Die Ueberzeugung, daß die Schwerkraft eine gleichförmig be- schleunigende Kraft sei, führt nun zu einer Menge von Anwen- dungen, die freilich durch den Widerstand der Luft sehr beträchtliche Beschränkungen erleiden, aber darum doch nicht weniger merkwür- dig sind. Wenn ein Körper vertical aufwärts geworfen wird, so raubt die Schwerkraft ihm in jeder Secunde ebensoviel Geschwin- digkeit, als er bei freiem Falle erlangen würde. Hatte er also beim Wurfe aufwärts, in genau verticaler Richtung, eine Geschwindig- keit von 30 Fuß, so steigt er nur 1 Sec. lang und also nur 15 Fuß hoch; hatte er 60 Fuß Geschwindigkeit, so nimmt diese in 1 Sec. auf 30 Fuß ab, und sein Weg in der ersten Secunde ist der mittlern Geschwindigkeit zwischen 60 und 30 gleich, = 45 Fuß, in der zweiten Sec. verliert er alle Geschwindigkeit und steigt nur noch 15 Fuß, überhaupt also 60 Fuß, ebenso hoch, als er fallen muß, um 60 Fuß Geschwindigkeit zu erlangen. Werfe ich also einen Körper bis zu 100 Fuß Höhe, so muß ich ihm ungefehr eine Geschwindigkeit von 77 Fuß ertheilt haben, denn in 21/2 Sec. verliert er 75 Fuß Geschwindigkeit und steigt 94 Fuß. -- Wegen des Widerstandes der Luft fordert ein so hohes Steigen sogar noch etwas mehr anfängliche Geschwindigkeit. Wen- det man diese Regeln auf unser Schießgewehr an, so ergiebt sich, daß dieses die Kugeln bei verticaler Richtung bis zu sehr großen Höhen führen müßte, aber ich werde künftig zeigen, wie sehr der Widerstand der Luft diese Höhen vermindert. Wäre dieser Widerstand nicht vorhanden, so würde eine mit 1500 Fuß an- fänglicher Geschwindigkeit aufwärts geschossene Kugel 50 Sec. lang steigen, weil die Schwere in jeder Secunde nur 30 Fuß Geschwindigkeit raubt; sie hätte dann am Anfang der 1. Sec. 1500 Fuß, am Ende der 1. Sec. 1470 Fuß Geschwindigkeit und durchliefe in der ersten Secunde 1485 Fuß; sie hätte am Anfang der zweiten Sec. 1470 Fuß am Ende der zweiten Sec. 1440 Fuß Geschwindigkeit und durchliefe in dieser Secunde 1455 Fuß; in der dritten Sec. Anfangsgeschwindigkeit = 1440; End- geschwindigkeit = 1410, durchlaufener Weg 1425 Fuß, also in 3 Sec. 4365 Fuß, und wenn man so durch 50 Sec. fortrech-
Bewegung geworfener ſchwerer Koͤrper.
Die Ueberzeugung, daß die Schwerkraft eine gleichfoͤrmig be- ſchleunigende Kraft ſei, fuͤhrt nun zu einer Menge von Anwen- dungen, die freilich durch den Widerſtand der Luft ſehr betraͤchtliche Beſchraͤnkungen erleiden, aber darum doch nicht weniger merkwuͤr- dig ſind. Wenn ein Koͤrper vertical aufwaͤrts geworfen wird, ſo raubt die Schwerkraft ihm in jeder Secunde ebenſoviel Geſchwin- digkeit, als er bei freiem Falle erlangen wuͤrde. Hatte er alſo beim Wurfe aufwaͤrts, in genau verticaler Richtung, eine Geſchwindig- keit von 30 Fuß, ſo ſteigt er nur 1 Sec. lang und alſo nur 15 Fuß hoch; hatte er 60 Fuß Geſchwindigkeit, ſo nimmt dieſe in 1 Sec. auf 30 Fuß ab, und ſein Weg in der erſten Secunde iſt der mittlern Geſchwindigkeit zwiſchen 60 und 30 gleich, = 45 Fuß, in der zweiten Sec. verliert er alle Geſchwindigkeit und ſteigt nur noch 15 Fuß, uͤberhaupt alſo 60 Fuß, ebenſo hoch, als er fallen muß, um 60 Fuß Geſchwindigkeit zu erlangen. Werfe ich alſo einen Koͤrper bis zu 100 Fuß Hoͤhe, ſo muß ich ihm ungefehr eine Geſchwindigkeit von 77 Fuß ertheilt haben, denn in 2½ Sec. verliert er 75 Fuß Geſchwindigkeit und ſteigt 94 Fuß. — Wegen des Widerſtandes der Luft fordert ein ſo hohes Steigen ſogar noch etwas mehr anfaͤngliche Geſchwindigkeit. Wen- det man dieſe Regeln auf unſer Schießgewehr an, ſo ergiebt ſich, daß dieſes die Kugeln bei verticaler Richtung bis zu ſehr großen Hoͤhen fuͤhren muͤßte, aber ich werde kuͤnftig zeigen, wie ſehr der Widerſtand der Luft dieſe Hoͤhen vermindert. Waͤre dieſer Widerſtand nicht vorhanden, ſo wuͤrde eine mit 1500 Fuß an- faͤnglicher Geſchwindigkeit aufwaͤrts geſchoſſene Kugel 50 Sec. lang ſteigen, weil die Schwere in jeder Secunde nur 30 Fuß Geſchwindigkeit raubt; ſie haͤtte dann am Anfang der 1. Sec. 1500 Fuß, am Ende der 1. Sec. 1470 Fuß Geſchwindigkeit und durchliefe in der erſten Secunde 1485 Fuß; ſie haͤtte am Anfang der zweiten Sec. 1470 Fuß am Ende der zweiten Sec. 1440 Fuß Geſchwindigkeit und durchliefe in dieſer Secunde 1455 Fuß; in der dritten Sec. Anfangsgeſchwindigkeit = 1440; End- geſchwindigkeit = 1410, durchlaufener Weg 1425 Fuß, alſo in 3 Sec. 4365 Fuß, und wenn man ſo durch 50 Sec. fortrech-
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Bewegung geworfener ſchwerer Koͤrper.
Die Ueberzeugung, daß die Schwerkraft eine gleichfoͤrmig be-
ſchleunigende Kraft ſei, fuͤhrt nun zu einer Menge von Anwen-
dungen, die freilich durch den Widerſtand der Luft ſehr betraͤchtliche
Beſchraͤnkungen erleiden, aber darum doch nicht weniger merkwuͤr-
dig ſind. Wenn ein Koͤrper vertical aufwaͤrts geworfen wird, ſo
raubt die Schwerkraft ihm in jeder Secunde ebenſoviel Geſchwin-
digkeit, als er bei freiem Falle erlangen wuͤrde. Hatte er alſo beim
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Sec. auf 30 Fuß ab, und ſein Weg in der erſten Secunde iſt der
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ich alſo einen Koͤrper bis zu 100 Fuß Hoͤhe, ſo muß ich ihm
ungefehr eine Geſchwindigkeit von 77 Fuß ertheilt haben, denn
in 2½ Sec. verliert er 75 Fuß Geſchwindigkeit und ſteigt 94
Fuß. — Wegen des Widerſtandes der Luft fordert ein ſo hohes
Steigen ſogar noch etwas mehr anfaͤngliche Geſchwindigkeit. Wen-
det man dieſe Regeln auf unſer Schießgewehr an, ſo ergiebt ſich,
daß dieſes die Kugeln bei verticaler Richtung bis zu ſehr großen
Hoͤhen fuͤhren muͤßte, aber ich werde kuͤnftig zeigen, wie ſehr
der Widerſtand der Luft dieſe Hoͤhen vermindert. Waͤre dieſer
Widerſtand nicht vorhanden, ſo wuͤrde eine mit 1500 Fuß an-
faͤnglicher Geſchwindigkeit aufwaͤrts geſchoſſene Kugel 50 Sec.
lang ſteigen, weil die Schwere in jeder Secunde nur 30 Fuß
Geſchwindigkeit raubt; ſie haͤtte dann am Anfang der 1. Sec.
1500 Fuß, am Ende der 1. Sec. 1470 Fuß Geſchwindigkeit
und durchliefe in der erſten Secunde 1485 Fuß; ſie haͤtte am
Anfang der zweiten Sec. 1470 Fuß am Ende der zweiten Sec.
1440 Fuß Geſchwindigkeit und durchliefe in dieſer Secunde 1455
Fuß; in der dritten Sec. Anfangsgeſchwindigkeit = 1440; End-
geſchwindigkeit = 1410, durchlaufener Weg 1425 Fuß, alſo in
3 Sec. 4365 Fuß, und wenn man ſo durch 50 Sec. fortrech-
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/97>, abgerufen am 21.11.2024.
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