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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.
Lurchen, Fischen, Kerbthieren und verschiedenem Gewürm; die Schlangen greifen hauptsächlich Wirbel-
thiere an. Fast alle verschlingen ihre Beute ganz, wenige nur, Schildkröten und Krokodile insbesondere,
zerstückeln sie vorher in roher Weise wie diejenigen, welche sich von Pflanzen ernähren. Dies hat zur
Folge, daß das Fressen und Verschlingen bei einzelnen einen großen Kraftaufwand erfordert und in
wirklich ekelhafter Weise geschieht. Alle ohne Ausnahme trinken. Mit zunehmender Wärme ver-
mehrt sich die Freßlust der Kriechthiere; während der heißen Jahreszeit sammeln sie sich so zu sagen
Nahrungsstoffe ein für das ganze übrige Jahr. Doch fressen sie im Verhältniß zu ihrer Größe weit
weniger als Säugethiere und Vögel. Sie verschlingen gewaltige Bissen auf einmal, liegen dann aber
auch bis nach vollendeter Verdauung tagelang in träger Ruhe mehr oder weniger auf einer und
derselben Stelle und können nöthigenfalls monatelang ohne Nahrung aushalten. Bei reichlichem
Futter werden sie bis zu einem gewissen Grade wohlbeleibt, einzelne von ihnen auch wirklich fett,
Dies jedoch in ungleich geringerem Maße als Säugethiere und Vögel.

Schildkröten und Krokodile schuppen ihre Oberhaut in derselben Weise ab wie die Säugethiere
und Vögel; die übrigen Kriechthiere häuten sich, d. h. streifen die ganze Oberhaut mehr oder weniger
mit einem Male ab, einzelne so vollkommen, daß das Volk mit Recht von Natterhemden
sprechen kann. Nach dieser Häutung zeigen sie sich besonders jagdeifrig und freßsüchtig, weil sie einen
erlittenen Verlust zu ersetzen haben.

Mit dem Beginne des Frühlings regt sich auch unter den Kriechthieren der Fortpflanzungstrieb.
Diejenigen, welche in nördlichen Ländern wohnen, kommen in den ersten warmen Tagen des Lenzes
zum Vorschein, jene, welche in gemäßigten oder heißen Ländern leben und sich während der trockenen
Zeit vergraben, nach dem ersten Regen. Einzelne führen, durch den Paarungstrieb gereizt, heftige
Kämpfe unter einander. Die Krokodile verfolgen sich gegenseitig mit Jngrimm und streiten wüthend;
die Eidechsen führen ebenfalls Zweikämpfe auf; Schlangen versammeln sich an gewissen Plätzen in
größerer Anzahl, bilden wirre Knäuel unter einander, zischen oder geben andere Zeichen ihrer
Erregung kund, bis sie sich endlich mit einem Weibchen geeinigt haben. Der Begattungsreiz wirkt,
wie schon angegeben, mächtig auf sie ein; die Begattung selbst währt Tage und Wochen; nach ihr
aber tritt, wenigstens bei den meisten, wieder stumpfe Gleichgültigkeit an Stelle der scheinbar so heftigen
Zuneigung zwischen beiden Geschlechtern. Geraume Zeit später sucht sich das Weibchen, falls es nicht
lebende Junge zur Welt bringt, eine geeignete Stelle zur Ablage der Eier oder bereitet sich selbst Das,
was man ein Nest nennen kann. Die meisten Kriechthiere legen ihre mit einer pergamentartigen
Schale bekleideten Eier, deren Anzahl ungefähr zwischen sechs und anderthalb Hundert schwankt, in
vorgefundene oder selbst gegrabene Löcher unter den Boden zwischen Mos und Laub und dergleichen
an feuchte, warme Orte ab und überlassen nun der Sonne oder der durch Gährung der Pflanzen-
stoffe sich erzeugenden Wärme die Zeitigung derselben, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Eine
Ausnahme hiervon sollen, wie oben angedeutet, die Krokodile und einzelne Schlangen machen. Die
Jungen entwickeln sich verhältnißmäßig rasch, gewöhnlich schon nach wenigen Wochen und beginnen
vom ersten Tage nach dem Ausschlüpfen die Lebensweise ihrer Eltern.

Gegen den Winter, in trockenen Strichen der Gleicherländer mit Beginn der dürren Zeit, graben
sich die Kriechthiere in den Boden ein, verbergen sich wenigstens in tiefere Höhlungen unter demselben
und fallen hier in eine todähnliche Erstarrung, welche dem Winterschlafe gewisser Säugethiere ent-
spricht. An der nördlichen und südlichen Grenze des Verbreitungsgebietes der Kriechthiere schützen
sich alle hier vorkommenden Arten der Ordnung vor dem schädlichen Einflusse der ungünstigen Jahres-
zeit, in dem südlichen Theile des gemäßigten Gürtels und unter den Wendekreisländern nur diejenigen,
welche sich dem Wechsel der Jahreszeit nicht entziehen können. Jn dem feuchten Brasilien treiben sich
die Landschildkröten jahraus, jahrein umher, während diejenigen, welche am Orinoko leben, nach
Humboldt's Beobachtungen während der großen Sonnenhitze und Trockenheit sich unter Steinen
oder in selbst gegrabenen Löchern verbergen und erst, wenn sie spüren, daß die Erde unter ihnen feucht
wird, wieder aus ihrem Versteck hervor kommen. Die Krokodile, welche in den wasserreichen Strömen

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
Lurchen, Fiſchen, Kerbthieren und verſchiedenem Gewürm; die Schlangen greifen hauptſächlich Wirbel-
thiere an. Faſt alle verſchlingen ihre Beute ganz, wenige nur, Schildkröten und Krokodile insbeſondere,
zerſtückeln ſie vorher in roher Weiſe wie diejenigen, welche ſich von Pflanzen ernähren. Dies hat zur
Folge, daß das Freſſen und Verſchlingen bei einzelnen einen großen Kraftaufwand erfordert und in
wirklich ekelhafter Weiſe geſchieht. Alle ohne Ausnahme trinken. Mit zunehmender Wärme ver-
mehrt ſich die Freßluſt der Kriechthiere; während der heißen Jahreszeit ſammeln ſie ſich ſo zu ſagen
Nahrungsſtoffe ein für das ganze übrige Jahr. Doch freſſen ſie im Verhältniß zu ihrer Größe weit
weniger als Säugethiere und Vögel. Sie verſchlingen gewaltige Biſſen auf einmal, liegen dann aber
auch bis nach vollendeter Verdauung tagelang in träger Ruhe mehr oder weniger auf einer und
derſelben Stelle und können nöthigenfalls monatelang ohne Nahrung aushalten. Bei reichlichem
Futter werden ſie bis zu einem gewiſſen Grade wohlbeleibt, einzelne von ihnen auch wirklich fett,
Dies jedoch in ungleich geringerem Maße als Säugethiere und Vögel.

Schildkröten und Krokodile ſchuppen ihre Oberhaut in derſelben Weiſe ab wie die Säugethiere
und Vögel; die übrigen Kriechthiere häuten ſich, d. h. ſtreifen die ganze Oberhaut mehr oder weniger
mit einem Male ab, einzelne ſo vollkommen, daß das Volk mit Recht von Natterhemden
ſprechen kann. Nach dieſer Häutung zeigen ſie ſich beſonders jagdeifrig und freßſüchtig, weil ſie einen
erlittenen Verluſt zu erſetzen haben.

Mit dem Beginne des Frühlings regt ſich auch unter den Kriechthieren der Fortpflanzungstrieb.
Diejenigen, welche in nördlichen Ländern wohnen, kommen in den erſten warmen Tagen des Lenzes
zum Vorſchein, jene, welche in gemäßigten oder heißen Ländern leben und ſich während der trockenen
Zeit vergraben, nach dem erſten Regen. Einzelne führen, durch den Paarungstrieb gereizt, heftige
Kämpfe unter einander. Die Krokodile verfolgen ſich gegenſeitig mit Jngrimm und ſtreiten wüthend;
die Eidechſen führen ebenfalls Zweikämpfe auf; Schlangen verſammeln ſich an gewiſſen Plätzen in
größerer Anzahl, bilden wirre Knäuel unter einander, ziſchen oder geben andere Zeichen ihrer
Erregung kund, bis ſie ſich endlich mit einem Weibchen geeinigt haben. Der Begattungsreiz wirkt,
wie ſchon angegeben, mächtig auf ſie ein; die Begattung ſelbſt währt Tage und Wochen; nach ihr
aber tritt, wenigſtens bei den meiſten, wieder ſtumpfe Gleichgültigkeit an Stelle der ſcheinbar ſo heftigen
Zuneigung zwiſchen beiden Geſchlechtern. Geraume Zeit ſpäter ſucht ſich das Weibchen, falls es nicht
lebende Junge zur Welt bringt, eine geeignete Stelle zur Ablage der Eier oder bereitet ſich ſelbſt Das,
was man ein Neſt nennen kann. Die meiſten Kriechthiere legen ihre mit einer pergamentartigen
Schale bekleideten Eier, deren Anzahl ungefähr zwiſchen ſechs und anderthalb Hundert ſchwankt, in
vorgefundene oder ſelbſt gegrabene Löcher unter den Boden zwiſchen Mos und Laub und dergleichen
an feuchte, warme Orte ab und überlaſſen nun der Sonne oder der durch Gährung der Pflanzen-
ſtoffe ſich erzeugenden Wärme die Zeitigung derſelben, ohne ſich weiter um ſie zu kümmern. Eine
Ausnahme hiervon ſollen, wie oben angedeutet, die Krokodile und einzelne Schlangen machen. Die
Jungen entwickeln ſich verhältnißmäßig raſch, gewöhnlich ſchon nach wenigen Wochen und beginnen
vom erſten Tage nach dem Ausſchlüpfen die Lebensweiſe ihrer Eltern.

Gegen den Winter, in trockenen Strichen der Gleicherländer mit Beginn der dürren Zeit, graben
ſich die Kriechthiere in den Boden ein, verbergen ſich wenigſtens in tiefere Höhlungen unter demſelben
und fallen hier in eine todähnliche Erſtarrung, welche dem Winterſchlafe gewiſſer Säugethiere ent-
ſpricht. An der nördlichen und ſüdlichen Grenze des Verbreitungsgebietes der Kriechthiere ſchützen
ſich alle hier vorkommenden Arten der Ordnung vor dem ſchädlichen Einfluſſe der ungünſtigen Jahres-
zeit, in dem ſüdlichen Theile des gemäßigten Gürtels und unter den Wendekreisländern nur diejenigen,
welche ſich dem Wechſel der Jahreszeit nicht entziehen können. Jn dem feuchten Braſilien treiben ſich
die Landſchildkröten jahraus, jahrein umher, während diejenigen, welche am Orinoko leben, nach
Humboldt’s Beobachtungen während der großen Sonnenhitze und Trockenheit ſich unter Steinen
oder in ſelbſt gegrabenen Löchern verbergen und erſt, wenn ſie ſpüren, daß die Erde unter ihnen feucht
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[12/0024] Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit. Lurchen, Fiſchen, Kerbthieren und verſchiedenem Gewürm; die Schlangen greifen hauptſächlich Wirbel- thiere an. Faſt alle verſchlingen ihre Beute ganz, wenige nur, Schildkröten und Krokodile insbeſondere, zerſtückeln ſie vorher in roher Weiſe wie diejenigen, welche ſich von Pflanzen ernähren. Dies hat zur Folge, daß das Freſſen und Verſchlingen bei einzelnen einen großen Kraftaufwand erfordert und in wirklich ekelhafter Weiſe geſchieht. Alle ohne Ausnahme trinken. Mit zunehmender Wärme ver- mehrt ſich die Freßluſt der Kriechthiere; während der heißen Jahreszeit ſammeln ſie ſich ſo zu ſagen Nahrungsſtoffe ein für das ganze übrige Jahr. Doch freſſen ſie im Verhältniß zu ihrer Größe weit weniger als Säugethiere und Vögel. Sie verſchlingen gewaltige Biſſen auf einmal, liegen dann aber auch bis nach vollendeter Verdauung tagelang in träger Ruhe mehr oder weniger auf einer und derſelben Stelle und können nöthigenfalls monatelang ohne Nahrung aushalten. Bei reichlichem Futter werden ſie bis zu einem gewiſſen Grade wohlbeleibt, einzelne von ihnen auch wirklich fett, Dies jedoch in ungleich geringerem Maße als Säugethiere und Vögel. Schildkröten und Krokodile ſchuppen ihre Oberhaut in derſelben Weiſe ab wie die Säugethiere und Vögel; die übrigen Kriechthiere häuten ſich, d. h. ſtreifen die ganze Oberhaut mehr oder weniger mit einem Male ab, einzelne ſo vollkommen, daß das Volk mit Recht von Natterhemden ſprechen kann. Nach dieſer Häutung zeigen ſie ſich beſonders jagdeifrig und freßſüchtig, weil ſie einen erlittenen Verluſt zu erſetzen haben. Mit dem Beginne des Frühlings regt ſich auch unter den Kriechthieren der Fortpflanzungstrieb. Diejenigen, welche in nördlichen Ländern wohnen, kommen in den erſten warmen Tagen des Lenzes zum Vorſchein, jene, welche in gemäßigten oder heißen Ländern leben und ſich während der trockenen Zeit vergraben, nach dem erſten Regen. Einzelne führen, durch den Paarungstrieb gereizt, heftige Kämpfe unter einander. Die Krokodile verfolgen ſich gegenſeitig mit Jngrimm und ſtreiten wüthend; die Eidechſen führen ebenfalls Zweikämpfe auf; Schlangen verſammeln ſich an gewiſſen Plätzen in größerer Anzahl, bilden wirre Knäuel unter einander, ziſchen oder geben andere Zeichen ihrer Erregung kund, bis ſie ſich endlich mit einem Weibchen geeinigt haben. Der Begattungsreiz wirkt, wie ſchon angegeben, mächtig auf ſie ein; die Begattung ſelbſt währt Tage und Wochen; nach ihr aber tritt, wenigſtens bei den meiſten, wieder ſtumpfe Gleichgültigkeit an Stelle der ſcheinbar ſo heftigen Zuneigung zwiſchen beiden Geſchlechtern. Geraume Zeit ſpäter ſucht ſich das Weibchen, falls es nicht lebende Junge zur Welt bringt, eine geeignete Stelle zur Ablage der Eier oder bereitet ſich ſelbſt Das, was man ein Neſt nennen kann. Die meiſten Kriechthiere legen ihre mit einer pergamentartigen Schale bekleideten Eier, deren Anzahl ungefähr zwiſchen ſechs und anderthalb Hundert ſchwankt, in vorgefundene oder ſelbſt gegrabene Löcher unter den Boden zwiſchen Mos und Laub und dergleichen an feuchte, warme Orte ab und überlaſſen nun der Sonne oder der durch Gährung der Pflanzen- ſtoffe ſich erzeugenden Wärme die Zeitigung derſelben, ohne ſich weiter um ſie zu kümmern. Eine Ausnahme hiervon ſollen, wie oben angedeutet, die Krokodile und einzelne Schlangen machen. Die Jungen entwickeln ſich verhältnißmäßig raſch, gewöhnlich ſchon nach wenigen Wochen und beginnen vom erſten Tage nach dem Ausſchlüpfen die Lebensweiſe ihrer Eltern. Gegen den Winter, in trockenen Strichen der Gleicherländer mit Beginn der dürren Zeit, graben ſich die Kriechthiere in den Boden ein, verbergen ſich wenigſtens in tiefere Höhlungen unter demſelben und fallen hier in eine todähnliche Erſtarrung, welche dem Winterſchlafe gewiſſer Säugethiere ent- ſpricht. An der nördlichen und ſüdlichen Grenze des Verbreitungsgebietes der Kriechthiere ſchützen ſich alle hier vorkommenden Arten der Ordnung vor dem ſchädlichen Einfluſſe der ungünſtigen Jahres- zeit, in dem ſüdlichen Theile des gemäßigten Gürtels und unter den Wendekreisländern nur diejenigen, welche ſich dem Wechſel der Jahreszeit nicht entziehen können. Jn dem feuchten Braſilien treiben ſich die Landſchildkröten jahraus, jahrein umher, während diejenigen, welche am Orinoko leben, nach Humboldt’s Beobachtungen während der großen Sonnenhitze und Trockenheit ſich unter Steinen oder in ſelbſt gegrabenen Löchern verbergen und erſt, wenn ſie ſpüren, daß die Erde unter ihnen feucht wird, wieder aus ihrem Verſteck hervor kommen. Die Krokodile, welche in den waſſerreichen Strömen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/24>, abgerufen am 26.04.2024.