Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich wollte ein Freudenlied singen, daß Berge und Wäl¬ der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne darüber weinen müßten und erlöschten in ihren eige¬ nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will sich nicht gestalten. Nur prosaisch kann ich jubeln ... heute ist heute und morgen ist morgen; ich will nicht weiter denken. Alles Gute und Schöne hat sich be¬ stätigt, aber das Beste und Schönste ist noch nicht entschieden. Ein Handelshaus erhielt gestern die Nachricht: die Russen wären gänzlich zerstreut, und, was Alles entscheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬ thauen aufgestanden. Aber das heutige ministerielle Blatt berichtet, die Regierung habe gleich spätere Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und diese, ob¬ zwar gut lautend, sprächen noch von keiner Entschei¬
Vierzigſter Brief.
Paris, Sonntag, den 6. März. 1831.
Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich wollte ein Freudenlied ſingen, daß Berge und Wäl¬ der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne darüber weinen müßten und erlöſchten in ihren eige¬ nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will ſich nicht geſtalten. Nur proſaiſch kann ich jubeln ... heute iſt heute und morgen iſt morgen; ich will nicht weiter denken. Alles Gute und Schöne hat ſich be¬ ſtätigt, aber das Beſte und Schönſte iſt noch nicht entſchieden. Ein Handelshaus erhielt geſtern die Nachricht: die Ruſſen wären gänzlich zerſtreut, und, was Alles entſcheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬ thauen aufgeſtanden. Aber das heutige miniſterielle Blatt berichtet, die Regierung habe gleich ſpätere Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und dieſe, ob¬ zwar gut lautend, ſprächen noch von keiner Entſchei¬
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Vierzigſter Brief.
Paris, Sonntag, den 6. März. 1831.
Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich
wollte ein Freudenlied ſingen, daß Berge und Wäl¬
der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne
darüber weinen müßten und erlöſchten in ihren eige¬
nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will
ſich nicht geſtalten. Nur proſaiſch kann ich jubeln ...
heute iſt heute und morgen iſt morgen; ich will nicht
weiter denken. Alles Gute und Schöne hat ſich be¬
ſtätigt, aber das Beſte und Schönſte iſt noch nicht
entſchieden. Ein Handelshaus erhielt geſtern die
Nachricht: die Ruſſen wären gänzlich zerſtreut, und,
was Alles entſcheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬
thauen aufgeſtanden. Aber das heutige miniſterielle
Blatt berichtet, die Regierung habe gleich ſpätere
Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und dieſe, ob¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. [121]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/135>, abgerufen am 22.02.2025.
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