konnte: "Siehst du" sprach er, nur noch wenige "Schritte, so stürzt der Bach über den Felsen hinab. "Hätt' dich das Wasser fassen können, so lägst du "dort unten todt und zermürset"! Von allem die- sem begriff ich damals kein Wort; ich wußte nur von meiner Angst, nichts von Gefahr. Besonders aber schwebten die Kerle auf dem Baum mir viele Jahre vor Augen, sobald mich nur ein Wort an die Geschichte erinnerte.
Gott! Wie viele tausend Kinder kämen auf eine elende Art ums Leben, wenn nicht deine schützenden Engel über sie wachten. Und, o wie gut hat auch der meinige über mich gewacht. Lob und Preis sey dir dafür noch heute von mir gebracht, und in alle Ewigkeit!
VI. Unsre Nachbauern im Näbis.
Der Näbis liegt im Berg, ob Scheftenau. Von Kapel hört man die Glocke läuten und schlagen. Es sind nur zwey Häuser. Die aufgehnde Sonne strahlt beyden gerad in die Fenster. Meine Großmutter und die Frau im andern Haus waren zwo Schwe- stern; fromme alte Mütterle, welche von andern gottseligen Weibern in der Nachbarschaft fleißig be- sucht wurden. Damals gab es viel fromme Leuthe daherum. Mein Vater, Großvater, und andre Männer, sahen's zwar ungern; durften aber nichts sagen, aus Furcht sie könnten sich versündigen. Der
konnte: „Siehſt du„ ſprach er, nur noch wenige „Schritte, ſo ſtuͤrzt der Bach uͤber den Felſen hinab. „Haͤtt’ dich das Waſſer faſſen koͤnnen, ſo laͤgſt du „dort unten todt und zermuͤrſet„! Von allem die- ſem begriff ich damals kein Wort; ich wußte nur von meiner Angſt, nichts von Gefahr. Beſonders aber ſchwebten die Kerle auf dem Baum mir viele Jahre vor Augen, ſobald mich nur ein Wort an die Geſchichte erinnerte.
Gott! Wie viele tauſend Kinder kaͤmen auf eine elende Art ums Leben, wenn nicht deine ſchuͤtzenden Engel uͤber ſie wachten. Und, o wie gut hat auch der meinige uͤber mich gewacht. Lob und Preis ſey dir dafuͤr noch heute von mir gebracht, und in alle Ewigkeit!
VI. Unſre Nachbauern im Naͤbis.
Der Naͤbis liegt im Berg, ob Scheftenau. Von Kapel hoͤrt man die Glocke laͤuten und ſchlagen. Es ſind nur zwey Haͤuſer. Die aufgehnde Sonne ſtrahlt beyden gerad in die Fenſter. Meine Großmutter und die Frau im andern Haus waren zwo Schwe- ſtern; fromme alte Muͤtterle, welche von andern gottſeligen Weibern in der Nachbarſchaft fleißig be- ſucht wurden. Damals gab es viel fromme Leuthe daherum. Mein Vater, Großvater, und andre Maͤnner, ſahen’s zwar ungern; durften aber nichts ſagen, aus Furcht ſie koͤnnten ſich verſuͤndigen. Der
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konnte: „Siehſt du„ ſprach er, nur noch wenige
„Schritte, ſo ſtuͤrzt der Bach uͤber den Felſen hinab.
„Haͤtt’ dich das Waſſer faſſen koͤnnen, ſo laͤgſt du
„dort unten todt und zermuͤrſet„! Von allem die-
ſem begriff ich damals kein Wort; ich wußte nur
von meiner Angſt, nichts von Gefahr. Beſonders
aber ſchwebten die Kerle auf dem Baum mir viele
Jahre vor Augen, ſobald mich nur ein Wort an die
Geſchichte erinnerte.
Gott! Wie viele tauſend Kinder kaͤmen auf eine
elende Art ums Leben, wenn nicht deine ſchuͤtzenden
Engel uͤber ſie wachten. Und, o wie gut hat auch
der meinige uͤber mich gewacht. Lob und Preis ſey
dir dafuͤr noch heute von mir gebracht, und in alle
Ewigkeit!
VI.
Unſre Nachbauern im Naͤbis.
Der Naͤbis liegt im Berg, ob Scheftenau. Von
Kapel hoͤrt man die Glocke laͤuten und ſchlagen. Es
ſind nur zwey Haͤuſer. Die aufgehnde Sonne ſtrahlt
beyden gerad in die Fenſter. Meine Großmutter
und die Frau im andern Haus waren zwo Schwe-
ſtern; fromme alte Muͤtterle, welche von andern
gottſeligen Weibern in der Nachbarſchaft fleißig be-
ſucht wurden. Damals gab es viel fromme Leuthe
daherum. Mein Vater, Großvater, und andre
Maͤnner, ſahen’s zwar ungern; durften aber nichts
ſagen, aus Furcht ſie koͤnnten ſich verſuͤndigen. Der
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/27>, abgerufen am 01.03.2025.
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