Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetischen Naturbeschreibungen habe; ich grüble zu viel und sammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der Reise, nach wiederhergestellter Ruhe, damit haben Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬ frieden genießen. Bis künftiges Jahr sind die Oesterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte man hinreisen. Zwar wird es alsdann in Italien noch nicht ruhig seyn, aber nur die schreckliche Ruhe unter Oesterreich könnte mich aus dem Lande ent¬ fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet, ist auch mir offenbart worden. Man wird es in Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬ lich! Es stehet mir klar vor Augen, wie die Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Messern die großen Sensen wetzen. -- Hiesige Blätter sagen bestimmt, im nächsten Monate würde in Preußen eine Constitution promulgirt werden, und ein Brief aus Berlin, den ich gestern gelesen, behauptet das Nehmliche. Aber eine Constitution, die man im Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finsterniß werden. Die Freiheit, die man von Herren geschenckt
Dienſtag, den 28 Dezember.
Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetiſchen Naturbeſchreibungen habe; ich grüble zu viel und ſammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der Reiſe, nach wiederhergeſtellter Ruhe, damit haben Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬ frieden genießen. Bis künftiges Jahr ſind die Oeſterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte man hinreiſen. Zwar wird es alsdann in Italien noch nicht ruhig ſeyn, aber nur die ſchreckliche Ruhe unter Oeſterreich könnte mich aus dem Lande ent¬ fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet, iſt auch mir offenbart worden. Man wird es in Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬ lich! Es ſtehet mir klar vor Augen, wie die Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Meſſern die großen Senſen wetzen. — Hieſige Blätter ſagen beſtimmt, im nächſten Monate würde in Preußen eine Conſtitution promulgirt werden, und ein Brief aus Berlin, den ich geſtern geleſen, behauptet das Nehmliche. Aber eine Conſtitution, die man im Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finſterniß werden. Die Freiheit, die man von Herren geſchenckt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0173"n="159"/><divn="2"><dateline><hirendition="#right">Dienſtag, den 28 Dezember.</hi></dateline><lb/><p>Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetiſchen<lb/>
Naturbeſchreibungen habe; ich grüble zu viel und<lb/>ſammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der<lb/>
Reiſe, nach wiederhergeſtellter Ruhe, damit haben<lb/>
Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬<lb/>
frieden genießen. Bis künftiges Jahr ſind die<lb/>
Oeſterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte<lb/>
man hinreiſen. Zwar wird es alsdann in Italien<lb/>
noch nicht ruhig ſeyn, aber nur die ſchreckliche Ruhe<lb/>
unter Oeſterreich könnte mich aus dem Lande ent¬<lb/>
fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die<lb/>
der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet,<lb/>
iſt auch mir offenbart worden. Man wird es in<lb/>
Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬<lb/>
lich! Es ſtehet mir klar vor Augen, wie die<lb/>
Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Meſſern die<lb/>
großen Senſen wetzen. — Hieſige Blätter ſagen<lb/>
beſtimmt, im nächſten Monate würde in Preußen<lb/>
eine Conſtitution promulgirt werden, und ein Brief<lb/>
aus Berlin, den ich geſtern geleſen, behauptet das<lb/>
Nehmliche. Aber eine Conſtitution, die man im<lb/>
Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finſterniß<lb/>
werden. Die Freiheit, die man von Herren geſchenckt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0173]
Dienſtag, den 28 Dezember.
Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetiſchen
Naturbeſchreibungen habe; ich grüble zu viel und
ſammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der
Reiſe, nach wiederhergeſtellter Ruhe, damit haben
Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬
frieden genießen. Bis künftiges Jahr ſind die
Oeſterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte
man hinreiſen. Zwar wird es alsdann in Italien
noch nicht ruhig ſeyn, aber nur die ſchreckliche Ruhe
unter Oeſterreich könnte mich aus dem Lande ent¬
fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die
der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet,
iſt auch mir offenbart worden. Man wird es in
Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬
lich! Es ſtehet mir klar vor Augen, wie die
Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Meſſern die
großen Senſen wetzen. — Hieſige Blätter ſagen
beſtimmt, im nächſten Monate würde in Preußen
eine Conſtitution promulgirt werden, und ein Brief
aus Berlin, den ich geſtern geleſen, behauptet das
Nehmliche. Aber eine Conſtitution, die man im
Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finſterniß
werden. Die Freiheit, die man von Herren geſchenckt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/173>, abgerufen am 21.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.