Daß auch bei diesen chemischen Einwirkungen sich Ungleich- heiten, die von der eigenthümlichen Natur der Körper abhängen, zeigen, läßt sich wohl erwarten; sie zeigen aber hier noch auffallen- dere Erfolge, als in den früher angeführten Erscheinungen. Wenn man Kalk in Salpetersäure aufgelöst hat, so ist eine gleichförmige ungetrübte Auflösung, die keinen Kalk mehr als unverändert ent- hält, entstanden. Setzt man aber dieser Auflösung Schwefelsäure zu, so fällt sogleich ein Niederschlag zu Boden, der im Wasser unauflöslich ist, und der sich ganz dem Gypse, der schwefelsauren Kalk-Erde gleich zeigt, die wir eben vorhin als aus der Auflösung des Kalkes in Schwefelsäure entstehend kennen lernten. Es zeigt sich also die Anziehungskraft der Schwefelsäure gegen Kalk-Erde mächtiger, als die der Salpetersäure gegen Kalk-Erde, und daher nimmt die Schwefelsäure die Kalktheilchen zu einer Verbindung mit sich auf, indem sie dieselben der Auflösung in Salpetersäure entreißt.
Man spricht daher von einer Verwandtschaft der Körper unter einander und von einer Wahlverwandtschaft, vermöge welcher hier die Kalk-Erde sich vorzugsweise, gleichsam aus Wahl, wegen näherer Verwandtschaft, der Schwefelsäure hingiebt, während sie die Salpetersäure verläßt. Eine ebensolche Wahlverwandtschaft, bei welcher die Schwefelsäure den Vorzug hat, zeigt sich schon bei der Auflösung der Kreide in Schwefelsäure. Kreide ist kohlensaure Kalk-Erde, das heißt, die Kalk-Erde ist hier schon mit einer Säure, die wir in Luftform, als kohlensaure Luft, kohlensaures Gas, kennen, verbunden; begießt man diese kohlensaure Kalk-Erde mit Schwefelsäure, so löst diese, vermöge ihrer stärkern Verwandt- schaft, die Kalk-Erde auf, befreiet aber dadurch die Kohlensäure von ihrer Verbindung mit der Kalk-Erde, und wir sehen diese in Luftform, in Blasen, unter starkem Aufschäumen entweichen. Ebenso geschieht es bei der Auflösung der Sode, des kohlensauern Natrum, in Salzsäure, und in unzähligen andern Fällen. Eine ganz ähnliche Erscheinung zeigt sich dann, wenn zwei Flüssigkeiten, deren eine einen festen Körper aufgelöst enthält, eine größere Ver- wandtschaft zu einander, als zu dem festen Körper haben. Wein- geist löset Harz auf, aber sobald man Wasser zu dieser Auflösung
II. C
Chemiſche Wahlverwandtſchaft.
Daß auch bei dieſen chemiſchen Einwirkungen ſich Ungleich- heiten, die von der eigenthuͤmlichen Natur der Koͤrper abhaͤngen, zeigen, laͤßt ſich wohl erwarten; ſie zeigen aber hier noch auffallen- dere Erfolge, als in den fruͤher angefuͤhrten Erſcheinungen. Wenn man Kalk in Salpeterſaͤure aufgeloͤſt hat, ſo iſt eine gleichfoͤrmige ungetruͤbte Aufloͤſung, die keinen Kalk mehr als unveraͤndert ent- haͤlt, entſtanden. Setzt man aber dieſer Aufloͤſung Schwefelſaͤure zu, ſo faͤllt ſogleich ein Niederſchlag zu Boden, der im Waſſer unaufloͤslich iſt, und der ſich ganz dem Gypſe, der ſchwefelſauren Kalk-Erde gleich zeigt, die wir eben vorhin als aus der Aufloͤſung des Kalkes in Schwefelſaͤure entſtehend kennen lernten. Es zeigt ſich alſo die Anziehungskraft der Schwefelſaͤure gegen Kalk-Erde maͤchtiger, als die der Salpeterſaͤure gegen Kalk-Erde, und daher nimmt die Schwefelſaͤure die Kalktheilchen zu einer Verbindung mit ſich auf, indem ſie dieſelben der Aufloͤſung in Salpeterſaͤure entreißt.
Man ſpricht daher von einer Verwandtſchaft der Koͤrper unter einander und von einer Wahlverwandtſchaft, vermoͤge welcher hier die Kalk-Erde ſich vorzugsweiſe, gleichſam aus Wahl, wegen naͤherer Verwandtſchaft, der Schwefelſaͤure hingiebt, waͤhrend ſie die Salpeterſaͤure verlaͤßt. Eine ebenſolche Wahlverwandtſchaft, bei welcher die Schwefelſaͤure den Vorzug hat, zeigt ſich ſchon bei der Aufloͤſung der Kreide in Schwefelſaͤure. Kreide iſt kohlenſaure Kalk-Erde, das heißt, die Kalk-Erde iſt hier ſchon mit einer Saͤure, die wir in Luftform, als kohlenſaure Luft, kohlenſaures Gas, kennen, verbunden; begießt man dieſe kohlenſaure Kalk-Erde mit Schwefelſaͤure, ſo loͤſt dieſe, vermoͤge ihrer ſtaͤrkern Verwandt- ſchaft, die Kalk-Erde auf, befreiet aber dadurch die Kohlenſaͤure von ihrer Verbindung mit der Kalk-Erde, und wir ſehen dieſe in Luftform, in Blaſen, unter ſtarkem Aufſchaͤumen entweichen. Ebenſo geſchieht es bei der Aufloͤſung der Sode, des kohlenſauern Natrum, in Salzſaͤure, und in unzaͤhligen andern Faͤllen. Eine ganz aͤhnliche Erſcheinung zeigt ſich dann, wenn zwei Fluͤſſigkeiten, deren eine einen feſten Koͤrper aufgeloͤſt enthaͤlt, eine groͤßere Ver- wandtſchaft zu einander, als zu dem feſten Koͤrper haben. Wein- geiſt loͤſet Harz auf, aber ſobald man Waſſer zu dieſer Aufloͤſung
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Chemiſche Wahlverwandtſchaft.
Daß auch bei dieſen chemiſchen Einwirkungen ſich Ungleich-
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zeigen, laͤßt ſich wohl erwarten; ſie zeigen aber hier noch auffallen-
dere Erfolge, als in den fruͤher angefuͤhrten Erſcheinungen. Wenn
man Kalk in Salpeterſaͤure aufgeloͤſt hat, ſo iſt eine gleichfoͤrmige
ungetruͤbte Aufloͤſung, die keinen Kalk mehr als unveraͤndert ent-
haͤlt, entſtanden. Setzt man aber dieſer Aufloͤſung Schwefelſaͤure
zu, ſo faͤllt ſogleich ein Niederſchlag zu Boden, der im Waſſer
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ſich alſo die Anziehungskraft der Schwefelſaͤure gegen Kalk-Erde
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nimmt die Schwefelſaͤure die Kalktheilchen zu einer Verbindung mit
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Man ſpricht daher von einer Verwandtſchaft der Koͤrper
unter einander und von einer Wahlverwandtſchaft, vermoͤge
welcher hier die Kalk-Erde ſich vorzugsweiſe, gleichſam aus Wahl,
wegen naͤherer Verwandtſchaft, der Schwefelſaͤure hingiebt, waͤhrend
ſie die Salpeterſaͤure verlaͤßt. Eine ebenſolche Wahlverwandtſchaft,
bei welcher die Schwefelſaͤure den Vorzug hat, zeigt ſich ſchon bei
der Aufloͤſung der Kreide in Schwefelſaͤure. Kreide iſt kohlenſaure
Kalk-Erde, das heißt, die Kalk-Erde iſt hier ſchon mit einer
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Gas, kennen, verbunden; begießt man dieſe kohlenſaure Kalk-Erde
mit Schwefelſaͤure, ſo loͤſt dieſe, vermoͤge ihrer ſtaͤrkern Verwandt-
ſchaft, die Kalk-Erde auf, befreiet aber dadurch die Kohlenſaͤure
von ihrer Verbindung mit der Kalk-Erde, und wir ſehen dieſe in
Luftform, in Blaſen, unter ſtarkem Aufſchaͤumen entweichen.
Ebenſo geſchieht es bei der Aufloͤſung der Sode, des kohlenſauern
Natrum, in Salzſaͤure, und in unzaͤhligen andern Faͤllen. Eine
ganz aͤhnliche Erſcheinung zeigt ſich dann, wenn zwei Fluͤſſigkeiten,
deren eine einen feſten Koͤrper aufgeloͤſt enthaͤlt, eine groͤßere Ver-
wandtſchaft zu einander, als zu dem feſten Koͤrper haben. Wein-
geiſt loͤſet Harz auf, aber ſobald man Waſſer zu dieſer Aufloͤſung
II. C
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/47>, abgerufen am 22.02.2025.
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