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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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benmutter, nicht wie eine ausschweifende Frau; son¬
dern wie ein junges unschuldiges Bürgermädchen. Und
als ihr politischer Feind, der Connetable von Armag¬
nac, ihren jungen Geliebten foltern und dann in einen
Sack stecken und Nachts in die Seine werfen ließ,
weinte sie als ginge sie das was an und als gäbe
es keine Männer mehr in der Welt. Aber die Ge¬
orges wußte sich mit guter Manier aus der Dummheit
des Dichters heraus zu ziehen. Also der Sack mit dem
Schatze wird in's Wasser geworfen, aber wieder her¬
ausgefischt. Der Sack wird geöffnet und der ster¬
bende junge Mensch im Hemde halb herausgezogen.
Das ist seit einigen Tagen das zweitemal, daß ich
einen sterbenden Menschen im Hemde aus einem Sacke
habe kommen sehen. Das ist die historische Treue!
Aber die Henkersknechte kehren zurück, werfen den
Sack mit Inhalt zum zweitenmal in's Wasser und
drohen mit einer Geisterstimme in die Nacht hinaus:
laissez passer la justice du Roi! Das war die
damalige Formel. Es ist recht schauerlich.

Um das Alter der Georges genau zu erfahren,
ließ ich mir den Band der Biographie des contem¬
porains
holen, worin ihr Artikel steht. Da las ich
etwas was mich stutzig machte. Sie wird dort nicht
allein getadelt, sondern auch mit einer gewissen Bit¬
terkeit getadelt, die ich mir nicht erklären konnte.

V. 8

benmutter, nicht wie eine ausſchweifende Frau; ſon¬
dern wie ein junges unſchuldiges Bürgermädchen. Und
als ihr politiſcher Feind, der Connetable von Armag¬
nac, ihren jungen Geliebten foltern und dann in einen
Sack ſtecken und Nachts in die Seine werfen ließ,
weinte ſie als ginge ſie das was an und als gäbe
es keine Männer mehr in der Welt. Aber die Ge¬
orges wußte ſich mit guter Manier aus der Dummheit
des Dichters heraus zu ziehen. Alſo der Sack mit dem
Schatze wird in's Waſſer geworfen, aber wieder her¬
ausgefiſcht. Der Sack wird geöffnet und der ſter¬
bende junge Menſch im Hemde halb herausgezogen.
Das iſt ſeit einigen Tagen das zweitemal, daß ich
einen ſterbenden Menſchen im Hemde aus einem Sacke
habe kommen ſehen. Das iſt die hiſtoriſche Treue!
Aber die Henkersknechte kehren zurück, werfen den
Sack mit Inhalt zum zweitenmal in's Waſſer und
drohen mit einer Geiſterſtimme in die Nacht hinaus:
laissez passer la justice du Roi! Das war die
damalige Formel. Es iſt recht ſchauerlich.

Um das Alter der Georges genau zu erfahren,
ließ ich mir den Band der Biographie des contem¬
porains
holen, worin ihr Artikel ſteht. Da las ich
etwas was mich ſtutzig machte. Sie wird dort nicht
allein getadelt, ſondern auch mit einer gewiſſen Bit¬
terkeit getadelt, die ich mir nicht erklären konnte.

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[113/0125] benmutter, nicht wie eine ausſchweifende Frau; ſon¬ dern wie ein junges unſchuldiges Bürgermädchen. Und als ihr politiſcher Feind, der Connetable von Armag¬ nac, ihren jungen Geliebten foltern und dann in einen Sack ſtecken und Nachts in die Seine werfen ließ, weinte ſie als ginge ſie das was an und als gäbe es keine Männer mehr in der Welt. Aber die Ge¬ orges wußte ſich mit guter Manier aus der Dummheit des Dichters heraus zu ziehen. Alſo der Sack mit dem Schatze wird in's Waſſer geworfen, aber wieder her¬ ausgefiſcht. Der Sack wird geöffnet und der ſter¬ bende junge Menſch im Hemde halb herausgezogen. Das iſt ſeit einigen Tagen das zweitemal, daß ich einen ſterbenden Menſchen im Hemde aus einem Sacke habe kommen ſehen. Das iſt die hiſtoriſche Treue! Aber die Henkersknechte kehren zurück, werfen den Sack mit Inhalt zum zweitenmal in's Waſſer und drohen mit einer Geiſterſtimme in die Nacht hinaus: laissez passer la justice du Roi! Das war die damalige Formel. Es iſt recht ſchauerlich. Um das Alter der Georges genau zu erfahren, ließ ich mir den Band der Biographie des contem¬ porains holen, worin ihr Artikel ſteht. Da las ich etwas was mich ſtutzig machte. Sie wird dort nicht allein getadelt, ſondern auch mit einer gewiſſen Bit¬ terkeit getadelt, die ich mir nicht erklären konnte. V. 8

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/125>, abgerufen am 27.04.2024.