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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Neulich bin ich bei Ferusac eingeführt worden,
der jede Woche Reunion hat. Er gibt ein Jour¬
nal heraus, das in Deutschland bekannt ist. Er ist
jetzt Deputirter geworden. Man findet in seinem
Salon alle fremden und einheimischen Blätter und
Journale, alle interessanten Bücher und Kupferwerke
und Gelehrte von allen Formaten. Man vertreibt
sich die Zeit mit Lesen und Kupferstiche betrachten.
Er fragte mich, was mein literarisches Fach wäre?
Antworten konnte ich darauf nicht, weil ich es selbst
nicht wußte. Wenn Sie etwas Näheres davon
wissen, theilen Sie mir es mit. -- Ich habe in
diesen Tagen gelesen: Contes d'Espagne et d'Italie
par
Alfred de Musset. Ein junger Dichter.
Es ist merkwürdig, was der Aehnlichkeit mit Heine
hat. Sollte man das von einem Franzosen für
möglich halten? -- Die Memoiren von St. Simon
machen mir erstaunlich viel Freude. Vom Hofe Lud¬
wigs XIV. bekommt man die klarste Vorstellung.
Es ist mir, als hätte ich dort gelebt. Aber auch
nur vom Hofe. Vom Volke, von der Welt ist gar
keine Rede. Welche Zeit war das! Ich glaube,
das Buch hat zwölf Bände.

-- Manchmal, wenn ich um Mitternacht noch
noch auf der Straße bin, traue ich meinen Sinnen


Neulich bin ich bei Feruſac eingeführt worden,
der jede Woche Reunion hat. Er gibt ein Jour¬
nal heraus, das in Deutſchland bekannt iſt. Er iſt
jetzt Deputirter geworden. Man findet in ſeinem
Salon alle fremden und einheimiſchen Blätter und
Journale, alle intereſſanten Bücher und Kupferwerke
und Gelehrte von allen Formaten. Man vertreibt
ſich die Zeit mit Leſen und Kupferſtiche betrachten.
Er fragte mich, was mein literariſches Fach wäre?
Antworten konnte ich darauf nicht, weil ich es ſelbſt
nicht wußte. Wenn Sie etwas Näheres davon
wiſſen, theilen Sie mir es mit. — Ich habe in
dieſen Tagen geleſen: Contes d’Espagne et d’Italie
par
Alfred de Musset. Ein junger Dichter.
Es iſt merkwürdig, was der Aehnlichkeit mit Heine
hat. Sollte man das von einem Franzoſen für
möglich halten? — Die Memoiren von St. Simon
machen mir erſtaunlich viel Freude. Vom Hofe Lud¬
wigs XIV. bekommt man die klarſte Vorſtellung.
Es iſt mir, als hätte ich dort gelebt. Aber auch
nur vom Hofe. Vom Volke, von der Welt iſt gar
keine Rede. Welche Zeit war das! Ich glaube,
das Buch hat zwölf Bände.

— Manchmal, wenn ich um Mitternacht noch
noch auf der Straße bin, traue ich meinen Sinnen

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[93/0107] Mittwoch, den 10. November. Neulich bin ich bei Feruſac eingeführt worden, der jede Woche Reunion hat. Er gibt ein Jour¬ nal heraus, das in Deutſchland bekannt iſt. Er iſt jetzt Deputirter geworden. Man findet in ſeinem Salon alle fremden und einheimiſchen Blätter und Journale, alle intereſſanten Bücher und Kupferwerke und Gelehrte von allen Formaten. Man vertreibt ſich die Zeit mit Leſen und Kupferſtiche betrachten. Er fragte mich, was mein literariſches Fach wäre? Antworten konnte ich darauf nicht, weil ich es ſelbſt nicht wußte. Wenn Sie etwas Näheres davon wiſſen, theilen Sie mir es mit. — Ich habe in dieſen Tagen geleſen: Contes d’Espagne et d’Italie par Alfred de Musset. Ein junger Dichter. Es iſt merkwürdig, was der Aehnlichkeit mit Heine hat. Sollte man das von einem Franzoſen für möglich halten? — Die Memoiren von St. Simon machen mir erſtaunlich viel Freude. Vom Hofe Lud¬ wigs XIV. bekommt man die klarſte Vorſtellung. Es iſt mir, als hätte ich dort gelebt. Aber auch nur vom Hofe. Vom Volke, von der Welt iſt gar keine Rede. Welche Zeit war das! Ich glaube, das Buch hat zwölf Bände. — Manchmal, wenn ich um Mitternacht noch noch auf der Straße bin, traue ich meinen Sinnen

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/107>, abgerufen am 21.11.2024.