Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein und zwanzigster Brief.

Ich scherze und bin doch ganz von Herzen be¬
trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Tasse
Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade
habe mir dickes Blut gemacht, sonst nichts. Aber
meine Träume von Frankreichs Freiheit sind auch
dahin. In der Politik ist weder Sommer noch
Winter, es ist der erbärmlichste Revolutions-Frühling,
der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des
Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum
Einheitzen, fröstelt man ohne Rettung. Bei uns zu
Hause weiß man doch woran man ist; es ist Win¬
ter und man trägt Flanell. Es ist doch ein schönes
Land, wo, wie ich gestern in deutschen Zeitungen
gelesen, man sich auf der Straße und in den Casi¬
nos bang und freudig einander fragt, wird der
Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?

Ein und zwanzigſter Brief.

Ich ſcherze und bin doch ganz von Herzen be¬
trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Taſſe
Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade
habe mir dickes Blut gemacht, ſonſt nichts. Aber
meine Träume von Frankreichs Freiheit ſind auch
dahin. In der Politik iſt weder Sommer noch
Winter, es iſt der erbärmlichſte Revolutions-Frühling,
der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des
Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum
Einheitzen, fröſtelt man ohne Rettung. Bei uns zu
Hauſe weiß man doch woran man iſt; es iſt Win¬
ter und man trägt Flanell. Es iſt doch ein ſchönes
Land, wo, wie ich geſtern in deutſchen Zeitungen
geleſen, man ſich auf der Straße und in den Caſi¬
nos bang und freudig einander fragt, wird der
Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0169" n="[155]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Ein und zwanzig&#x017F;ter Brief.</hi><lb/>
          </head>
          <dateline> <hi rendition="#right">Paris, Sontag, den 26. Dezember 1830.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ich &#x017F;cherze und bin doch ganz von Herzen be¬<lb/>
trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Ta&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade<lb/>
habe mir dickes Blut gemacht, &#x017F;on&#x017F;t nichts. Aber<lb/>
meine Träume von Frankreichs Freiheit &#x017F;ind auch<lb/>
dahin. In der Politik i&#x017F;t weder Sommer noch<lb/>
Winter, es i&#x017F;t der erbärmlich&#x017F;te Revolutions-Frühling,<lb/>
der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des<lb/>
Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum<lb/>
Einheitzen, frö&#x017F;telt man ohne Rettung. Bei uns zu<lb/>
Hau&#x017F;e weiß man doch woran man i&#x017F;t; es i&#x017F;t Win¬<lb/>
ter und man trägt Flanell. Es i&#x017F;t doch ein &#x017F;chönes<lb/>
Land, wo, wie ich ge&#x017F;tern in deut&#x017F;chen Zeitungen<lb/>
gele&#x017F;en, man &#x017F;ich auf der Straße und in den Ca&#x017F;<lb/>
nos bang und freudig einander fragt, wird der<lb/>
Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[155]/0169] Ein und zwanzigſter Brief. Paris, Sontag, den 26. Dezember 1830. Ich ſcherze und bin doch ganz von Herzen be¬ trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Taſſe Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade habe mir dickes Blut gemacht, ſonſt nichts. Aber meine Träume von Frankreichs Freiheit ſind auch dahin. In der Politik iſt weder Sommer noch Winter, es iſt der erbärmlichſte Revolutions-Frühling, der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum Einheitzen, fröſtelt man ohne Rettung. Bei uns zu Hauſe weiß man doch woran man iſt; es iſt Win¬ ter und man trägt Flanell. Es iſt doch ein ſchönes Land, wo, wie ich geſtern in deutſchen Zeitungen geleſen, man ſich auf der Straße und in den Caſi¬ nos bang und freudig einander fragt, wird der Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/169
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. [155]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/169>, abgerufen am 22.12.2024.