brauchen darf), aus dem Fenster unsers Schiffes hinaus auf Ge- genstände hinblicken, die nicht in Verbindung mit der Erde stehen, und da sehen wir sogleich, daß Sonne und Gestirne eine scheinbare Bewegung darbieten, eine Bewegung, die uns zu der Frage auf- fordert, ob dies etwa ebensolche feststehende Gegenstände sind, wie es vorhin die Häuser und Bäume am Ufer waren, deren scheinbare Bewegung durch unsre eigne wahre Bewegung hervorgebracht wird. Und da wir wahrnehmen, daß alle Gestirne, alle nicht mit un- serm Schiffe, mit der Erde nämlich, verbundenen Gegenstände jene Bewegung zeigen, so werden wir zu der Ueberzeugung geleitet, daß es nur die Erde ist, welche sich bewegt, welche, vermöge ihrer täg- lichen Umwälzung oder Rotation, bald ihre eine, bald ihre andre Seite der Sonne darbietend, uns die Sonne aufgehend und unter- gehend zeigt, und welche, vermöge ihres Umlaufs um die Sonne in einem ganzen Jahre, uns einen scheinbaren Lauf der Sonne durch die Gestirne des Thierkreises wahrnehmen läßt.
Ich verweile bei diesen Gegenständen, deren ausführliche Be- trachtung in die Astronomie gehört, nicht länger, da es hier hin- reicht, eine kurze Andeutung der Schlüsse zu geben, die auf eine genaue Darstellung der einzelnen Erscheinungen gestützt, jene Ueber- zeugung von der wahren Bewegung der Erde sicher gewähren. Wissen wir aber, daß die Erde sich bewegt, so erhellt die große Schwierigkeit der Bestimmung, ob ein Körper wahrhaft ruhe, da seine scheinbare Ruhe in Vergleichung gegen die Erde gar keine Ent- scheidung hierüber gewährt. Indeß, wenn auch diese Entscheidung im einzelnen Falle schwer, ja fast unmöglich sein mag, so bleibt doch der Begriff einer absoluten Ruhe, als eines wahrhaften Verharrens in demselben Orte des Raumes, nicht minder klar, und die absolute Bewegung besteht also in einer wahren Aenderung der Lage.
Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung.
Um die Betrachtung zu vereinfachen, wollen wir uns die Be- wegung eines einzigen Punctes denken. Der Weg, den dieser durchläuft, ist eine grade oder krumme Linie, und wir sagen, der Punct gehe in immer gleicher Richtung fort, wenn er eine grade Linie beschreibt, und daß er hingegen seine Richtung ändre, wenn er entweder plötzlich auf einer andern graden Linie fortzugehen an-
brauchen darf), aus dem Fenſter unſers Schiffes hinaus auf Ge- genſtaͤnde hinblicken, die nicht in Verbindung mit der Erde ſtehen, und da ſehen wir ſogleich, daß Sonne und Geſtirne eine ſcheinbare Bewegung darbieten, eine Bewegung, die uns zu der Frage auf- fordert, ob dies etwa ebenſolche feſtſtehende Gegenſtaͤnde ſind, wie es vorhin die Haͤuſer und Baͤume am Ufer waren, deren ſcheinbare Bewegung durch unſre eigne wahre Bewegung hervorgebracht wird. Und da wir wahrnehmen, daß alle Geſtirne, alle nicht mit un- ſerm Schiffe, mit der Erde naͤmlich, verbundenen Gegenſtaͤnde jene Bewegung zeigen, ſo werden wir zu der Ueberzeugung geleitet, daß es nur die Erde iſt, welche ſich bewegt, welche, vermoͤge ihrer taͤg- lichen Umwaͤlzung oder Rotation, bald ihre eine, bald ihre andre Seite der Sonne darbietend, uns die Sonne aufgehend und unter- gehend zeigt, und welche, vermoͤge ihres Umlaufs um die Sonne in einem ganzen Jahre, uns einen ſcheinbaren Lauf der Sonne durch die Geſtirne des Thierkreiſes wahrnehmen laͤßt.
Ich verweile bei dieſen Gegenſtaͤnden, deren ausfuͤhrliche Be- trachtung in die Aſtronomie gehoͤrt, nicht laͤnger, da es hier hin- reicht, eine kurze Andeutung der Schluͤſſe zu geben, die auf eine genaue Darſtellung der einzelnen Erſcheinungen geſtuͤtzt, jene Ueber- zeugung von der wahren Bewegung der Erde ſicher gewaͤhren. Wiſſen wir aber, daß die Erde ſich bewegt, ſo erhellt die große Schwierigkeit der Beſtimmung, ob ein Koͤrper wahrhaft ruhe, da ſeine ſcheinbare Ruhe in Vergleichung gegen die Erde gar keine Ent- ſcheidung hieruͤber gewaͤhrt. Indeß, wenn auch dieſe Entſcheidung im einzelnen Falle ſchwer, ja faſt unmoͤglich ſein mag, ſo bleibt doch der Begriff einer abſoluten Ruhe, als eines wahrhaften Verharrens in demſelben Orte des Raumes, nicht minder klar, und die abſolute Bewegung beſteht alſo in einer wahren Aenderung der Lage.
Richtung und Geſchwindigkeit der Bewegung.
Um die Betrachtung zu vereinfachen, wollen wir uns die Be- wegung eines einzigen Punctes denken. Der Weg, den dieſer durchlaͤuft, iſt eine grade oder krumme Linie, und wir ſagen, der Punct gehe in immer gleicher Richtung fort, wenn er eine grade Linie beſchreibt, und daß er hingegen ſeine Richtung aͤndre, wenn er entweder ploͤtzlich auf einer andern graden Linie fortzugehen an-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0049"n="27"/>
brauchen darf), aus dem Fenſter unſers Schiffes hinaus auf Ge-<lb/>
genſtaͤnde hinblicken, die nicht in Verbindung mit der Erde ſtehen,<lb/>
und da ſehen wir ſogleich, daß Sonne und Geſtirne eine ſcheinbare<lb/>
Bewegung darbieten, eine Bewegung, die uns zu der Frage auf-<lb/>
fordert, ob dies etwa ebenſolche feſtſtehende Gegenſtaͤnde ſind, wie<lb/>
es vorhin die Haͤuſer und Baͤume am Ufer waren, deren ſcheinbare<lb/>
Bewegung durch unſre eigne wahre Bewegung hervorgebracht wird.<lb/>
Und da wir wahrnehmen, daß <hirendition="#g">alle</hi> Geſtirne, <hirendition="#g">alle</hi> nicht mit un-<lb/>ſerm Schiffe, mit der Erde naͤmlich, verbundenen Gegenſtaͤnde jene<lb/>
Bewegung zeigen, ſo werden wir zu der Ueberzeugung geleitet, daß<lb/>
es nur die Erde iſt, welche ſich bewegt, welche, vermoͤge ihrer taͤg-<lb/>
lichen Umwaͤlzung oder Rotation, bald ihre eine, bald ihre andre<lb/>
Seite der Sonne darbietend, uns die Sonne aufgehend und unter-<lb/>
gehend zeigt, und welche, vermoͤge ihres Umlaufs um die Sonne<lb/>
in einem ganzen Jahre, uns einen ſcheinbaren Lauf der Sonne<lb/>
durch die Geſtirne des Thierkreiſes wahrnehmen laͤßt.</p><lb/><p>Ich verweile bei dieſen Gegenſtaͤnden, deren ausfuͤhrliche Be-<lb/>
trachtung in die Aſtronomie gehoͤrt, nicht laͤnger, da es hier hin-<lb/>
reicht, eine kurze Andeutung der Schluͤſſe zu geben, die auf eine<lb/>
genaue Darſtellung der einzelnen Erſcheinungen geſtuͤtzt, jene Ueber-<lb/>
zeugung von der wahren Bewegung der Erde ſicher gewaͤhren.<lb/>
Wiſſen wir aber, daß die Erde ſich bewegt, ſo erhellt die große<lb/>
Schwierigkeit der Beſtimmung, ob ein Koͤrper wahrhaft ruhe, da<lb/>ſeine ſcheinbare Ruhe in Vergleichung gegen die Erde gar keine Ent-<lb/>ſcheidung hieruͤber gewaͤhrt. Indeß, wenn auch dieſe Entſcheidung<lb/>
im einzelnen Falle ſchwer, ja faſt unmoͤglich ſein mag, ſo bleibt doch<lb/>
der Begriff einer abſoluten Ruhe, als eines wahrhaften Verharrens<lb/>
in demſelben Orte des Raumes, nicht minder klar, und die abſolute<lb/>
Bewegung beſteht alſo in einer wahren Aenderung der Lage.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#g">Richtung und Geſchwindigkeit der Bewegung</hi>.</head><lb/><p>Um die Betrachtung zu vereinfachen, wollen wir uns die Be-<lb/>
wegung eines einzigen Punctes denken. Der <hirendition="#g">Weg</hi>, den dieſer<lb/>
durchlaͤuft, iſt eine grade oder krumme Linie, und wir ſagen, der<lb/>
Punct gehe in immer gleicher <hirendition="#g">Richtung</hi> fort, wenn er eine grade<lb/>
Linie beſchreibt, und daß er hingegen ſeine Richtung aͤndre, wenn<lb/>
er entweder ploͤtzlich auf einer andern graden Linie fortzugehen an-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[27/0049]
brauchen darf), aus dem Fenſter unſers Schiffes hinaus auf Ge-
genſtaͤnde hinblicken, die nicht in Verbindung mit der Erde ſtehen,
und da ſehen wir ſogleich, daß Sonne und Geſtirne eine ſcheinbare
Bewegung darbieten, eine Bewegung, die uns zu der Frage auf-
fordert, ob dies etwa ebenſolche feſtſtehende Gegenſtaͤnde ſind, wie
es vorhin die Haͤuſer und Baͤume am Ufer waren, deren ſcheinbare
Bewegung durch unſre eigne wahre Bewegung hervorgebracht wird.
Und da wir wahrnehmen, daß alle Geſtirne, alle nicht mit un-
ſerm Schiffe, mit der Erde naͤmlich, verbundenen Gegenſtaͤnde jene
Bewegung zeigen, ſo werden wir zu der Ueberzeugung geleitet, daß
es nur die Erde iſt, welche ſich bewegt, welche, vermoͤge ihrer taͤg-
lichen Umwaͤlzung oder Rotation, bald ihre eine, bald ihre andre
Seite der Sonne darbietend, uns die Sonne aufgehend und unter-
gehend zeigt, und welche, vermoͤge ihres Umlaufs um die Sonne
in einem ganzen Jahre, uns einen ſcheinbaren Lauf der Sonne
durch die Geſtirne des Thierkreiſes wahrnehmen laͤßt.
Ich verweile bei dieſen Gegenſtaͤnden, deren ausfuͤhrliche Be-
trachtung in die Aſtronomie gehoͤrt, nicht laͤnger, da es hier hin-
reicht, eine kurze Andeutung der Schluͤſſe zu geben, die auf eine
genaue Darſtellung der einzelnen Erſcheinungen geſtuͤtzt, jene Ueber-
zeugung von der wahren Bewegung der Erde ſicher gewaͤhren.
Wiſſen wir aber, daß die Erde ſich bewegt, ſo erhellt die große
Schwierigkeit der Beſtimmung, ob ein Koͤrper wahrhaft ruhe, da
ſeine ſcheinbare Ruhe in Vergleichung gegen die Erde gar keine Ent-
ſcheidung hieruͤber gewaͤhrt. Indeß, wenn auch dieſe Entſcheidung
im einzelnen Falle ſchwer, ja faſt unmoͤglich ſein mag, ſo bleibt doch
der Begriff einer abſoluten Ruhe, als eines wahrhaften Verharrens
in demſelben Orte des Raumes, nicht minder klar, und die abſolute
Bewegung beſteht alſo in einer wahren Aenderung der Lage.
Richtung und Geſchwindigkeit der Bewegung.
Um die Betrachtung zu vereinfachen, wollen wir uns die Be-
wegung eines einzigen Punctes denken. Der Weg, den dieſer
durchlaͤuft, iſt eine grade oder krumme Linie, und wir ſagen, der
Punct gehe in immer gleicher Richtung fort, wenn er eine grade
Linie beſchreibt, und daß er hingegen ſeine Richtung aͤndre, wenn
er entweder ploͤtzlich auf einer andern graden Linie fortzugehen an-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/49>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.