daß die obere Fläche die verminderte Concavität erhält, wobei das Gleichgewicht statt finden kann. Ein Quecksilbertropfen würde sich in einer Glasröhre hinaufziehen, wenn das untere Ende enger ist. Auf ähnliche Weise zieht sich zwischen zwei schief liegenden Glas- flächen, deren Zwischenraum in der obern Gegend enger ist, ein Wassertropfen hinaufwärts.
Erscheinungen, die mit der Anziehungskraft der Haar- röhrchen zusammenhängen.
Ehe ich die übrigen Erscheinungen erzähle, die von eben diesen anziehenden Kräften abhängen, muß ich Sie noch auf einige uns allen bekannte Phänomene aufmerksam machen, die mit den bisher betrachteten in unmittelbarer Verbindung stehen. Wir tauchen ein Stückchen Zucker in Wasser und sehen das Wasser in demselben sich hinaufziehen. Wir legen ein Streifchen Löschpapier über die Ränder zweier neben einander stehender Gläser, und sehen, wenn das eine nicht völlig mit Wasser gefüllt, das andere leer ist, daß nicht allein das Wasser sich in dem Löschpapier hinaufzieht, sondern sogar das Wasser in das andere Gefäß hinübergeführt wird. Wir sehen das heiße Oel im Dochte der Lampe hinaufsteigen. -- Dies alles ist die Wirkung der Haarröhrchenkraft, der Attraction, die alle diese Körper auf die flüssigen ausüben; ja man kann, wenn man sich zum Brennen einer in Glas leicht aufsteigenden Flüssigkeit bedient, statt des Dochtes gläserne Haarröhrchen anwenden. Wenn wir mit einem Tuche ein Glas austrocknen, so ist es diese Anziehungskraft, welche die Feuchtigkeit in die Zwischenräume des Leinens und ähn- licher Substanzen hineinbringt, durch welche wir das Austrocknen zu Stande bringen. Man hat das Emporsteigen des Saftes in den Pflanzen durch eben diese Kraft erklärt; und wenn man auch darin zu weit gegangen ist, indem dazu gewiß noch eine Lebens- thätigkeit mitwirkt, so ist doch wenigstens gewiß, daß auch die gewöhnliche Anziehungskraft nicht ganz ohne Einfluß dabei ist.
Als eine Merkwürdigkeit muß ich doch hier Vera's Wasser- maschine erwähnen, wo das Wasser durch die Befeuchtung von Stricken hinaufgezogen wird. Sie besteht (Fig. 10.) aus einem über zwei Rollen A, B, gehenden Seile ohne Ende; die um die untere Rolle B gehenden Theile des Seiles tauchen sich in Wasser
daß die obere Flaͤche die verminderte Concavitaͤt erhaͤlt, wobei das Gleichgewicht ſtatt finden kann. Ein Queckſilbertropfen wuͤrde ſich in einer Glasroͤhre hinaufziehen, wenn das untere Ende enger iſt. Auf aͤhnliche Weiſe zieht ſich zwiſchen zwei ſchief liegenden Glas- flaͤchen, deren Zwiſchenraum in der obern Gegend enger iſt, ein Waſſertropfen hinaufwaͤrts.
Erſcheinungen, die mit der Anziehungskraft der Haar- roͤhrchen zuſammenhaͤngen.
Ehe ich die uͤbrigen Erſcheinungen erzaͤhle, die von eben dieſen anziehenden Kraͤften abhaͤngen, muß ich Sie noch auf einige uns allen bekannte Phaͤnomene aufmerkſam machen, die mit den bisher betrachteten in unmittelbarer Verbindung ſtehen. Wir tauchen ein Stuͤckchen Zucker in Waſſer und ſehen das Waſſer in demſelben ſich hinaufziehen. Wir legen ein Streifchen Loͤſchpapier uͤber die Raͤnder zweier neben einander ſtehender Glaͤſer, und ſehen, wenn das eine nicht voͤllig mit Waſſer gefuͤllt, das andere leer iſt, daß nicht allein das Waſſer ſich in dem Loͤſchpapier hinaufzieht, ſondern ſogar das Waſſer in das andere Gefaͤß hinuͤbergefuͤhrt wird. Wir ſehen das heiße Oel im Dochte der Lampe hinaufſteigen. — Dies alles iſt die Wirkung der Haarroͤhrchenkraft, der Attraction, die alle dieſe Koͤrper auf die fluͤſſigen ausuͤben; ja man kann, wenn man ſich zum Brennen einer in Glas leicht aufſteigenden Fluͤſſigkeit bedient, ſtatt des Dochtes glaͤſerne Haarroͤhrchen anwenden. Wenn wir mit einem Tuche ein Glas austrocknen, ſo iſt es dieſe Anziehungskraft, welche die Feuchtigkeit in die Zwiſchenraͤume des Leinens und aͤhn- licher Subſtanzen hineinbringt, durch welche wir das Austrocknen zu Stande bringen. Man hat das Emporſteigen des Saftes in den Pflanzen durch eben dieſe Kraft erklaͤrt; und wenn man auch darin zu weit gegangen iſt, indem dazu gewiß noch eine Lebens- thaͤtigkeit mitwirkt, ſo iſt doch wenigſtens gewiß, daß auch die gewoͤhnliche Anziehungskraft nicht ganz ohne Einfluß dabei iſt.
Als eine Merkwuͤrdigkeit muß ich doch hier Vera's Waſſer- maſchine erwaͤhnen, wo das Waſſer durch die Befeuchtung von Stricken hinaufgezogen wird. Sie beſteht (Fig. 10.) aus einem uͤber zwei Rollen A, B, gehenden Seile ohne Ende; die um die untere Rolle B gehenden Theile des Seiles tauchen ſich in Waſſer
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daß die obere Flaͤche die verminderte Concavitaͤt erhaͤlt, wobei das
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Auf aͤhnliche Weiſe zieht ſich zwiſchen zwei ſchief liegenden Glas-
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Waſſertropfen hinaufwaͤrts.
Erſcheinungen, die mit der Anziehungskraft der Haar-
roͤhrchen zuſammenhaͤngen.
Ehe ich die uͤbrigen Erſcheinungen erzaͤhle, die von eben dieſen
anziehenden Kraͤften abhaͤngen, muß ich Sie noch auf einige uns
allen bekannte Phaͤnomene aufmerkſam machen, die mit den bisher
betrachteten in unmittelbarer Verbindung ſtehen. Wir tauchen ein
Stuͤckchen Zucker in Waſſer und ſehen das Waſſer in demſelben
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Raͤnder zweier neben einander ſtehender Glaͤſer, und ſehen, wenn
das eine nicht voͤllig mit Waſſer gefuͤllt, das andere leer iſt, daß
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ſogar das Waſſer in das andere Gefaͤß hinuͤbergefuͤhrt wird. Wir
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zum Brennen einer in Glas leicht aufſteigenden Fluͤſſigkeit bedient,
ſtatt des Dochtes glaͤſerne Haarroͤhrchen anwenden. Wenn wir mit
einem Tuche ein Glas austrocknen, ſo iſt es dieſe Anziehungskraft,
welche die Feuchtigkeit in die Zwiſchenraͤume des Leinens und aͤhn-
licher Subſtanzen hineinbringt, durch welche wir das Austrocknen
zu Stande bringen. Man hat das Emporſteigen des Saftes in
den Pflanzen durch eben dieſe Kraft erklaͤrt; und wenn man auch
darin zu weit gegangen iſt, indem dazu gewiß noch eine Lebens-
thaͤtigkeit mitwirkt, ſo iſt doch wenigſtens gewiß, daß auch die
gewoͤhnliche Anziehungskraft nicht ganz ohne Einfluß dabei iſt.
Als eine Merkwuͤrdigkeit muß ich doch hier Vera's Waſſer-
maſchine erwaͤhnen, wo das Waſſer durch die Befeuchtung von
Stricken hinaufgezogen wird. Sie beſteht (Fig. 10.) aus einem
uͤber zwei Rollen A, B, gehenden Seile ohne Ende; die um die
untere Rolle B gehenden Theile des Seiles tauchen ſich in Waſſer
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/28>, abgerufen am 22.02.2025.
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