Welch Vergnügen, dann am Abend, meiner Heer- de auf meinem Horn zur Heimreise zu blasen! zuzu- schauen, wie sie alle mit runden Bäuchen und vol- len Eutern dastuhnden, und zu hören wie munter sie sich heimblöckten. Wie stolz war ich dann, wann mich der Vater lobte, daß ich so gut gehütet habe! Nun gieng's an ein Melken; bey gutem Wetter un- ter freyem Himmel. Da wollte jede zuerst über dem Eimer von der drückenden Last ihrer Milch los seyn, und beleckte dankbar ihren Befreyer.
XVII. Verdruß und Ungemach.
Nicht daß lauter Lust beym Hirtenleben wäre. -- Potz Tausend, Nein! Da giebt's Beschwerden genug. Für mich war's lang die empfindlichste, des Mor- gens so früh mein warmes Bettlin zu verlassen, und bloß und baarfuß ins kalte Feld zu marschiren, wenn's zumal einen baumstarken Reifen hatte, oder ein dicker Nebel über die Berge herabhieng. Wenn dann dieser gar so hoch gieng, daß ich ihm mit mei- ner bergansteigenden Heerde das Feld nicht abgewin- nen, und keine Sonn' erreichen konnte, verwünscht' ich denselben in Aegypten hinein, und eilte was ich eilen konnte, aus dieser Finsterniß wieder in ein Thälchen hinab. Erhielt ich hingegen den Sieg, und gewann die Sonne und den hellen Himmel über mir, und das grosse Weltmeer von Nebeln, und hie und da einen hervorragenden Berg, wie eine Insel, unter
Welch Vergnuͤgen, dann am Abend, meiner Heer- de auf meinem Horn zur Heimreiſe zu blaſen! zuzu- ſchauen, wie ſie alle mit runden Baͤuchen und vol- len Eutern daſtuhnden, und zu hoͤren wie munter ſie ſich heimbloͤckten. Wie ſtolz war ich dann, wann mich der Vater lobte, daß ich ſo gut gehuͤtet habe! Nun gieng’s an ein Melken; bey gutem Wetter un- ter freyem Himmel. Da wollte jede zuerſt uͤber dem Eimer von der druͤckenden Laſt ihrer Milch los ſeyn, und beleckte dankbar ihren Befreyer.
XVII. Verdruß und Ungemach.
Nicht daß lauter Luſt beym Hirtenleben waͤre. — Potz Tauſend, Nein! Da giebt’s Beſchwerden genug. Fuͤr mich war’s lang die empfindlichſte, des Mor- gens ſo fruͤh mein warmes Bettlin zu verlaſſen, und bloß und baarfuß ins kalte Feld zu marſchiren, wenn’s zumal einen baumſtarken Reifen hatte, oder ein dicker Nebel uͤber die Berge herabhieng. Wenn dann dieſer gar ſo hoch gieng, daß ich ihm mit mei- ner berganſteigenden Heerde das Feld nicht abgewin- nen, und keine Sonn’ erreichen konnte, verwuͤnſcht’ ich denſelben in Aegypten hinein, und eilte was ich eilen konnte, aus dieſer Finſterniß wieder in ein Thaͤlchen hinab. Erhielt ich hingegen den Sieg, und gewann die Sonne und den hellen Himmel uͤber mir, und das groſſe Weltmeer von Nebeln, und hie und da einen hervorragenden Berg, wie eine Inſel, unter
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[29/0045]
Welch Vergnuͤgen, dann am Abend, meiner Heer-
de auf meinem Horn zur Heimreiſe zu blaſen! zuzu-
ſchauen, wie ſie alle mit runden Baͤuchen und vol-
len Eutern daſtuhnden, und zu hoͤren wie munter
ſie ſich heimbloͤckten. Wie ſtolz war ich dann, wann
mich der Vater lobte, daß ich ſo gut gehuͤtet habe!
Nun gieng’s an ein Melken; bey gutem Wetter un-
ter freyem Himmel. Da wollte jede zuerſt uͤber dem
Eimer von der druͤckenden Laſt ihrer Milch los
ſeyn, und beleckte dankbar ihren Befreyer.
XVII.
Verdruß und Ungemach.
Nicht daß lauter Luſt beym Hirtenleben waͤre. —
Potz Tauſend, Nein! Da giebt’s Beſchwerden genug.
Fuͤr mich war’s lang die empfindlichſte, des Mor-
gens ſo fruͤh mein warmes Bettlin zu verlaſſen, und
bloß und baarfuß ins kalte Feld zu marſchiren, wenn’s
zumal einen baumſtarken Reifen hatte, oder ein
dicker Nebel uͤber die Berge herabhieng. Wenn
dann dieſer gar ſo hoch gieng, daß ich ihm mit mei-
ner berganſteigenden Heerde das Feld nicht abgewin-
nen, und keine Sonn’ erreichen konnte, verwuͤnſcht’
ich denſelben in Aegypten hinein, und eilte was ich
eilen konnte, aus dieſer Finſterniß wieder in ein
Thaͤlchen hinab. Erhielt ich hingegen den Sieg, und
gewann die Sonne und den hellen Himmel uͤber mir,
und das groſſe Weltmeer von Nebeln, und hie und
da einen hervorragenden Berg, wie eine Inſel, unter
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/45>, abgerufen am 01.03.2025.
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