Die Bewegungsfähigkeit eines Geschöpfes ist, wenn nicht die wesentlichste, so doch eine der ersten Bedingungen zu seinem Leben; sie ist aber auch ein Merkzeichen für seine Stellung im System, für seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu andern, da sie, wie wir schon mehrfach erfahren haben, die Erläuterung seiner Gestalt selbst ist. Bei den bisher behandelten Ordnungen der Vögel mag die Erkenntniß dieser Wahrheit zuweilen schwierig sein, bei denjenigen Ordnungen, welche wir noch zu behandeln haben, drängt sie sich jedem Unbefangenen von selbst auf.
Mit den eigentlichen Baum- und Luftvögeln haben wir abgeschlossen und uns fortan mit denen zu beschäftigen, welche mehr oder weniger auf den Boden gebannt sind. Auch unter den Läufern gibt es noch viele, welche den größten Theil ihres Lebens auf Bäumen verbringen und nur aus- nahmsweise ihren Namen bethätigen; die Gesammtheit aber gehört entschieden der Tiefe, dem Boden, an, und nicht wenige sind fremd geworden in der Höhe: die wichtigste Begabung der Vögel, Flugfähigkeit, geht ihnen vollständig ab.
Das gemeinsame Kennzeichen der Läufer ist die bedeutende Entwickelung ihrer Beine auf Kosten der Flügel. Beide Bewegungswerkzeuge stehen bei ihnen in einem bestimmten Verhältnisse zu einander; d. h. die Flügel verkümmern in demselben Grade, in dem die Beine sich vervoll- kommnen. Damit ist zugleich ausgesprochen, daß die vollkommensten Läufer nicht auch als die höchst- stehenden gelten müssen; denn nicht die Einseitigkeit, die überwiegende Ausbildung eines und desselben Leibestheiles oder Gliedes, sondern die Gleichmäßigkeit und Einhelligkeit der verschiedenen Werk- zeuge des Leibes bekundet die Vollkommenheit.
Auf die Beschaffenheit der übrigen Glieder der Läufer kommt es, bezüglich ihrer Rang- ordnung im großen Ganzen, weniger an, und deshalb wird es kein Fehler sein, von einer Beschreibung der allgemeinen Merkmale zunächst abzusehen, zumal auch diese Reihe reich ist an verschiedenartigen Gestalten, und ihre Endglieder weit aus einander liegen oder, um es mit anderen Worten zu sagen, sich wesentlich von einander unterscheiden.
Die Läufer sind ebenfalls Weltbürger; ihre Verbreitung ist aber, in gewissem Sinne, eine beschränkte, denn nicht einmal jede Ordnung hat in jedem Erdtheile ihre Vertreter. Daß der Reich- thum der Gleicherländer auch hinsichtlich dieser Reihe sich ausspricht, ist erklärlich; doch kann man nicht sagen, daß die gemäßigten Gürtel arm an Läufern sind: sie finden sich sogar im nördlichen kalten Gürtel noch in mehreren Sippen. Einzelne Arten sind oder waren hinsichtlich ihres Vor- kommens so beschränkt, daß sie bereits gänzlich vertilgt werden konnten oder ihrer Vernich-
Vierte Reihe. Läufer (Cursores).
Die Bewegungsfähigkeit eines Geſchöpfes iſt, wenn nicht die weſentlichſte, ſo doch eine der erſten Bedingungen zu ſeinem Leben; ſie iſt aber auch ein Merkzeichen für ſeine Stellung im Syſtem, für ſeine verwandtſchaftlichen Beziehungen zu andern, da ſie, wie wir ſchon mehrfach erfahren haben, die Erläuterung ſeiner Geſtalt ſelbſt iſt. Bei den bisher behandelten Ordnungen der Vögel mag die Erkenntniß dieſer Wahrheit zuweilen ſchwierig ſein, bei denjenigen Ordnungen, welche wir noch zu behandeln haben, drängt ſie ſich jedem Unbefangenen von ſelbſt auf.
Mit den eigentlichen Baum- und Luftvögeln haben wir abgeſchloſſen und uns fortan mit denen zu beſchäftigen, welche mehr oder weniger auf den Boden gebannt ſind. Auch unter den Läufern gibt es noch viele, welche den größten Theil ihres Lebens auf Bäumen verbringen und nur aus- nahmsweiſe ihren Namen bethätigen; die Geſammtheit aber gehört entſchieden der Tiefe, dem Boden, an, und nicht wenige ſind fremd geworden in der Höhe: die wichtigſte Begabung der Vögel, Flugfähigkeit, geht ihnen vollſtändig ab.
Das gemeinſame Kennzeichen der Läufer iſt die bedeutende Entwickelung ihrer Beine auf Koſten der Flügel. Beide Bewegungswerkzeuge ſtehen bei ihnen in einem beſtimmten Verhältniſſe zu einander; d. h. die Flügel verkümmern in demſelben Grade, in dem die Beine ſich vervoll- kommnen. Damit iſt zugleich ausgeſprochen, daß die vollkommenſten Läufer nicht auch als die höchſt- ſtehenden gelten müſſen; denn nicht die Einſeitigkeit, die überwiegende Ausbildung eines und deſſelben Leibestheiles oder Gliedes, ſondern die Gleichmäßigkeit und Einhelligkeit der verſchiedenen Werk- zeuge des Leibes bekundet die Vollkommenheit.
Auf die Beſchaffenheit der übrigen Glieder der Läufer kommt es, bezüglich ihrer Rang- ordnung im großen Ganzen, weniger an, und deshalb wird es kein Fehler ſein, von einer Beſchreibung der allgemeinen Merkmale zunächſt abzuſehen, zumal auch dieſe Reihe reich iſt an verſchiedenartigen Geſtalten, und ihre Endglieder weit aus einander liegen oder, um es mit anderen Worten zu ſagen, ſich weſentlich von einander unterſcheiden.
Die Läufer ſind ebenfalls Weltbürger; ihre Verbreitung iſt aber, in gewiſſem Sinne, eine beſchränkte, denn nicht einmal jede Ordnung hat in jedem Erdtheile ihre Vertreter. Daß der Reich- thum der Gleicherländer auch hinſichtlich dieſer Reihe ſich ausſpricht, iſt erklärlich; doch kann man nicht ſagen, daß die gemäßigten Gürtel arm an Läufern ſind: ſie finden ſich ſogar im nördlichen kalten Gürtel noch in mehreren Sippen. Einzelne Arten ſind oder waren hinſichtlich ihres Vor- kommens ſo beſchränkt, daß ſie bereits gänzlich vertilgt werden konnten oder ihrer Vernich-
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[[253]/0275]
Vierte Reihe.
Läufer (Cursores).
Die Bewegungsfähigkeit eines Geſchöpfes iſt, wenn nicht die weſentlichſte, ſo doch eine der
erſten Bedingungen zu ſeinem Leben; ſie iſt aber auch ein Merkzeichen für ſeine Stellung im Syſtem,
für ſeine verwandtſchaftlichen Beziehungen zu andern, da ſie, wie wir ſchon mehrfach erfahren haben,
die Erläuterung ſeiner Geſtalt ſelbſt iſt. Bei den bisher behandelten Ordnungen der Vögel mag die
Erkenntniß dieſer Wahrheit zuweilen ſchwierig ſein, bei denjenigen Ordnungen, welche wir noch zu
behandeln haben, drängt ſie ſich jedem Unbefangenen von ſelbſt auf.
Mit den eigentlichen Baum- und Luftvögeln haben wir abgeſchloſſen und uns fortan mit denen
zu beſchäftigen, welche mehr oder weniger auf den Boden gebannt ſind. Auch unter den Läufern
gibt es noch viele, welche den größten Theil ihres Lebens auf Bäumen verbringen und nur aus-
nahmsweiſe ihren Namen bethätigen; die Geſammtheit aber gehört entſchieden der Tiefe, dem
Boden, an, und nicht wenige ſind fremd geworden in der Höhe: die wichtigſte Begabung der Vögel,
Flugfähigkeit, geht ihnen vollſtändig ab.
Das gemeinſame Kennzeichen der Läufer iſt die bedeutende Entwickelung ihrer Beine auf
Koſten der Flügel. Beide Bewegungswerkzeuge ſtehen bei ihnen in einem beſtimmten Verhältniſſe
zu einander; d. h. die Flügel verkümmern in demſelben Grade, in dem die Beine ſich vervoll-
kommnen. Damit iſt zugleich ausgeſprochen, daß die vollkommenſten Läufer nicht auch als die höchſt-
ſtehenden gelten müſſen; denn nicht die Einſeitigkeit, die überwiegende Ausbildung eines und deſſelben
Leibestheiles oder Gliedes, ſondern die Gleichmäßigkeit und Einhelligkeit der verſchiedenen Werk-
zeuge des Leibes bekundet die Vollkommenheit.
Auf die Beſchaffenheit der übrigen Glieder der Läufer kommt es, bezüglich ihrer Rang-
ordnung im großen Ganzen, weniger an, und deshalb wird es kein Fehler ſein, von einer
Beſchreibung der allgemeinen Merkmale zunächſt abzuſehen, zumal auch dieſe Reihe reich iſt an
verſchiedenartigen Geſtalten, und ihre Endglieder weit aus einander liegen oder, um es mit anderen
Worten zu ſagen, ſich weſentlich von einander unterſcheiden.
Die Läufer ſind ebenfalls Weltbürger; ihre Verbreitung iſt aber, in gewiſſem Sinne, eine
beſchränkte, denn nicht einmal jede Ordnung hat in jedem Erdtheile ihre Vertreter. Daß der Reich-
thum der Gleicherländer auch hinſichtlich dieſer Reihe ſich ausſpricht, iſt erklärlich; doch kann man
nicht ſagen, daß die gemäßigten Gürtel arm an Läufern ſind: ſie finden ſich ſogar im nördlichen
kalten Gürtel noch in mehreren Sippen. Einzelne Arten ſind oder waren hinſichtlich ihres Vor-
kommens ſo beſchränkt, daß ſie bereits gänzlich vertilgt werden konnten oder ihrer Vernich-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. [253]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/275>, abgerufen am 19.11.2024.
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