Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Cylinder (Fig. 43.) AB an seiner einen Seite A mit Blei be-
schwert ist und beim Auflegen auf eine schiefe Ebne diese Seite den
obern Platz einnimmt, so sinkt der Schwerpunct, der etwa in C
liegt, herab, dabei aber wälzt der ganze Cylinder sich an der Ebne hin-
aufwärts, und hierin besteht das Auffallende der Erscheinung. --
Der Doppelkegel (Fig. 44.) ABCD besteht aus zwei gleichen, mit
ihren Grundflächen in CD zusammen gefügten Kegeln. Legt man
ihn auf zwei geneigte, gegen EF zu näher an einanderstehende Un-
terlagen, die in E und F ihre tiefsten Puncte haben, so wälzt er sich
nach GH zu, obgleich diese Puncte die höhern der geneigten Ebnen
sind; da nämlich dort der Zwischenraum weiter ist, so senkt sich sein
dickerer Theil zwischen die Unterlagen hinab und der Schwerpunct
sinkt, obgleich die Axe des Körpers sich hinauf wälzt, und es daher
so aussieht, als steige der ganze Körper.

Die Waage.

Als eine Anwendung dieser Lehre muß ich noch die Einrichtung
unsrer gewöhnlichen Waage erklären, deren Eigenschaft, einen grö-
ßern oder kleinern Ausschlag zu geben, auf der Lage des Schwer-
punctes beruht. Wir sind gewohnt beim Hebel die eigne Schwere
des Hebels nicht zu berücksichtigen, und dürfen dies in den meisten
Fällen um so eher, da gewöhnlich die am Hebel wirkenden Kräfte
sehr viel größer sind, als das Gewicht des Hebels selbst; aber bei
der Waage kömmt dieses dennoch sehr in Betrachtung. Unsre ge-
wöhnliche Waage ist ein gleicharmiger Hebel und ihre Richtigkeit
wird daran erkannt, daß man die zum Gleichgewichte erforderlichen
Gewichte vertauscht, indem bei einiger Ungleichheit der Arme das
zum Gleichgewicht am längeren Arme erforderliche Gewicht etwas
kleiner, als das am kürzern ist, bei der Verwechselung also das Gleich-
gewicht nicht mehr bestehen könnte. Wäre nun die Waage in dem
Schwerpuncte des Wagebalkens unterstützt, so würde das geringste
Uebergewicht an einer Seite ein völliges Heruntersinken dieser Seite
zur Folge haben, und das, was wir den Ausschlag der Waage nen-
nen, nämlich ein, nach Maaßgabe des Uebergewichtes geringeres
oder stärkeres Abweichen von der Gleichgewichtslage, fände gar
nicht statt. Da es nun höchst unbequem wäre, wenn nur bei ge-
nauem Gleichgewichte die Waage ihren regelmäßigen Stand be-

Cylinder (Fig. 43.) AB an ſeiner einen Seite A mit Blei be-
ſchwert iſt und beim Auflegen auf eine ſchiefe Ebne dieſe Seite den
obern Platz einnimmt, ſo ſinkt der Schwerpunct, der etwa in C
liegt, herab, dabei aber waͤlzt der ganze Cylinder ſich an der Ebne hin-
aufwaͤrts, und hierin beſteht das Auffallende der Erſcheinung. —
Der Doppelkegel (Fig. 44.) ABCD beſteht aus zwei gleichen, mit
ihren Grundflaͤchen in CD zuſammen gefuͤgten Kegeln. Legt man
ihn auf zwei geneigte, gegen EF zu naͤher an einanderſtehende Un-
terlagen, die in E und F ihre tiefſten Puncte haben, ſo waͤlzt er ſich
nach GH zu, obgleich dieſe Puncte die hoͤhern der geneigten Ebnen
ſind; da naͤmlich dort der Zwiſchenraum weiter iſt, ſo ſenkt ſich ſein
dickerer Theil zwiſchen die Unterlagen hinab und der Schwerpunct
ſinkt, obgleich die Axe des Koͤrpers ſich hinauf waͤlzt, und es daher
ſo ausſieht, als ſteige der ganze Koͤrper.

Die Waage.

Als eine Anwendung dieſer Lehre muß ich noch die Einrichtung
unſrer gewoͤhnlichen Waage erklaͤren, deren Eigenſchaft, einen groͤ-
ßern oder kleinern Ausſchlag zu geben, auf der Lage des Schwer-
punctes beruht. Wir ſind gewohnt beim Hebel die eigne Schwere
des Hebels nicht zu beruͤckſichtigen, und duͤrfen dies in den meiſten
Faͤllen um ſo eher, da gewoͤhnlich die am Hebel wirkenden Kraͤfte
ſehr viel groͤßer ſind, als das Gewicht des Hebels ſelbſt; aber bei
der Waage koͤmmt dieſes dennoch ſehr in Betrachtung. Unſre ge-
woͤhnliche Waage iſt ein gleicharmiger Hebel und ihre Richtigkeit
wird daran erkannt, daß man die zum Gleichgewichte erforderlichen
Gewichte vertauſcht, indem bei einiger Ungleichheit der Arme das
zum Gleichgewicht am laͤngeren Arme erforderliche Gewicht etwas
kleiner, als das am kuͤrzern iſt, bei der Verwechſelung alſo das Gleich-
gewicht nicht mehr beſtehen koͤnnte. Waͤre nun die Waage in dem
Schwerpuncte des Wagebalkens unterſtuͤtzt, ſo wuͤrde das geringſte
Uebergewicht an einer Seite ein voͤlliges Herunterſinken dieſer Seite
zur Folge haben, und das, was wir den Ausſchlag der Waage nen-
nen, naͤmlich ein, nach Maaßgabe des Uebergewichtes geringeres
oder ſtaͤrkeres Abweichen von der Gleichgewichtslage, faͤnde gar
nicht ſtatt. Da es nun hoͤchſt unbequem waͤre, wenn nur bei ge-
nauem Gleichgewichte die Waage ihren regelmaͤßigen Stand be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="66"/>
Cylinder (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">Fig. 43.</hi></hi>) <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">AB</hi></hi> an &#x017F;einer einen Seite <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">A</hi></hi> mit Blei be-<lb/>
&#x017F;chwert i&#x017F;t und beim Auflegen auf eine &#x017F;chiefe Ebne die&#x017F;e Seite den<lb/>
obern Platz einnimmt, &#x017F;o &#x017F;inkt der Schwerpunct, der etwa in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">C</hi></hi><lb/>
liegt, herab, dabei aber wa&#x0364;lzt der ganze Cylinder &#x017F;ich an der Ebne hin-<lb/>
aufwa&#x0364;rts, und hierin be&#x017F;teht das Auffallende der Er&#x017F;cheinung. &#x2014;<lb/>
Der Doppelkegel (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">Fig. 44.</hi></hi>) <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">ABCD</hi></hi> be&#x017F;teht aus zwei gleichen, mit<lb/>
ihren Grundfla&#x0364;chen in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">CD</hi></hi> zu&#x017F;ammen gefu&#x0364;gten Kegeln. Legt man<lb/>
ihn auf zwei geneigte, gegen <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">EF</hi></hi> zu na&#x0364;her an einander&#x017F;tehende Un-<lb/>
terlagen, die in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">E</hi></hi> und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">F</hi></hi> ihre tief&#x017F;ten Puncte haben, &#x017F;o wa&#x0364;lzt er &#x017F;ich<lb/>
nach <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">GH</hi></hi> zu, obgleich die&#x017F;e Puncte die ho&#x0364;hern der geneigten Ebnen<lb/>
&#x017F;ind; da na&#x0364;mlich dort der Zwi&#x017F;chenraum weiter i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;enkt &#x017F;ich &#x017F;ein<lb/>
dickerer Theil zwi&#x017F;chen die Unterlagen hinab und der Schwerpunct<lb/>
&#x017F;inkt, obgleich die Axe des Ko&#x0364;rpers &#x017F;ich hinauf wa&#x0364;lzt, und es daher<lb/>
&#x017F;o aus&#x017F;ieht, als &#x017F;teige der ganze Ko&#x0364;rper.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Die Waage</hi>.</head><lb/>
          <p>Als eine Anwendung die&#x017F;er Lehre muß ich noch die Einrichtung<lb/>
un&#x017F;rer gewo&#x0364;hnlichen Waage erkla&#x0364;ren, deren Eigen&#x017F;chaft, einen gro&#x0364;-<lb/>
ßern oder kleinern Aus&#x017F;chlag zu geben, auf der Lage des Schwer-<lb/>
punctes beruht. Wir &#x017F;ind gewohnt beim Hebel die eigne Schwere<lb/>
des Hebels nicht zu beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigen, und du&#x0364;rfen dies in den mei&#x017F;ten<lb/>
Fa&#x0364;llen um &#x017F;o eher, da gewo&#x0364;hnlich die am Hebel wirkenden Kra&#x0364;fte<lb/>
&#x017F;ehr viel gro&#x0364;ßer &#x017F;ind, als das Gewicht des Hebels &#x017F;elb&#x017F;t; aber bei<lb/>
der Waage ko&#x0364;mmt die&#x017F;es dennoch &#x017F;ehr in Betrachtung. Un&#x017F;re ge-<lb/>
wo&#x0364;hnliche Waage i&#x017F;t ein gleicharmiger Hebel und ihre Richtigkeit<lb/>
wird daran erkannt, daß man die zum Gleichgewichte erforderlichen<lb/>
Gewichte vertau&#x017F;cht, indem bei einiger Ungleichheit der Arme das<lb/>
zum Gleichgewicht am la&#x0364;ngeren Arme erforderliche Gewicht etwas<lb/>
kleiner, als das am ku&#x0364;rzern i&#x017F;t, bei der Verwech&#x017F;elung al&#x017F;o das Gleich-<lb/>
gewicht nicht mehr be&#x017F;tehen ko&#x0364;nnte. Wa&#x0364;re nun die Waage in dem<lb/>
Schwerpuncte des Wagebalkens unter&#x017F;tu&#x0364;tzt, &#x017F;o wu&#x0364;rde das gering&#x017F;te<lb/>
Uebergewicht an einer Seite ein vo&#x0364;lliges Herunter&#x017F;inken die&#x017F;er Seite<lb/>
zur Folge haben, und das, was wir den Aus&#x017F;chlag der Waage nen-<lb/>
nen, na&#x0364;mlich ein, nach Maaßgabe des Uebergewichtes geringeres<lb/>
oder &#x017F;ta&#x0364;rkeres Abweichen von der Gleichgewichtslage, fa&#x0364;nde gar<lb/>
nicht &#x017F;tatt. Da es nun ho&#x0364;ch&#x017F;t unbequem wa&#x0364;re, wenn nur bei ge-<lb/>
nauem Gleichgewichte die Waage ihren regelma&#x0364;ßigen Stand be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0088] Cylinder (Fig. 43.) AB an ſeiner einen Seite A mit Blei be- ſchwert iſt und beim Auflegen auf eine ſchiefe Ebne dieſe Seite den obern Platz einnimmt, ſo ſinkt der Schwerpunct, der etwa in C liegt, herab, dabei aber waͤlzt der ganze Cylinder ſich an der Ebne hin- aufwaͤrts, und hierin beſteht das Auffallende der Erſcheinung. — Der Doppelkegel (Fig. 44.) ABCD beſteht aus zwei gleichen, mit ihren Grundflaͤchen in CD zuſammen gefuͤgten Kegeln. Legt man ihn auf zwei geneigte, gegen EF zu naͤher an einanderſtehende Un- terlagen, die in E und F ihre tiefſten Puncte haben, ſo waͤlzt er ſich nach GH zu, obgleich dieſe Puncte die hoͤhern der geneigten Ebnen ſind; da naͤmlich dort der Zwiſchenraum weiter iſt, ſo ſenkt ſich ſein dickerer Theil zwiſchen die Unterlagen hinab und der Schwerpunct ſinkt, obgleich die Axe des Koͤrpers ſich hinauf waͤlzt, und es daher ſo ausſieht, als ſteige der ganze Koͤrper. Die Waage. Als eine Anwendung dieſer Lehre muß ich noch die Einrichtung unſrer gewoͤhnlichen Waage erklaͤren, deren Eigenſchaft, einen groͤ- ßern oder kleinern Ausſchlag zu geben, auf der Lage des Schwer- punctes beruht. Wir ſind gewohnt beim Hebel die eigne Schwere des Hebels nicht zu beruͤckſichtigen, und duͤrfen dies in den meiſten Faͤllen um ſo eher, da gewoͤhnlich die am Hebel wirkenden Kraͤfte ſehr viel groͤßer ſind, als das Gewicht des Hebels ſelbſt; aber bei der Waage koͤmmt dieſes dennoch ſehr in Betrachtung. Unſre ge- woͤhnliche Waage iſt ein gleicharmiger Hebel und ihre Richtigkeit wird daran erkannt, daß man die zum Gleichgewichte erforderlichen Gewichte vertauſcht, indem bei einiger Ungleichheit der Arme das zum Gleichgewicht am laͤngeren Arme erforderliche Gewicht etwas kleiner, als das am kuͤrzern iſt, bei der Verwechſelung alſo das Gleich- gewicht nicht mehr beſtehen koͤnnte. Waͤre nun die Waage in dem Schwerpuncte des Wagebalkens unterſtuͤtzt, ſo wuͤrde das geringſte Uebergewicht an einer Seite ein voͤlliges Herunterſinken dieſer Seite zur Folge haben, und das, was wir den Ausſchlag der Waage nen- nen, naͤmlich ein, nach Maaßgabe des Uebergewichtes geringeres oder ſtaͤrkeres Abweichen von der Gleichgewichtslage, faͤnde gar nicht ſtatt. Da es nun hoͤchſt unbequem waͤre, wenn nur bei ge- nauem Gleichgewichte die Waage ihren regelmaͤßigen Stand be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/88
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/88>, abgerufen am 03.12.2024.