löcher geſchloſſen und die Lungen vollgepumpt. Luſtröhre und Kehlkopf ſcheiden ſich deutlich; trotzdem hat man nur von wenigen Arten eine Stimme vernommen. — Die männliche Schildkröte hat eine einfache, große, durch eine Furche getheilte Ruthe, welche in der Kloake verborgen liegt, das Weibchen doppelt traubenförmige Eierſtöcke, in denen man ſchon zehn Monate vor dem Legen die ſehr kleinen Eier deutlich bemerkt. Die äußeren Bedeckungen verdienen beſondere Beachtung. Die dicke Haut, welche ſich an den nicht umpanzerten Theilen des Leibes wahrnehmen läßt, bildet auf dem Kopfe, den Füßen und dem Schwanze größere oder kleinere Schuppen, auf dem Panzer aber hornige Schilder, welche man als Wirbel-, Seiten- oder Rippen-, Rand- und Bruſtſchilder unterſcheidet. Dieſe Schilder ſtoßen in der Regel an einander und ſind dann durch Nähte vereinigt, liegen zuweilen aber auch dachziegelartig über einander. Jhre Lagerung und ihr Verhältniß ſcheint wichtig für Beſtimmung und Abgrenzung der einzelnen Gruppen. Alle Lebensäußerungen der Schildkröten ſind träge, langſam, unregelmäßig. Die unwillkür- lichen Bewegungen, das Athmen und der Kreislauf des Blutes unterſcheiden ſich hierin nicht von den willkürlichen. Schildkröten können unglaublich lange Zeit leben, ohne zu athmen, ohne ihr Blut zu reinigen, ſich nach den fürchterlichſten Verſtümmelungen noch Monate lang bewegen, im gewiſſen Sinne alſo Handlungen verrichten, welche denen unverwundeter Thiere ähnlich ſind. Enthauptete Schildkröten bewegen ſich noch mehrere Wochen nach der Hinrichtung, ziehen z. B. bei Berührung die Füße unter die Schale zurück: eine, welcher Redi das Hirn weggenommen hatte, kroch noch ſechs Monate umher; im Pflanzengarten zu Paris lebte eine Sumpfſchildkröte ſechs Jahre ohne Nahrung zu ſich zu nehmen. Von geiſtigen Fähigkeiten und Eigenſchaften bemerkt man nur Spuren, obgleich einzelne Arten beweiſen, daß ihr Hirn auch in gewöhnlicher Weiſe thätig iſt. Die äußerlichen und willkürlichen Bewegungen geſchehen ebenfalls langſam, träge und täppiſch; doch gibt es einzelne, welche in ihrer Behendigkeit an andere Kriechthiere erinnern. Jm Gehen zeigen ſich alle tölpelhaft und ungeſchickt, die Land- und die Seeſchildkröten am ungeſchickteſten, die Sumpfſchildkröten noch am gewandteſten. Jm Schwimmen und Tauchen bekunden Sumpf- und Seeſchildkröten die größte Beweglichkeit, deren ſie überhaupt fähig ſind; aber ſie übertreffen in dieſer Fertigkeit ſchwerlich ein anderes im Waſſer lebendes Kriechthier. Jhr ganzes Leben iſt gleichſam nur eine einzige Kette von Trägheit und Langweiligkeit. Die Landſchildkröten nähren ſich hauptſächlich von Pflanzenſtoffen und zwar von Gräſern, Kräutern, Blättern und Früchten, genießen jedoch nebenbei auch Kerbthiere, Schnecken, Würmer und dergleichen; einzelne Seeſchildkröten freſſen hauptſächlich Pflanzen, insbeſondere Tange; alle übrigen ſind Räuber, welche auf Wirbel-, Weich-, Gliederthiere, Würmer und vielleicht auch Strahlthiere Jagd machen; einzelne Arten werden als ſehr tüchtige Raubthiere geſchildert. Sie freſſen eigentlich nur während der warmen Sommertage oder bezüglich in den Gleicherländern während der Regenzeit, dem dortigen Frühlinge, feiſten ſich innerhalb weniger Wochen, hören dann allmählich auf, Nahrung zu ſich zu nehmen und fallen, wenn hier der Winter, dort die Dürre eintritt, in Erſtarrung und Winterſchlaf. Ob es ſich bei denen, welche jahraus, jahrein in feuchten Wäldern leben, anders ver- hält, iſt zur Zeit noch fraglich. Bald nach dem Erwachen im Frühjahre beginnt die Fortpflanzung, welche auch dieſe ſtumpf- ſinnigen Thiere einigermaßen erregt oder lebhaft beſchäftigt. Jhre Begattung währt oft Tage lang. Bei einzelnen ſitzt dabei das Männchen auf dem Weibchen, bei anderen klammern ſich beide Geſchlechter mit den Bauchſchildern gegen einander. Geraume Zeit ſpäter gräbt das befruchtete Weibchen, nicht

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/32>, abgerufen am 26.04.2024.