daß die Axe kürzer als der auf sie senkrechte Durchmesser wird. Bei der schnellen Drehung, wo unser Auge keine einzelne Stel- lung der Reifen mehr deutlich wahrnimmt, scheint es dann, als ob eine sphäroidische Masse den ganzen bei der Drehung durch- laufenen Raum ausfüllte. Die Abplattung ist desto stärker, je schneller die Drehung wird.
Noch ein Experiment, welches zugleich eine Zusammensetzung von Kräften, nämlich der zugleich wirkenden Schwerkraft und Schwungkraft, zeigt, gehört hierher. Wenn man (Fig. 60) an verticalen Stäbchen KI, GH schwere Kugeln aufhängt, so treibt die Schwungkraft diese Kugeln bei der Drehung der Scheibe DE vom Mittelpuncte C abwärts, die Schwerkraft dagegen treibt sie niederwärts, und beiden Kräften folgend stellen sich die Kugeln in eine schiefe Stellung, wie HL, IM, und desto mehr der horizon- talen Richtung genähert, je schneller die Bewegung oder je größer überhaupt die Schwungkraft ist, und bei einer die Schwerkraft sehr weit übertreffenden Schwungkraft erreichen sie eine nur wenig von der Horizontallinie abweichende Richtung.
Andre Erscheinungen, die von der Schwungkraft abhängen.
Eine ähnliche Zusammensetzung der Kräfte ist es, welche den auf seinem Pferde stehenden Kunstreiter nöthigt, sich stark nach dem Innern des Kreises, durch welchen er forteilt, zu lehnen. Hier nämlich würde die Schwungkraft ihn vom Sattel hinabschleudern, wenn er grade auf demselben zu stehen versuchen wollte; er muß daher seinem Fuße eine Stütze in derjenigen Richtung geben, welche als Richtung der Mittelkraft aus Schwungkraft und Schwere her- vorgeht, und die ganze Stellung seines Körpers lehnt sich in diese Richtung, ja das Pferd selbst lehnt sich, vorzüglich bei sehr schnel- lem Laufe im Kreise, eben so nach dem Innern des Kreises, und die Erfahrung lehrt, selbst in gewöhnlicheren Fällen, den unge- schickten Reiter, daß er, bei schneller Aenderung der Richtung seines Weges, sich nach der innern Seite des von ihm beschriebenen Bo- gens hin lehnen muß, damit er nicht zu stark nach der andern Seite getrieben werde, und wohl gar das Gleichgewicht verliere.
daß die Axe kuͤrzer als der auf ſie ſenkrechte Durchmeſſer wird. Bei der ſchnellen Drehung, wo unſer Auge keine einzelne Stel- lung der Reifen mehr deutlich wahrnimmt, ſcheint es dann, als ob eine ſphaͤroidiſche Maſſe den ganzen bei der Drehung durch- laufenen Raum ausfuͤllte. Die Abplattung iſt deſto ſtaͤrker, je ſchneller die Drehung wird.
Noch ein Experiment, welches zugleich eine Zuſammenſetzung von Kraͤften, naͤmlich der zugleich wirkenden Schwerkraft und Schwungkraft, zeigt, gehoͤrt hierher. Wenn man (Fig. 60) an verticalen Staͤbchen KI, GH ſchwere Kugeln aufhaͤngt, ſo treibt die Schwungkraft dieſe Kugeln bei der Drehung der Scheibe DE vom Mittelpuncte C abwaͤrts, die Schwerkraft dagegen treibt ſie niederwaͤrts, und beiden Kraͤften folgend ſtellen ſich die Kugeln in eine ſchiefe Stellung, wie HL, IM, und deſto mehr der horizon- talen Richtung genaͤhert, je ſchneller die Bewegung oder je groͤßer uͤberhaupt die Schwungkraft iſt, und bei einer die Schwerkraft ſehr weit uͤbertreffenden Schwungkraft erreichen ſie eine nur wenig von der Horizontallinie abweichende Richtung.
Andre Erſcheinungen, die von der Schwungkraft abhaͤngen.
Eine aͤhnliche Zuſammenſetzung der Kraͤfte iſt es, welche den auf ſeinem Pferde ſtehenden Kunſtreiter noͤthigt, ſich ſtark nach dem Innern des Kreiſes, durch welchen er forteilt, zu lehnen. Hier naͤmlich wuͤrde die Schwungkraft ihn vom Sattel hinabſchleudern, wenn er grade auf demſelben zu ſtehen verſuchen wollte; er muß daher ſeinem Fuße eine Stuͤtze in derjenigen Richtung geben, welche als Richtung der Mittelkraft aus Schwungkraft und Schwere her- vorgeht, und die ganze Stellung ſeines Koͤrpers lehnt ſich in dieſe Richtung, ja das Pferd ſelbſt lehnt ſich, vorzuͤglich bei ſehr ſchnel- lem Laufe im Kreiſe, eben ſo nach dem Innern des Kreiſes, und die Erfahrung lehrt, ſelbſt in gewoͤhnlicheren Faͤllen, den unge- ſchickten Reiter, daß er, bei ſchneller Aenderung der Richtung ſeines Weges, ſich nach der innern Seite des von ihm beſchriebenen Bo- gens hin lehnen muß, damit er nicht zu ſtark nach der andern Seite getrieben werde, und wohl gar das Gleichgewicht verliere.
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daß die Axe kuͤrzer als der auf ſie ſenkrechte Durchmeſſer wird.
Bei der ſchnellen Drehung, wo unſer Auge keine einzelne Stel-
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ob eine ſphaͤroidiſche Maſſe den ganzen bei der Drehung durch-
laufenen Raum ausfuͤllte. Die Abplattung iſt deſto ſtaͤrker,
je ſchneller die Drehung wird.
Noch ein Experiment, welches zugleich eine Zuſammenſetzung
von Kraͤften, naͤmlich der zugleich wirkenden Schwerkraft und
Schwungkraft, zeigt, gehoͤrt hierher. Wenn man (Fig. 60) an
verticalen Staͤbchen KI, GH ſchwere Kugeln aufhaͤngt, ſo treibt
die Schwungkraft dieſe Kugeln bei der Drehung der Scheibe DE
vom Mittelpuncte C abwaͤrts, die Schwerkraft dagegen treibt ſie
niederwaͤrts, und beiden Kraͤften folgend ſtellen ſich die Kugeln in
eine ſchiefe Stellung, wie HL, IM, und deſto mehr der horizon-
talen Richtung genaͤhert, je ſchneller die Bewegung oder je groͤßer
uͤberhaupt die Schwungkraft iſt, und bei einer die Schwerkraft ſehr
weit uͤbertreffenden Schwungkraft erreichen ſie eine nur wenig von
der Horizontallinie abweichende Richtung.
Andre Erſcheinungen, die von der Schwungkraft
abhaͤngen.
Eine aͤhnliche Zuſammenſetzung der Kraͤfte iſt es, welche den
auf ſeinem Pferde ſtehenden Kunſtreiter noͤthigt, ſich ſtark nach dem
Innern des Kreiſes, durch welchen er forteilt, zu lehnen. Hier
naͤmlich wuͤrde die Schwungkraft ihn vom Sattel hinabſchleudern,
wenn er grade auf demſelben zu ſtehen verſuchen wollte; er muß
daher ſeinem Fuße eine Stuͤtze in derjenigen Richtung geben, welche
als Richtung der Mittelkraft aus Schwungkraft und Schwere her-
vorgeht, und die ganze Stellung ſeines Koͤrpers lehnt ſich in dieſe
Richtung, ja das Pferd ſelbſt lehnt ſich, vorzuͤglich bei ſehr ſchnel-
lem Laufe im Kreiſe, eben ſo nach dem Innern des Kreiſes, und
die Erfahrung lehrt, ſelbſt in gewoͤhnlicheren Faͤllen, den unge-
ſchickten Reiter, daß er, bei ſchneller Aenderung der Richtung ſeines
Weges, ſich nach der innern Seite des von ihm beſchriebenen Bo-
gens hin lehnen muß, damit er nicht zu ſtark nach der andern Seite
getrieben werde, und wohl gar das Gleichgewicht verliere.
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/117>, abgerufen am 23.02.2025.
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