Ich scherze und bin doch ganz von Herzen be¬ trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Tasse Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade habe mir dickes Blut gemacht, sonst nichts. Aber meine Träume von Frankreichs Freiheit sind auch dahin. In der Politik ist weder Sommer noch Winter, es ist der erbärmlichste Revolutions-Frühling, der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum Einheitzen, fröstelt man ohne Rettung. Bei uns zu Hause weiß man doch woran man ist; es ist Win¬ ter und man trägt Flanell. Es ist doch ein schönes Land, wo, wie ich gestern in deutschen Zeitungen gelesen, man sich auf der Straße und in den Casi¬ nos bang und freudig einander fragt, wird der Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?
Ein und zwanzigſter Brief.
Paris, Sontag, den 26. Dezember 1830.
Ich ſcherze und bin doch ganz von Herzen be¬ trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Taſſe Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade habe mir dickes Blut gemacht, ſonſt nichts. Aber meine Träume von Frankreichs Freiheit ſind auch dahin. In der Politik iſt weder Sommer noch Winter, es iſt der erbärmlichſte Revolutions-Frühling, der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum Einheitzen, fröſtelt man ohne Rettung. Bei uns zu Hauſe weiß man doch woran man iſt; es iſt Win¬ ter und man trägt Flanell. Es iſt doch ein ſchönes Land, wo, wie ich geſtern in deutſchen Zeitungen geleſen, man ſich auf der Straße und in den Caſi¬ nos bang und freudig einander fragt, wird der Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?
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Ein und zwanzigſter Brief.
Paris, Sontag, den 26. Dezember 1830.
Ich ſcherze und bin doch ganz von Herzen be¬
trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Taſſe
Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade
habe mir dickes Blut gemacht, ſonſt nichts. Aber
meine Träume von Frankreichs Freiheit ſind auch
dahin. In der Politik iſt weder Sommer noch
Winter, es iſt der erbärmlichſte Revolutions-Frühling,
der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des
Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum
Einheitzen, fröſtelt man ohne Rettung. Bei uns zu
Hauſe weiß man doch woran man iſt; es iſt Win¬
ter und man trägt Flanell. Es iſt doch ein ſchönes
Land, wo, wie ich geſtern in deutſchen Zeitungen
geleſen, man ſich auf der Straße und in den Caſi¬
nos bang und freudig einander fragt, wird der
Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. [155]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/169>, abgerufen am 21.02.2025.
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