Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

gut Abschied. Ganz frostig sagte sie: "Adken"!
Ich noch einmal: "Leb wohl, Anne"! -- und im
Herzen: Leb' ewig wohl, herzallerliebstes Schätz-
gen! -- -- Aber vergessen konnt' ich sie nun einmal
nicht. In der Kirch' sah' ich sie mehr als den
Pfarrer; und wo ich sie erblickte, war mir wohl ums
Herz. Eines Sonntag Abends sah ich einen Schnei-
derbursch, Aennchen heimführen. Wie da urplötz-
lich mein Blut sich empörte, und alle Säfte mir in
allen Gliedern rebellierten! Halb sinnlos sprang ich
ihnen auf dem Fuß nach. Ich hätte den Schneider
erwürgen können; aber ein gebietender Blick von
Aennchen hielt mich zurück. Inzwischen macht' ich
ihr nachwerts bitt're Vorwürf' drüber, und eine ganze
Litaney von räudigen Schneidern und Schneidereigen-
schaften. Dacht' halt: Verloren ist verloren! --
Aber Anne blieb mir nichts schuldig, wie ihr's leicht
denken könnt.

XXXI.
Immer noch Liebesgeschichten. Doch
auch anders mitunter.

Laßt mich meine Kinder, Freunde, Leser! wer
Ihr seyn mögt', ich bitt' Euch, laßt mich ein Thor
seyn! Es ist Wohllust -- süsse, süsse Wohllust, so in
diese seligen Tage der Unschuld zurückzugehn -- sich
all' die Standorte wieder zu vergegenwärtigen, und
die schönen Augenblick' noch einmal zu fühlen, wo
man -- gelebt hat. Mir ist, ich werde von neuem

gut Abſchied. Ganz froſtig ſagte ſie: „Adken„!
Ich noch einmal: „Leb wohl, Anne„! — und im
Herzen: Leb’ ewig wohl, herzallerliebſtes Schaͤtz-
gen! — — Aber vergeſſen konnt’ ich ſie nun einmal
nicht. In der Kirch’ ſah’ ich ſie mehr als den
Pfarrer; und wo ich ſie erblickte, war mir wohl ums
Herz. Eines Sonntag Abends ſah ich einen Schnei-
derburſch, Aennchen heimfuͤhren. Wie da urploͤtz-
lich mein Blut ſich empoͤrte, und alle Saͤfte mir in
allen Gliedern rebellierten! Halb ſinnlos ſprang ich
ihnen auf dem Fuß nach. Ich haͤtte den Schneider
erwuͤrgen koͤnnen; aber ein gebietender Blick von
Aennchen hielt mich zuruͤck. Inzwiſchen macht’ ich
ihr nachwerts bitt’re Vorwuͤrf’ druͤber, und eine ganze
Litaney von raͤudigen Schneidern und Schneidereigen-
ſchaften. Dacht’ halt: Verloren iſt verloren! —
Aber Anne blieb mir nichts ſchuldig, wie ihr’s leicht
denken koͤnnt.

XXXI.
Immer noch Liebesgeſchichten. Doch
auch anders mitunter.

Laßt mich meine Kinder, Freunde, Leſer! wer
Ihr ſeyn moͤgt’, ich bitt’ Euch, laßt mich ein Thor
ſeyn! Es iſt Wohlluſt — ſuͤſſe, ſuͤſſe Wohlluſt, ſo in
dieſe ſeligen Tage der Unſchuld zuruͤckzugehn — ſich
all’ die Standorte wieder zu vergegenwaͤrtigen, und
die ſchoͤnen Augenblick’ noch einmal zu fuͤhlen, wo
man — gelebt hat. Mir iſt, ich werde von neuem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0085" n="69"/>
gut Ab&#x017F;chied. Ganz fro&#x017F;tig &#x017F;agte &#x017F;ie: &#x201E;Adken&#x201E;!<lb/>
Ich noch einmal: &#x201E;Leb wohl, <hi rendition="#fr">Anne</hi>&#x201E;! &#x2014; und im<lb/>
Herzen: Leb&#x2019; ewig wohl, herzallerlieb&#x017F;tes Scha&#x0364;tz-<lb/>
gen! &#x2014; &#x2014; Aber verge&#x017F;&#x017F;en konnt&#x2019; ich &#x017F;ie nun einmal<lb/>
nicht. In der Kirch&#x2019; &#x017F;ah&#x2019; ich &#x017F;ie mehr als den<lb/>
Pfarrer; und wo ich &#x017F;ie erblickte, war mir wohl ums<lb/>
Herz. Eines Sonntag Abends &#x017F;ah ich einen Schnei-<lb/>
derbur&#x017F;ch, <hi rendition="#fr">Aennchen</hi> heimfu&#x0364;hren. Wie da urplo&#x0364;tz-<lb/>
lich mein Blut &#x017F;ich empo&#x0364;rte, und alle Sa&#x0364;fte mir in<lb/>
allen Gliedern rebellierten! Halb &#x017F;innlos &#x017F;prang ich<lb/>
ihnen auf dem Fuß nach. Ich ha&#x0364;tte den Schneider<lb/>
erwu&#x0364;rgen ko&#x0364;nnen; aber ein gebietender Blick von<lb/><hi rendition="#fr">Aennchen</hi> hielt mich zuru&#x0364;ck. Inzwi&#x017F;chen macht&#x2019; ich<lb/>
ihr nachwerts bitt&#x2019;re Vorwu&#x0364;rf&#x2019; dru&#x0364;ber, und eine ganze<lb/>
Litaney von ra&#x0364;udigen Schneidern und Schneidereigen-<lb/>
&#x017F;chaften. Dacht&#x2019; halt: Verloren i&#x017F;t verloren! &#x2014;<lb/>
Aber <hi rendition="#fr">Anne</hi> blieb mir nichts &#x017F;chuldig, wie ihr&#x2019;s leicht<lb/>
denken ko&#x0364;nnt.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#aq">XXXI.</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#fr">Immer noch Liebesge&#x017F;chichten. Doch<lb/>
auch anders mitunter.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">L</hi>aßt mich meine Kinder, <choice><sic>Frennde</sic><corr>Freunde</corr></choice>, Le&#x017F;er! wer<lb/>
Ihr &#x017F;eyn mo&#x0364;gt&#x2019;, ich bitt&#x2019; Euch, laßt mich ein Thor<lb/>
&#x017F;eyn! Es i&#x017F;t Wohllu&#x017F;t &#x2014; &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e Wohllu&#x017F;t, &#x017F;o in<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;eligen Tage der Un&#x017F;chuld zuru&#x0364;ckzugehn &#x2014; &#x017F;ich<lb/>
all&#x2019; die Standorte wieder zu vergegenwa&#x0364;rtigen, und<lb/>
die &#x017F;cho&#x0364;nen Augenblick&#x2019; noch einmal zu fu&#x0364;hlen, wo<lb/>
man &#x2014; gelebt hat. Mir i&#x017F;t, ich werde von neuem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0085] gut Abſchied. Ganz froſtig ſagte ſie: „Adken„! Ich noch einmal: „Leb wohl, Anne„! — und im Herzen: Leb’ ewig wohl, herzallerliebſtes Schaͤtz- gen! — — Aber vergeſſen konnt’ ich ſie nun einmal nicht. In der Kirch’ ſah’ ich ſie mehr als den Pfarrer; und wo ich ſie erblickte, war mir wohl ums Herz. Eines Sonntag Abends ſah ich einen Schnei- derburſch, Aennchen heimfuͤhren. Wie da urploͤtz- lich mein Blut ſich empoͤrte, und alle Saͤfte mir in allen Gliedern rebellierten! Halb ſinnlos ſprang ich ihnen auf dem Fuß nach. Ich haͤtte den Schneider erwuͤrgen koͤnnen; aber ein gebietender Blick von Aennchen hielt mich zuruͤck. Inzwiſchen macht’ ich ihr nachwerts bitt’re Vorwuͤrf’ druͤber, und eine ganze Litaney von raͤudigen Schneidern und Schneidereigen- ſchaften. Dacht’ halt: Verloren iſt verloren! — Aber Anne blieb mir nichts ſchuldig, wie ihr’s leicht denken koͤnnt. XXXI. Immer noch Liebesgeſchichten. Doch auch anders mitunter. Laßt mich meine Kinder, Freunde, Leſer! wer Ihr ſeyn moͤgt’, ich bitt’ Euch, laßt mich ein Thor ſeyn! Es iſt Wohlluſt — ſuͤſſe, ſuͤſſe Wohlluſt, ſo in dieſe ſeligen Tage der Unſchuld zuruͤckzugehn — ſich all’ die Standorte wieder zu vergegenwaͤrtigen, und die ſchoͤnen Augenblick’ noch einmal zu fuͤhlen, wo man — gelebt hat. Mir iſt, ich werde von neuem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/85
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/85>, abgerufen am 21.12.2024.