stände sehen, so erscheinen sie uns gewöhnlich so lebhaft, daß wir sie genau so, als ob sie hinter dem Spiegel lägen, anerkennen, und völlig geneigt sind, das Bild jedes Gegenstandes als da er- scheinend, wohin die Theorie es versetzt, anzunehmen; aber schon in einem schlecht polirten Metalle, in der Oberfläche polirten Hol- zes oder irgend eines andern Körpers, wo die Oberfläche selbst uns durch viele zerstreut zurückgeworfene Lichtstrahlen sichtbar wird, fin- det jene Täuschung nicht so bestimmt statt, sondern wir sind hier eher geneigt, das gespiegelte Bild näher hinter der Oberfläche zu suchen; und etwas Aehnliches ist der Fall, wenn wir in einem unbelegten, also völlig durchsichtigen Glase die gespiegelten Gegen- stände und zugleich die hinter dem Glase liegenden Gegenstände sehen. Die optischen Regeln bleiben auch in diesen Fällen dieselben, aber unser Urtheil verliert an Sicherheit, weil wir zweierlei Gegen- stände zugleich sehen; wir werden dann geneigt, die Holzfasern im polirten Holze zur Bezeichnung der Stelle, wo der reflectirte Strahl ausgeht, ins Auge zu fassen, und je fester wir das Auge in glei- cher Stellung festhalten, desto vollkommener können wir die Täu- schung, als erschiene der gespiegelte Gegenstand in dieser Oberfläche selbst, bestärken; und ungefähr ebenso ist es, wenn wir durch das spiegelnde Glas auf Gegenstände jenseits des Glases sehen. Wollen wir uns hier überzeugen, daß die nach optischen Regeln bestimmte Lage des Bildes noch immer richtig bestimmt ist, so haben wir nur (Fig. 33.) nöthig, das Auge von O nach o zu verrücken, wo der entferntere Gegenstand A uns viel mehr, als der nahe Gegenstand B, fortzurücken scheint, jener von D nach d, dieser nur von E nach e. Aehnliche Vergleichungen finden auch statt, wenn man den gespiegelten Gegenstand auf einen hinter dem Glase liegenden Gegenstand bezieht.
Der Crystallwinkelmesser.
Die ebnen Spiegel haben zu mehreren ebenso merkwürdigen, als nützlichen Anwendungen bei Instrumenten geführt. Zu diesen Instrumenten gehört der Winkelmesser für Crystalle. Wenn (Fig. 34.) ABC zwei unter einem Winkel verbundene Spiegel oder zwei spiegelnde Seitenflächen eines Crystalles sind, so ist es offen- bar, daß man durch eine Drehung des Crystalles die Seite BC in
ſtaͤnde ſehen, ſo erſcheinen ſie uns gewoͤhnlich ſo lebhaft, daß wir ſie genau ſo, als ob ſie hinter dem Spiegel laͤgen, anerkennen, und voͤllig geneigt ſind, das Bild jedes Gegenſtandes als da er- ſcheinend, wohin die Theorie es verſetzt, anzunehmen; aber ſchon in einem ſchlecht polirten Metalle, in der Oberflaͤche polirten Hol- zes oder irgend eines andern Koͤrpers, wo die Oberflaͤche ſelbſt uns durch viele zerſtreut zuruͤckgeworfene Lichtſtrahlen ſichtbar wird, fin- det jene Taͤuſchung nicht ſo beſtimmt ſtatt, ſondern wir ſind hier eher geneigt, das geſpiegelte Bild naͤher hinter der Oberflaͤche zu ſuchen; und etwas Aehnliches iſt der Fall, wenn wir in einem unbelegten, alſo voͤllig durchſichtigen Glaſe die geſpiegelten Gegen- ſtaͤnde und zugleich die hinter dem Glaſe liegenden Gegenſtaͤnde ſehen. Die optiſchen Regeln bleiben auch in dieſen Faͤllen dieſelben, aber unſer Urtheil verliert an Sicherheit, weil wir zweierlei Gegen- ſtaͤnde zugleich ſehen; wir werden dann geneigt, die Holzfaſern im polirten Holze zur Bezeichnung der Stelle, wo der reflectirte Strahl ausgeht, ins Auge zu faſſen, und je feſter wir das Auge in glei- cher Stellung feſthalten, deſto vollkommener koͤnnen wir die Taͤu- ſchung, als erſchiene der geſpiegelte Gegenſtand in dieſer Oberflaͤche ſelbſt, beſtaͤrken; und ungefaͤhr ebenſo iſt es, wenn wir durch das ſpiegelnde Glas auf Gegenſtaͤnde jenſeits des Glaſes ſehen. Wollen wir uns hier uͤberzeugen, daß die nach optiſchen Regeln beſtimmte Lage des Bildes noch immer richtig beſtimmt iſt, ſo haben wir nur (Fig. 33.) noͤthig, das Auge von O nach o zu verruͤcken, wo der entferntere Gegenſtand A uns viel mehr, als der nahe Gegenſtand B, fortzuruͤcken ſcheint, jener von D nach d, dieſer nur von E nach e. Aehnliche Vergleichungen finden auch ſtatt, wenn man den geſpiegelten Gegenſtand auf einen hinter dem Glaſe liegenden Gegenſtand bezieht.
Der Cryſtallwinkelmeſſer.
Die ebnen Spiegel haben zu mehreren ebenſo merkwuͤrdigen, als nuͤtzlichen Anwendungen bei Inſtrumenten gefuͤhrt. Zu dieſen Inſtrumenten gehoͤrt der Winkelmeſſer fuͤr Cryſtalle. Wenn (Fig. 34.) ABC zwei unter einem Winkel verbundene Spiegel oder zwei ſpiegelnde Seitenflaͤchen eines Cryſtalles ſind, ſo iſt es offen- bar, daß man durch eine Drehung des Cryſtalles die Seite BC in
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in einem ſchlecht polirten Metalle, in der Oberflaͤche polirten Hol-
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durch viele zerſtreut zuruͤckgeworfene Lichtſtrahlen ſichtbar wird, fin-
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eher geneigt, das geſpiegelte Bild naͤher hinter der Oberflaͤche zu
ſuchen; und etwas Aehnliches iſt der Fall, wenn wir in einem
unbelegten, alſo voͤllig durchſichtigen Glaſe die geſpiegelten Gegen-
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ſehen. Die optiſchen Regeln bleiben auch in dieſen Faͤllen dieſelben,
aber unſer Urtheil verliert an Sicherheit, weil wir zweierlei Gegen-
ſtaͤnde zugleich ſehen; wir werden dann geneigt, die Holzfaſern im
polirten Holze zur Bezeichnung der Stelle, wo der reflectirte Strahl
ausgeht, ins Auge zu faſſen, und je feſter wir das Auge in glei-
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ſchung, als erſchiene der geſpiegelte Gegenſtand in dieſer Oberflaͤche
ſelbſt, beſtaͤrken; und ungefaͤhr ebenſo iſt es, wenn wir durch das
ſpiegelnde Glas auf Gegenſtaͤnde jenſeits des Glaſes ſehen. Wollen
wir uns hier uͤberzeugen, daß die nach optiſchen Regeln beſtimmte
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(Fig. 33.) noͤthig, das Auge von O nach o zu verruͤcken, wo der
entferntere Gegenſtand A uns viel mehr, als der nahe Gegenſtand
B, fortzuruͤcken ſcheint, jener von D nach d, dieſer nur von E
nach e. Aehnliche Vergleichungen finden auch ſtatt, wenn man
den geſpiegelten Gegenſtand auf einen hinter dem Glaſe liegenden
Gegenſtand bezieht.
Der Cryſtallwinkelmeſſer.
Die ebnen Spiegel haben zu mehreren ebenſo merkwuͤrdigen,
als nuͤtzlichen Anwendungen bei Inſtrumenten gefuͤhrt. Zu dieſen
Inſtrumenten gehoͤrt der Winkelmeſſer fuͤr Cryſtalle. Wenn (Fig.
34.) ABC zwei unter einem Winkel verbundene Spiegel oder
zwei ſpiegelnde Seitenflaͤchen eines Cryſtalles ſind, ſo iſt es offen-
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/94>, abgerufen am 22.02.2025.
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