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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Trägheit der Athmung. Stimme. Verdauung. Magen der Wiederkäuer.
einer Katze! Hier wird jeder Ton zerquetscht, verunstaltet und gemißhandelt, jeder Naturlaut zum
quälenden, ohrenzerreißenden Mißklange umgewandelt: dort wird der Hauch zur Musik, die Musik
zu dem herrlichsten und reichsten Liebesgedichte in Klängen und Tönen. Das Liebesflehen der Katze
ist ein Lied,

"Das Stein erweichen,
Menschen rasend machen kann!"

das Lied der Nachtigall ist

"Nichts als ein Ach,
Das Ach ist Nichts als Liebe!"

Nicht einmal den Menschen begabt die Liebe immer mit Dem, was sie dem Vogel stets
gewährt; nicht einmal er läßt sich in allen Fällen mit der Nachtigall vergleichen, wie ja auch unser
Rückert behauptet:

"Wenn Jemand liebt, und im Vertraun
Davon zu Andern spricht er,
Wird er die Hörer schlecht erbaun,
Oder er ist ein Dichter!"

Der Vogel, welcher von seiner Liebe redet, erbaut den Hörer immer; selbst die rauhesten Töne seiner
Brust werden dann klangreich und wohllautend.

Aber nicht blos zur Zeit der Liebe ist die Stimme des Säugethieres unserem Ohre unwill-
kommen: sie ist es stets, sobald sie irgend welche Aufregung bekundet, ja sie ist's auch, wenn dies nicht
der Fall, fast immer. Wir Alle freuen uns der Worte unseres Lieblingsdichters,

"Blökend ziehen heim die Schafe"

-- sicherlich aber weniger des Blökens, als vielmehr des Bildes der Heimkehr wegen. Das Blöken
selbst ist ebenso großer Tonunfug wie das Meckern der Ziege oder das Grunzen des Schweins, das
Quieken der Ferkel, das Pfeifen der Mäuse, das Knurren des Eichhorns etc. Es fällt Niemanden
ein, von singenden Säugethieren zu reden*), weil man den Menschen gewöhnlich ausnimmt, wenn
man von den Säugern spricht, und dann nur von Bellen, Schreien, Brummen, Brüllen, Heulen,
Wiehern, Blöken, Meckern, Grunzen, Knurren, Quieken, Pfeifen, Fauchen etc. reden kann -- wahr-
haftig nicht von angenehmen Tönen. Wir sind zwar an die Stimmen vieler unserer treuen Haus-
gefährten so gewöhnt, daß wir sie zuletzt ebenso gern vernehmen, wie den rauhen Brummbaß eines
uns lieb gewordenen Freundes oder mancher Hausfrau "theure Stimme" trotz des frevelhaften Ge-
brauchs der Töne, welche sich in ihr kund gibt: fragen wir aber einen Tondichter nach dem Tonwerth
des Hunde gebells, Katzen miauens, Rossewieherns oder Esel geschreies: so lautet die Antwort
sicherlich nicht anerkennend, und selbst das tonkünstlerisch verbesserte Hunde-Wau-Wau in Preciosa
dürfte schwerlich vor dem Ohre eines strengen Beurtheilers Gnade finden. Kurz, die Stimme aller
Säugethiere, mit Ausnahme des Menschen, ist rauh, mißtönig, unbiegsam und unbildsam, und sogar
die, welche uns zuweilen gemüthlich, ansprechend dünkt, hört auf, beides zu sein, sobald irgend welche
Erregung die Seele des Thieres bewegt, während bei dem Vogel oft das gerade Gegentheil von all
Dem stattfindet. Auch hinsichtlich der Stimme ist der Vogel Bewegungsthier. --

Ueber die Verdauung, die Bewegung des Ernährungsschlauches, wollen wir wenig
Worte verlieren. Sie ist eine ganz vortreffliche, wenn sie auch nicht so rasch vor sich geht, als die des
Vogels und zuweilen, wie bei den Winterschläfern, monatelang unterbrochen sein kann. Wer sich hier-
über gründlicher belehren will, mag irgend ein Lehrbuch über die Lebensthätigkeit oder, falls dieses
Wort unverständlich sein sollte, über die "Physiologie" des Menschen zur Hand nehmen: dort findet er
diesen Abschnitt ausführlicher behandelt, als ich ihn behandeln kann. Eine Art der Verdauung darf
ich hier aber doch nicht übergehen, weil sie blos bei wenigen Säugern vorkommt: ich meine das Wieder-
käuen.
Die nutzanwendenden Weisheitsbewunderer der Schöpfung belehren uns, daß viele pflanzen-

*) Jn der Neuzeit hat man allerdings mehrfach von "singenden" Mäusen gesprochen; es bedarf aber unzweiselbast
noch anderweitiger Beobachtung, um jenen Ausdruck zu rechtfertigen. Das "Singen" der Mäuse ist wahrscheinlich eben auch
nur ein zwitscherndes Pfeifen.

Trägheit der Athmung. Stimme. Verdauung. Magen der Wiederkäuer.
einer Katze! Hier wird jeder Ton zerquetſcht, verunſtaltet und gemißhandelt, jeder Naturlaut zum
quälenden, ohrenzerreißenden Mißklange umgewandelt: dort wird der Hauch zur Muſik, die Muſik
zu dem herrlichſten und reichſten Liebesgedichte in Klängen und Tönen. Das Liebesflehen der Katze
iſt ein Lied,

„Das Stein erweichen,
Menſchen raſend machen kann!‟

das Lied der Nachtigall iſt

„Nichts als ein Ach,
Das Ach iſt Nichts als Liebe!‟

Nicht einmal den Menſchen begabt die Liebe immer mit Dem, was ſie dem Vogel ſtets
gewährt; nicht einmal er läßt ſich in allen Fällen mit der Nachtigall vergleichen, wie ja auch unſer
Rückert behauptet:

„Wenn Jemand liebt, und im Vertraun
Davon zu Andern ſpricht er,
Wird er die Hörer ſchlecht erbaun,
Oder er iſt ein Dichter!‟

Der Vogel, welcher von ſeiner Liebe redet, erbaut den Hörer immer; ſelbſt die rauheſten Töne ſeiner
Bruſt werden dann klangreich und wohllautend.

Aber nicht blos zur Zeit der Liebe iſt die Stimme des Säugethieres unſerem Ohre unwill-
kommen: ſie iſt es ſtets, ſobald ſie irgend welche Aufregung bekundet, ja ſie iſt’s auch, wenn dies nicht
der Fall, faſt immer. Wir Alle freuen uns der Worte unſeres Lieblingsdichters,

„Blökend ziehen heim die Schafe‟

— ſicherlich aber weniger des Blökens, als vielmehr des Bildes der Heimkehr wegen. Das Blöken
ſelbſt iſt ebenſo großer Tonunfug wie das Meckern der Ziege oder das Grunzen des Schweins, das
Quieken der Ferkel, das Pfeifen der Mäuſe, das Knurren des Eichhorns ꝛc. Es fällt Niemanden
ein, von ſingenden Säugethieren zu reden*), weil man den Menſchen gewöhnlich ausnimmt, wenn
man von den Säugern ſpricht, und dann nur von Bellen, Schreien, Brummen, Brüllen, Heulen,
Wiehern, Blöken, Meckern, Grunzen, Knurren, Quieken, Pfeifen, Fauchen ꝛc. reden kann — wahr-
haftig nicht von angenehmen Tönen. Wir ſind zwar an die Stimmen vieler unſerer treuen Haus-
gefährten ſo gewöhnt, daß wir ſie zuletzt ebenſo gern vernehmen, wie den rauhen Brummbaß eines
uns lieb gewordenen Freundes oder mancher Hausfrau „theure Stimme‟ trotz des frevelhaften Ge-
brauchs der Töne, welche ſich in ihr kund gibt: fragen wir aber einen Tondichter nach dem Tonwerth
des Hunde gebells, Katzen miauens, Roſſewieherns oder Eſel geſchreies: ſo lautet die Antwort
ſicherlich nicht anerkennend, und ſelbſt das tonkünſtleriſch verbeſſerte Hunde-Wau-Wau in Precioſa
dürfte ſchwerlich vor dem Ohre eines ſtrengen Beurtheilers Gnade finden. Kurz, die Stimme aller
Säugethiere, mit Ausnahme des Menſchen, iſt rauh, mißtönig, unbiegſam und unbildſam, und ſogar
die, welche uns zuweilen gemüthlich, anſprechend dünkt, hört auf, beides zu ſein, ſobald irgend welche
Erregung die Seele des Thieres bewegt, während bei dem Vogel oft das gerade Gegentheil von all
Dem ſtattfindet. Auch hinſichtlich der Stimme iſt der Vogel Bewegungsthier. —

Ueber die Verdauung, die Bewegung des Ernährungsſchlauches, wollen wir wenig
Worte verlieren. Sie iſt eine ganz vortreffliche, wenn ſie auch nicht ſo raſch vor ſich geht, als die des
Vogels und zuweilen, wie bei den Winterſchläfern, monatelang unterbrochen ſein kann. Wer ſich hier-
über gründlicher belehren will, mag irgend ein Lehrbuch über die Lebensthätigkeit oder, falls dieſes
Wort unverſtändlich ſein ſollte, über die „Phyſiologie‟ des Menſchen zur Hand nehmen: dort findet er
dieſen Abſchnitt ausführlicher behandelt, als ich ihn behandeln kann. Eine Art der Verdauung darf
ich hier aber doch nicht übergehen, weil ſie blos bei wenigen Säugern vorkommt: ich meine das Wieder-
käuen.
Die nutzanwendenden Weisheitsbewunderer der Schöpfung belehren uns, daß viele pflanzen-

*) Jn der Neuzeit hat man allerdings mehrfach von „ſingenden‟ Mäuſen geſprochen; es bedarf aber unzweiſelbaſt
noch anderweitiger Beobachtung, um jenen Ausdruck zu rechtfertigen. Das „Singen‟ der Mäuſe iſt wahrſcheinlich eben auch
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[XXI[XXI]/0031] Trägheit der Athmung. Stimme. Verdauung. Magen der Wiederkäuer. einer Katze! Hier wird jeder Ton zerquetſcht, verunſtaltet und gemißhandelt, jeder Naturlaut zum quälenden, ohrenzerreißenden Mißklange umgewandelt: dort wird der Hauch zur Muſik, die Muſik zu dem herrlichſten und reichſten Liebesgedichte in Klängen und Tönen. Das Liebesflehen der Katze iſt ein Lied, „Das Stein erweichen, Menſchen raſend machen kann!‟ das Lied der Nachtigall iſt „Nichts als ein Ach, Das Ach iſt Nichts als Liebe!‟ Nicht einmal den Menſchen begabt die Liebe immer mit Dem, was ſie dem Vogel ſtets gewährt; nicht einmal er läßt ſich in allen Fällen mit der Nachtigall vergleichen, wie ja auch unſer Rückert behauptet: „Wenn Jemand liebt, und im Vertraun Davon zu Andern ſpricht er, Wird er die Hörer ſchlecht erbaun, Oder er iſt ein Dichter!‟ Der Vogel, welcher von ſeiner Liebe redet, erbaut den Hörer immer; ſelbſt die rauheſten Töne ſeiner Bruſt werden dann klangreich und wohllautend. Aber nicht blos zur Zeit der Liebe iſt die Stimme des Säugethieres unſerem Ohre unwill- kommen: ſie iſt es ſtets, ſobald ſie irgend welche Aufregung bekundet, ja ſie iſt’s auch, wenn dies nicht der Fall, faſt immer. Wir Alle freuen uns der Worte unſeres Lieblingsdichters, „Blökend ziehen heim die Schafe‟ — ſicherlich aber weniger des Blökens, als vielmehr des Bildes der Heimkehr wegen. Das Blöken ſelbſt iſt ebenſo großer Tonunfug wie das Meckern der Ziege oder das Grunzen des Schweins, das Quieken der Ferkel, das Pfeifen der Mäuſe, das Knurren des Eichhorns ꝛc. Es fällt Niemanden ein, von ſingenden Säugethieren zu reden *), weil man den Menſchen gewöhnlich ausnimmt, wenn man von den Säugern ſpricht, und dann nur von Bellen, Schreien, Brummen, Brüllen, Heulen, Wiehern, Blöken, Meckern, Grunzen, Knurren, Quieken, Pfeifen, Fauchen ꝛc. reden kann — wahr- haftig nicht von angenehmen Tönen. Wir ſind zwar an die Stimmen vieler unſerer treuen Haus- gefährten ſo gewöhnt, daß wir ſie zuletzt ebenſo gern vernehmen, wie den rauhen Brummbaß eines uns lieb gewordenen Freundes oder mancher Hausfrau „theure Stimme‟ trotz des frevelhaften Ge- brauchs der Töne, welche ſich in ihr kund gibt: fragen wir aber einen Tondichter nach dem Tonwerth des Hunde gebells, Katzen miauens, Roſſewieherns oder Eſel geſchreies: ſo lautet die Antwort ſicherlich nicht anerkennend, und ſelbſt das tonkünſtleriſch verbeſſerte Hunde-Wau-Wau in Precioſa dürfte ſchwerlich vor dem Ohre eines ſtrengen Beurtheilers Gnade finden. Kurz, die Stimme aller Säugethiere, mit Ausnahme des Menſchen, iſt rauh, mißtönig, unbiegſam und unbildſam, und ſogar die, welche uns zuweilen gemüthlich, anſprechend dünkt, hört auf, beides zu ſein, ſobald irgend welche Erregung die Seele des Thieres bewegt, während bei dem Vogel oft das gerade Gegentheil von all Dem ſtattfindet. Auch hinſichtlich der Stimme iſt der Vogel Bewegungsthier. — Ueber die Verdauung, die Bewegung des Ernährungsſchlauches, wollen wir wenig Worte verlieren. Sie iſt eine ganz vortreffliche, wenn ſie auch nicht ſo raſch vor ſich geht, als die des Vogels und zuweilen, wie bei den Winterſchläfern, monatelang unterbrochen ſein kann. Wer ſich hier- über gründlicher belehren will, mag irgend ein Lehrbuch über die Lebensthätigkeit oder, falls dieſes Wort unverſtändlich ſein ſollte, über die „Phyſiologie‟ des Menſchen zur Hand nehmen: dort findet er dieſen Abſchnitt ausführlicher behandelt, als ich ihn behandeln kann. Eine Art der Verdauung darf ich hier aber doch nicht übergehen, weil ſie blos bei wenigen Säugern vorkommt: ich meine das Wieder- käuen. Die nutzanwendenden Weisheitsbewunderer der Schöpfung belehren uns, daß viele pflanzen- *) Jn der Neuzeit hat man allerdings mehrfach von „ſingenden‟ Mäuſen geſprochen; es bedarf aber unzweiſelbaſt noch anderweitiger Beobachtung, um jenen Ausdruck zu rechtfertigen. Das „Singen‟ der Mäuſe iſt wahrſcheinlich eben auch nur ein zwitſcherndes Pfeifen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXI[XXI]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/31>, abgerufen am 26.04.2024.